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Ausgabe:

1965

Spalte:

129-131

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Stoevesandt, Karl

Titel/Untertitel:

Bekennende Gemeinden und deutschgläubige Bischofsdiktatur 1965

Rezensent:

Klügel, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 2

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Mitteln der geistigen Kontroverse geführt, die freilich auch in
politischen Verhaltensweisen ihren Niederschlag fand, hat anders
und besser als in Deutschland auch kirchlich aufklärend gewirkt.
In dem Maße wie die wirtschaftspolitischen Fragen in den Vordergrund
traten, bekam man auch einen unbefangeneren Blick
für die soziale Verpflichtung von Christentum und Kirche.
Berlin Karl K u p i sch

Rieser, Herbert: Der Geist des Josephinismus und sein Fortleben.

Der Kampf der Kirdie um ihre Freiheit. Wien: Herder [1963J. XI,
127 S. 8°. Kart. DM 12.80.

In der Reformpolitik des aufgeklärten Absolutismus nimmt
der Josephinismus eine besondere Stellung ein. Auf dem Boden
des österreichischen katholischen Kirchentums hat er seine geschichtlichen
Auswirkungen gehabt. Die bekannten Darstellungen
von Eduard Winter (1943) und Fritz Valjavec (1944) waren die
letzten wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema.
Aber erst die 5bändige Dokumentcnsammlung von Ferdinand
Maass (1951—1961) hat eine breitere interessierte Öffentlichkeit
mit dem wesentlichen Quellenmaterial bekannt gemacht. Darauf
fußt die vorliegende Schrift. Der Verf. will aber keine historischwissenschaftliche
Darstellung des Josephinismus geben. Ihm
kommt es auf den Geist des Josephinismus an, der nicht nur
auf das 18. Jahrhundert bzw. auf die Regierungszeiten der späten
Maria Theresia bis zu Joseph II. beschränkt ist, sondern sich in
der säkularen Gestalt eines Staatskirchentums manifestiert. So
greift die Schrift in die Entwicklung des Problems im 19. Jahrhundert
hinein, ja, es werden im letzten Teil auch kritische
Fragen zur gegenwärtigen Lage in Österreich aufgeworfen. Was
an geschichtlichem Tatsachenmaterial geboten wird, ist zuverlässig
, auch gut proportioniert, bietet aber dem Sachkenner
eigentlich nichts Neues. In dem Teil, der den Josephinismus im
engeren Sinne behandelt, vermisse ich eine Erwähnung des
Widerstandes, den die kirchenpolitischen Reformen Josephs II.
in den österreichischen Niederlanden jnden haben. Der Verf.,
dessen Schrift mit kirchlicher Druckerlaubnis erschienen ist,
vertritt — was sein gutes Recht ist — einen bestimmten, in der
katholischen Theologie entwickelten Kirchenbegriff, nämlich die
,,Lehre der Offenbarung von der Kirche als vollständiger Gesellschaft
", ,,als dem juridisch und ontisch vollständig ausgerüsteten
Reich Gottes auf Erden", worüber man wohl theologisch
aber historisch-politisch doch gar nicht diskutieren kann. Uber
die Fehlbildungen eines Staatskirchentums, zumal in der so oder
so gearteten Gestalt eines „Josephinismus" besteht heute kein
Zweifel. Die Freiheit der Kirche bleibt die immer wieder neu
zu erkennende Aufgabe. — Der Verf. schließt seine Schrift, deren
leiser apologetisch-polemischer, theologisch-bekenntnishafter
Unterton nicht zu überhören ist, mit der Hoffnung, daß sich
heute, ,.nachdem die starke Verbindung von Kirche und Staat
des Mittelalters in die völlige Trennung in der Neuzeit umgeschlagen
ist, allmählich die Synthese einer gemäßigten Zusammenarbeit
von Kirche und Staat" anzubahnen scheint.

Berlin KarlKupisch

Stoevesandt, Karl, Prof. D. Dr. med.: Bekennende Gemeinden
und deutschgläubige Bischofsdiktatur. Geschichte des Kirchenkampfes
in Bremen 1933—1945. Göttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht 1961.
201 S. gr. 8° = Arbeiten z. Gesdiichte d. Kirchenkampfes, im Auftr.
d. „Kommission d. Evang. Kirche in Deutschland f. d. Geschichte d.
Kirchenkampfes" i. Verb. m. H. Brunotte u. E. Wolf hrsg. v. K. D.
Schmidt, 10. DM 15.—.

Es handelt sich um eine der in obiger Schriftenreihe
erscheinenden landeskirchlichen Monographien, zugleich Vorarbeiten
für eine Gesamtdarstellung des Kirchenkampfes.

Der Verf. ist Prof. der Medizin, Arzt in Bremen, D. theol.
h. c. Er war Vorsitzender des Landesbruderrates der Bremischen
Evangelischen Kirche und zeitweise Mitglied des Reichsbruderrates
, Bauherr der Gemeinde „Unser Lieben Frauen".
So hat er den Kirchenkampf in Bremen als aktives Glied der
BK miterlebt und ist mit den Verhältnissen aufs beste vertraut
. Gegenüber abweichenden Auffassungen in der Bekennenden
Kirche wahrt er Objektivität, wenn auch sein eigener Standort

in der Perspektive des Ganzen zur Geltung kommt (bes. zu
Dahlem III, 3). Als Nicht-Theologe schildert er mit beachtlichem
Einfühlungsvermögen (gestützt auf Dokumente) auch theologische
Zusammenhänge.

Seine L Stellung gewinnt über den Rahmen Bremens hinaus
grundsä. 'che Bedeutung, weil die Bremische Evangelische
Kirche u ; Kirdie ohne Bekenntnis und ohne eigentliches
Kirchenregiment bzw. Verbundenheit unter den Gemeinden
einen Sonderfall unter den Landeskirchen darstellt. Die Auseinandersetzung
mit der Deutsch-christlichen Diktatur konnte
unter diesen Voraussetzungen kaum zu einer geschlossenen Gegenwehr
führen.

Daher erklärt sich z. T. der so schnell erfolgende Einbruch
kirchenfremder Gewalt (Kommissar Heider) und die Stabilisierung
der Bischofsdiktatur (Lic. Dr. Weidemann). Letzterer vermochte
seine Machtstellung auf Grund des Führerprinzips rücksichtslos
auszubauen und fand nach seinem Scheitern in dem
Leiter der Finanzabteilung (Cölle) einen staatskirchlich ausgerichteten
zielbewußten Nachfolger. Nach der (sicher zutreffenden)
Darstellung Stocvesandts konnte Widerstand eigentlich nur von
den einzelnen Gemeinden aus geleistet werden und war dort
sehr unterschiedlich lokalisiert (mannigfache Schattierungen von
Deutsch-Christentum, neutraler Mitte und Bekennender Kirche
auf dem Hintergrunde des alten Gegensatzes von liberal und
positiv). Bruderräte bildeten sich innerhalb von acht Gemeinden.
Eine nicht recht aktionsfähige Synode versuchte neben dem
Landesbruderrat den bekennenden Teil der Bremischen Kirche
zusammenzufassen, dazu kam später die mehr auf neutraler
Grundlage stehende „Arbeitsgemeinschaft bremischer Pastoren".

Die charakteristischen Unterschiede innerhalb der Bekennenden
Kirche werden — von einem Augenzeugen geschildert —
an der unterschiedlichen Stellungnahme des Bruderrats in der
Stephanikirche (Pastor Greiffenhagen, Exponent des Dahlemer
Flügels der BK), und „Unser Lieben Frauen" (Bauherr der Verf.)
aufgezeigt. Die letztere gab dem Widerstand gegen Weidemann
stärkeren Rückhalt. Besonders nachteilig entzündeten sich Differenzen
in der BK an der Stellung zu Dahlem III, 3 (Pflicht zur
Scheidung von DC-Kirchenleitungen und ihrer Gefolgschaft,
S. 61 ff.). Die Scheidung war praktisch vielfach kaum durchzuführen
. Das Urteil Stoevesandts: „Auch hatte sich nun bewährt
, daß die zur BG gehörenden Bauherren von Unser Lieben
Frauen entgegen Dahlem III, 3 sich nicht von ihrer Kirchengemeinde
getrennt, sondern sie zu sich herübergezogen hatten"
(S. 111) zeigt das Engagement des Verfassers, wird aber vermutlich
nicht unbestritten bleiben.

Nicht so deutlich wie der vom unmittelbaren Miterleben
des Verfassers getragene Bericht über die Auseinandersetzung
zwischen der BK und Weidemann sind seine Ausführungen über
die Haltung der neutralen Mitte und auch die Beteiligung
weiterer Gemeindekreise am Kirchenkampf. Über einige größere
Bekenntnisveranstaltungen hinaus scheint die kirchliche Öffentlichkeit
nicht erheblich bewegt worden zu sein.

Auch das Profil der DC, die ja von Weidemann mit eigenem
reichskirchlich-reichsbischöflichem Akzent geführt wurden,
könnte schärfer gezeichnet sein. Die bei allen Differenzen
noch vorhandene Nähe Weidemanns zu den Thüringern beruhte
auf der Gemeinsamkeit der nationalkirchlichen Ideologie, die
bei ihm freilich weltanschaulich-politisch geprägt war und später
zur akuten Entchristlichung seines Denkens geführt hat.

Sein Versuch, in der Bremer Bibelschule, der Aktion „kommende
Kirche" und den Eindeutschungsversuchen biblischer
Texte ein deutsch-christliches geistiges Zentrum auf Bremer
Boden zu schaffen, wird in der Darstellung nur gestreift. (Hier
bietet Kurt Meyer, Die deutschen Christen, Halle 1964, Ergänzungen
.)

Die Verbindung zu den zentralen Vorgängen und Gremien:
zur VL (Durchführung einer Visitation, vgl. S. 71), zum Reichsbruderrat
, RKA, auch zur Kanzlei der DEK und zum Reichskirchenministerium
könnte noch genauer gekennzeichnet werden.
Das Verhältnis zu den Nachbarlandeskirchen (Oldenburg, Hannover
) z. B. anläßlich der Versuche eines Zusammenschlusses der