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Ausgabe:

1965

Spalte:

118-121

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schille, Gottfried

Titel/Untertitel:

Frühchristliche Hymnen 1965

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 2

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(stoische) Bildsprache von dem Körper als Organismus und ihre
Verwendung und Deutung im gnostischen Mythus. Dieser
Mythus kennt keine Erlösergestalt, die die Erlösten in leiblicher
Einheit zusammenschließt. Im Gegensatz zu dem dualistischen
Weltbild der Gnosis ist das Weltbild der Bibel, auch
da6 von Eph und Kol durch den Schöpfungsgedanken antidualistisch
bestimmt. In der biblisch-jüdischen Sphäre finden sich
die Vorstellungen der Personifikation und Repräsentation, die
für die Christologie so bedeutsam sind, vorgebildet. .

Nach Aussagen von Rom wie von 1. Kor kommt Christus
universale Geltung zu. Er ist als Gegenbild Adams Repräsentant
der ganzen Menschheit, die er in sich umfaßt und vergegenwärtigt
. Die eschatologische Erwartung, die in der spätjüdischen
Literatur sich auf Adam richtet, ist hier in Christus erfüllt.
Wenn die Gemeinde mit ihren Gliedern als Leib Christi einen
Organismus darstellt, so ist damit eigentlich schon der Gedanke
an Christus als das Haupt des Leibes impliziert. Der
Gedanke der Hingabe in den Tod und zugleich der der Überwindung
des Todes fügt sich dem ein. Zugleich ist mit dem
Bild des Hauptes der Begriff der Herrschaft schon vokabelmäßig
gegeben. Von da aus lassen sich auch die Aussagen von Eph
und Kol ohne Schwierigkeiten einordnen; die Echtheitsfrage
spielt keine Rolle, da sachliche Verwandtschaft besteht; der
Verf. hält eine Lösung im Sinne der Tradition für möglich. Das
Weltbild dieser Briefe umfaßt Himmel und Erde, das All und
die Mächte. Aber es geht nicht um kosmologische Spekulationen,
sondern um die Eigenart des geistlichen Lebens der Kirche auf
Erden und ihr Verhältnis zu Christus, das durch den kosmischen
Umfang seiner Herrschaft über alle Mächte charakterisiert ist.
So ist nach Gottes Willen das Heil, dessen Mittler er ist, nicht
auf die Kirche beschränkt, sondern in Christus als dem Haupt
ist alles zusammengeschlossen. Aber nur die Kirche, nicht der
Kosmos ist sein Leib. Ihr ist Christus gegeben als das Haupt
auch des Kosmos, der ihm unterworfen ist. Die Kirche bildet
als sein Leib eine Einheit mit ihm und erfährt ihre Erfüllung
durch ihn, wie umgekehrt die Kirche das Pleroma Christi darstellt
. So baut sich die Gemeinde auf und wächst auf ihr Haupt
zu und erhält doch zugleich aus diesem Haupt die Kraft ihres
Wachstums. Damit ist der Gedanke an das harmonische Wachstum
der Glieder zu dem einen Leib, der wie ein natürlicher
Organismus erscheint, zugunsten der Vorstellung von der Herrschaft
des Hauptes über den ganzen Leib (nicht etwa nur über
den Rumpf, den Christus als das Haupt, der Kopf ergänzte) aufgegeben
. Von dieser Bildsprache her versteht sich der Alleinanspruch
Christi über Menschen und Kosmos. Christus gibt
volles Genügen in der Befreiung vom Gesetz wie von allen den
Mächten, die die Menschen bedrohen. Denn er ist das Haupt
über alles für immer. Er ist Ebenbild Gottes, der Erstgeborene
der Schöpfung, die in ihm sich erneuert wie sie durch ihn und
zu ihm hin ihr Sein hat. Alles ist in Christus geschaffen. Die
Schöpfung ist in ihm zur Einheit geworden und kann nur durch
ihn bestehen.

In diesen analytischen Paragraphen wird zugleich mit der
Einzelexegese die Auseinandersetzung mit der Forschung geführt
. Dabei sind wohl seit der Untersuchung von Traugott
Schmidt, Der Leib Christi (1919), alle wesentlichen Arbeiten
und Äußerungen zu dem Thema herangezogen. Die Eigenständigkeit
und die innere Einheit der neutestamentlichen Aussagen
namentlich gegenüber religionsgcschichtlichen Vergleichen
und Herleitungen bis zu den gnostischen Texten von Nag
Hamadi und der Qumran-Gemeinde nachzuweisen, ist ein ernstes
Anliegen des Verfs. Das Schlußkapitel über die Bedeutung
des Verhältnisses Haupt - Kirche - Kosmos gibt eine mehr systematische
Gesamtübersicht. Zunächst werden die Grundgedanken
der Arbeit zusammengefaßt: Christus bekleidet nicht allein in
der Kirche, sondern auch im Kosmos die zentrale und alles umfassende
Stellung. In ihm werden sowohl Kirche als Kosmos
zusammengeschlossen. Seine Stellung als Haupt seiner Gemeinde
beruht auf seiner mit der ehelichen Liebe zu vergleichenden
Liebe zu ihr als dem körperlichen Wesen, für das er sich dahin-
gegeben hat. Als Haupt des Kosmos aber ist er der, dem die
Herrschaft über alle Obrigkeiten und Mächte zukommt und der

über sie triumphiert. Für die Gemeinde bringt er durch seinen
Tod am Kreuz die Erlösung, für die feindlichen Mächte aber
ist damit der Untergang besiegelt. Die ekklesiologische Bedeutung
der Doppelstellung Christi als Haupt aber liegt in dem Gedanken
, daß die Gemeinde seiner Gläubigen zu einem organischen
Körper aus ihm und zu ihm erwächst. Damit rückt die
heilsgeschichtliche Wahrheit in den Vordergrund, daß in der
Kirche als dem Leib Christi die eschatologische Spannung zwischen
dem „Bereits" und dem „Noch Nicht" sich vollzieht. In
Christus hat Gott bereits das All zusammengefaßt, aber die
alles umfassende Stellung Christi als Haupt muß auch noch eine
sichtbare Wirklichkeit werden. Darin liegt die Aufgabe der
Kirche. Als Leib Christi muß sie auf die Vollkommenheit
Christi, zu der sie sich auferbauen soll, ausgerichtet sein. In dem
„Noch Nicht" der Kirche kommt ihre mitleidende Solidarität
mit der Welt zum Ausdruck. Die Kirche ist zugleich Repräsentant
der Vollmacht Christi und der Gebrochenheit der Welt.
Soweit sie aber Christus als Haupt bekennt vor der Welt, geht
es nicht mehr um ihre Gebrechlichkeit, sondern um ihre Vollmacht
, die in Christi Stellung als Haupt über Kirche und Kosmos
zum Ausdruck kommt. — Eine Zusammenfassung in englischer
Sprache, ein Stellen-Register und ein Autoren-Verzeichnis
am Schluß erleichtern die Benutzung des auch in Papier und
Druck sorgfältig hergestellten Werkes, das unter der Autorität
der Theologischen Academie uitgaande van de Johannes Calvijn
Stichting te Kampen erschienen ist.

Gießen Georg Bertram

S c h i 11 c, Gottfried : Frühchristliche Hymnen. Berlin : Evang. Verlagsanstalt
[1962], 161 S. gr. 8°. DM 12.80.

Die Untersuchung liturgischer Stücke im Neuen Testament
ist nach dem ersten Vorstoß H. Gunkels (Harnack-Festausgabe
1921) nur zögernd in Gang gekommen, das meiste findet sich
verstreut in Aufsätzen und Kommentaren. So kann Gottfried
Schille, Verfasser von Aufsätzen zu Fragen der Synoptiker,
der Apostelgeschichte und des Hebräerbriefs, mit seiner
ersten Buchveröffentlichung, einer zusammenhängenden Darstellung
der frühchristlichen Hymnen, eine längst fällige Aufgabe
in Angriff nehmen. Unter Berufung auf 1. Kor. 14,26
setzt er den Anfang christlicher Hymnendichtung in sehr
früher Zeit an und sieht sie, seinen Lehrern Ernst Käsemann und
Günther Bornkamm folgend, in engem Zusammenhang mit dem
fest formulierten Bekenntnis, der Homologie. Dank dieser Prägung
heben sich liturgisches Zitat und Zitator klar voneinander
ab, stehen sich nicht selten gegenüber als Produkt der Ge-
mcindetheologic und Gedankenführung des Autors. Der zunächst
überraschende Einsatzpunkt bei so schwierigen Stücken wie den
liturgischen Partien des Ephescr- und Kolosserbriefes erklärt sich
nicht allein dadurch, daß die Arbeit eine Weiterführung der
Dissertation des Verfassrs über das liturgische Gut im Epheser-
brief (Göttingen 1953, vgl. ThLZ 80, 1955, Sp. 183) ist, sondern
liegt in der von ihm entwickelten Konzeption der Frühgeschichte
des Christentums im hellenistischen Bereich begründet.

In der methodologisch entscheidenden Frage der Abgrenzung der
hymnischen Stücke wird der hier waltende Dualismus zwischen formalen
und inhaltlichen Kriterien nicht verschwiegen. Auf der einen
Seite steht die Notwendigkeit klarer formaler Kriterien (genannt
werden u. a. Zitationspartikel, auslcitcnde Wendungen, Stilunterschiede
zum Kontext, Glossen), auf der anderen das Wissen darum, daß erst
die in der Motivanalyse aufgewiesenen Besonderheiten die liturgischen
Partien von ihrer Umgebung absetzen.

Nachdem der Verfasser seine methodischen Prinzipien mit
vorbildlicher Prägnanz dargelegt hat, setzt er mit der Analyse
von Eph. 2,14—18 ein (S. 24—31), einem Stück, an dem sich
seine Arbeitsweise besonders gut verfolgen läßt. Der Zitat-
charaktcr erscheint ihm gesichert durch das einleitende ort
recitat, das den Abschluß markierende uga ovv und den Wir-
Stil der Partie. Uns erscheinen diese Merkmale kaum eindeutig:
der Wechsel zwischen 1. und 2. Person begegnet in diesem Kapitel
8mal, aya ovv führt in den Paulinen Darlegungen juridischen
(Rom. 7, 3.25; 8,12, in weiterem Sinne auch 5,8. 9,16) und