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Ausgabe:

1965

Spalte:

135-138

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brunner, Emil

Titel/Untertitel:

Wahrheit als Begegnung 1965

Rezensent:

Althaus, Paul

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135

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 2

136

P i n e r a, Bernardino: Los fundamentos del plan pastoral del episco-

pado chileno (Teologia y Vida 5, 1964 S. 5—14).
R a p p, Eugen Ludwig: Die Bedeutung der Stammessprachen für die

Kirche in Westafrika (KidZ 19, 1964 S. 331—33 5).
Richter, Gerhard: Zwei eigentümliche Grundzüge der altrussischen

Frömmigkeit (ZKG 75, 1964 S. 79—132)
Skydsgaard, K. E.: Vom Geheimnis der Kirche (KuD 10, 1964

S. 137—153).

Söll, Georg: Die katholische Marienlehre und das ökumenische Gespräch
(MThZ 15, 1964 S. 87—110).

V i g a n o, Egidio: El 30 de octubre (Teologia y Vida 5, 1964 S. 15
-25).

V i n a y, Valdo: 11 Cattolicesimo moderno secondo W. von Loewenich
(Protestantesimo 19, 1964 S. 84—88).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Brunner, Emil: Wahrheit als Begegnung. 2., erweit. Aufl. Zürich-
Stuttgart: Zwingli-Verlag [1963]. 198 S. 8°. Lw. sfr. 23.—.

Diese Schrift, 1938 zuerst erschienen, damals im Furche-
Verlag, liegt nunmehr in zweiter Auflage vor, vermehrt um einen
ersten einführenden Teil „Das christliche Wahrheitsverständnis
im Verhältnis zum philosophisch-wissenschaftlichen". Innerhalb
des reichen Schrifttums Emil Brunners hat sie eine besondere
Stellung; es handelt sich in ihr nach des Verfassers eigenem
Wort um eine für seine „gesamte theologische Arbeit grundlegende
Untersuchung" (107). Die erste Auflage ist, soviel ich
sehe, in dieser Zeitschrift nicht angezeigt worden, vielleicht
durch den nahen Ausbruch des Krieges bedingt. Grund genug,
das Buch jetzt eingehend zu besprechen, also nicht etwa nur den
neuen Teil in der zweiten Auflage, sondern das ganze.

Die erste Auflage handelte in sechs Vorlesungen (auf Einladung
der Olaus-Petri-Stiftung 1937 in Upsala gehalten) „über
das christliche Wahrheitsverständnis" und entwickelte die Bedeutung
des von Brunner vertretenen Grundgedankens für die
Theologie und Kirche. Dagegen wurde das christliche Wahrheitsverständnis
hier noch nicht in den Zusammenhang des allgemeinen
philosophischen Wahrheitsproblems hineingestellt. Das
holt die zweite Auflage jetzt nach: sie sucht in ihrem ersten
Teil den christlichen Begriff der Wahrheit in seinem Gegensatz
zu allen sonstigen Wahrheitsbegriffen, zum naturalistisch-posi-
tivistischen und zum idealistisch-spekulativen, zu entfalten und
zu begründen.

Das erste Kapitel behandelt den Idealismus und Naturalismus
in ihrem Gegensatz, dazu auch die Philosophie der Existenz,
im Blick auf die Frage nach dem Menschen. Weder das idealistische
Wahrheitsverständnis noch das des positivistischen Realismus
vermag uns zu überzeugen, beide erreichen die Wahrheit
vom Menschen nicht. Aber diese ist auch in der existentialisti-
schen Philosophie nicht zu finden. „Sie ist überhaupt nicht zu
finden, wenn man vom Menschen ausgeht" (22). — Dem stellt
das zweite Kapitel den christlichen Begriff der „Wahrheit als
Begegnung" gegenüber. Wie schon in seinen früheren Schriften,
zuletzt in seiner Dogmatik, entwickelt Brunner das Wesen der
Personalität als Berufung zu „responsorischer Verantwortlichkeit
und Aktualität", durch den Anspruch und Zuspruch des höchsten
Ich. Der Mensch wird Ich durch das gründende göttliche Du. Hier
geschieht Wahrheit als Begegnung, Wahrheit in der Ich-Du-
Gestalt, in der Geschichtlichkeit, Du-Wahrheit. Diese Wahrheit
kann man nicht „haben", sondern nur empfangen, man muß - so
heißt es wie bei Kierkegaard — in ihr sein. Das ist ihr „Existenzcharakter
". — Das dritte Kapitel erörtert das Verhältnis der
Wahrheit als Begegnung zur Wissenschaft. Es gilt ohne Frage der
Primat des Personalen — ist dabei Wissenschaft in Freiheit
denkbar? Der Konflikt ist unvermeidbar, wenn die Glaubenswahrheit
sich im Sinne des orthodoxen Glaubensverständnisses
versteht und die Wissenschaft zur „wissenschaftlichen Weltanschauung
" entartet, mit ihren Kategorien alles zu erfassen,
letzte Wahrheit zu sein wähnt. Aber selbstkritische Wissenschaft
und selbstkritische Theologie stehen nicht im Verhältnis der
Konkurrenz, sondern in dem der Ergänzung. Vom Glauben her
verstanden kommt die Wissenschaft „als ein Mittel" zu stehen,
„das der Person und der Personwelt dient". Das Geheimnis des

Menschen als Menschen, sein göttlicher Ursprung, der Widerspruch
dazu, der Ruf zurück in den Ursprung, das alles wird im
Glauben an Christus offenbar, also weder im naturalistischen
Objektivismus noch im idealistischen Subjektivismus. Aber die
christologische Anthropologie schließt die Erkenntnisse der
beiden „grundsätzlich in sich, scheidet aber zugleich ihre Irrtümer
aus" (43). — Das vierte Kapitel, „Folgerungen", übt zunächst
scharfe Kritik an Barth und Bultmann (vgl. schon den
Exkurs in Brunners Dogmatik III, 1960, S. 245 ff.: Zur theologischen
Lage der Gegenwart); beide verfehlen das Wesen der
Wahrheit als Begegnung in entgegengesetzter Richtung, Barth
im Widerspruch zu seinem großen Anfang mit einem neuen
Objektivismus, „Theologismus", dem „Abgleiten in eine neue
Orthodoxie" (47), Bultmann mit einem extremen Subjektivismus,
indem er den Christusglauben gänzlich mit dem neuen Selbstverständnis
identifiziert — durch die Verbindung mit Heidegger
kommt er statt zu einer Interpretation vielmehr zu „einer Verstümmelung
des neutestamentlichen Zeugnisses von Jesus Christus
" (52). — In einem zweiten Stück dieses Kapitels behandelt
Brunner dann „Idee und Rechtfertigung einer christlichen Philosophie
" (vgl. schon sein Buch „Offenbarung und Vernunft",
1941", 1961, Kap. 25): er erörtert ihr Wesen und ihre notwendige
Stelle und zeigt ihre Wirklichkeit an einer Reihe großer
christlicher Denker seit Augustin auf.

Der zweite Teil des Buches bietet den Text der 1. Auflage
unter dem Titel „Wahrheit als Begegnung". Das biblische Wahrheitsverständnis
, das es nunmehr zu entfalten gilt, kann durch
den Objekt-Subjekt-Gegensatz, wie er unser rationales Denken
beherrscht, nicht erfaßt werden. Denn — das ist die Hauptthese
des Buches — die Wahrheit ist nach biblischem Verständnis ein
Geschehen, und zwar ein „Beziehungsgeschehen", in dem Gott
und Mensch in personaler Korrespondenz aufeinander bezogen
sind, besser: Gott sich auf den Menschen bezieht (90). Dadurch
unterscheidet sich das christliche Wahrheitsverständnis von dem
gewöhnlichen, dem allgemein-rationalen, dem philosophisch-wissenschaftlichen
. Die Wahrheit in diesem Sinn steht jenseits des
Objekt-Subjekt Gegensatzes (71, 86). „Der Gegensatz des Objektiven
und Subjektiven ist auf das Wort Gottes und den
Glauben nicht anzuwenden" — diese Korrelation muß durch eine
andere ersetzt werden.

Das erste Kapitel dieses Teiles zeigt auf, wie die Theologie
seit ihren frühen Tagen dem nicht gerecht geworden ist. Sie
hat vielmehr im Verständnis der Glaubenswahrheit und der
Kirche den Objekt-Subjekt-Gegensatz verwendet — „ein unheilvolles
Mißverständnis, das nicht nur sämtliche Inhalte der
christlichen Lehre betrifft, sondern sich auch in der kirchlichen
Praxis verhängnisvoll auswirkt und Verkündigung und Glauben
in der Gemeinde aufs schwerste schädigt" (71). Die Theologie ist
entweder einem falschen Objektivismus oder dem falschen Subjektivismus
verfallen, sie hat damit die christliche Wahrheit
überfremdet und „die christliche Kirche mehr als einmal an den
äußersten Rand der Entstellung und Auflösung gebracht". Man
hat den Glauben intellektuell statt personal verstanden, die
Kirche klerikalistisch umgedeutet. Das wird in einem Gang
durch die Kirchengeschichte aufgezeigt („Objektivismus und Subjektivismus
in der Geschichte der Christenheit (67—86). Diesem
Mißverständnis der christlichen Wahrheit sich zu widersetzen,
die bibelfremde Denkkategorie des Objekt-Subjekt-Gegensatzes
aus dem Verständnis von Gotteswort und Glaube zu beseitigen
und das echte Verständnis der Wahrheit wieder zur Geltung zu
bringen, das ist das erklärte Ziel von Brunners Schrift (86).

Das zweite Kapitel des zweiten Teiles legt „das biblische
Wahrheitsverständnis" dar (87-110). Es ist bestimmt dadurch,
daß Gott und Mensch in der Urbeziehung der „personalen Korrespondenz
" stehen — sie ist „die Grundkategorie der biblischen
Offenbarung" (104). Diese personale Korrespondenz verwirklicht
sich auf Seiten Gottes im Wort, auf Seiten des Menschen
im Glauben, im „Vertrauensgehorsam". Dabei geschieht Begegnung
zwischen Gott und Mensch, persönliche Gemeinschaft, also
etwas ganz anderes als „erkenntnismäßiges Erfassen eines Sachverhaltes
". Damit aber ist der Objekt-Subjekt-Gegensatz überwunden
. Gottes Selbstoffenbarung ist kein Objekt. Wort Gottes