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Ausgabe:

1965

Spalte:

941-943

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Altmann, Eckhard

Titel/Untertitel:

Die Predigt als Kontaktgeschehen 1965

Rezensent:

Voigt, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12

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Die geringen Einblicke in das reichhaltige Buch mögen zeigen
, daß es nicht nur eine gute Basis für ökumenische Gespräche
abgibt, sondern aus der Gemeinsamkeit wichtiger theologischer
Aussagen und der weisen Erörterung der geistesgeschichtlichen
Lage des heutigen Predigers auch unmittelbare Hilfe für den
evangelischen Prediger bietet; denn — darin dürfte jeder mit dem
Verfasser einig sein — : „Der Prediger spricht nicht als Beauftragter
des Volkes, sondern als Beauftragter Gottes. Er
muß das wahre Evangelium verkünden. Die Anpassung an die
Bedürfnisse der Hörer darf nie zu einer Verfälschung des Evangeliums
werden" (S. 210).

Tübingen Walter TJ h sad el

Altmann, Eckhard: Die Predigt als Kontaktgeschehen. Berlin:
Evang. Verlagsanstalt [1963]. 77 S. gr. 8° = Aufsätze u. Vorträge
z. Theologie u. Religionswissenschaft, hrsg. v. E. Schott u. H. Urner,
H. 27, u. Stuttgart: Calwer. = Arbeiten zur Theologie, 1. Reihe,
hrsg. mit A. Jepsen u. O. Michel von Th. Schlatter, H. 13.

Das aktuale Predigtgeschehen kommt in der homiletischen
Literatur meist zu kurz. Im akademischen Lehrbetrieb könnt:
man das nahende Semesterende dafür verantwortlich machen. In
den Lehrbüchern wird deutlich, daß das Übergewicht der theologischen
Sachfragen die technischen Bezirke der Homiletik beeinträchtigt
. Was A 11 m a n n uns vorträgt, macht deutlich, wie
eng Sache und Methode miteinander verbunden sind, wie stark
also die Methode, die doch von der Sache her entwickelt werden
muß, selbst zur Sache gehört. „Die menschlichen Beziehungen im
sozialen Felde des Predigtgeschehens haben theologisches Gewicht
. . . Die Predigt wird nur dann zur Begegnung mit dem
Worte Gottes, wenn es dabei auch zur vollen Begegnung zwischen
den Menschen unter dem Wort, zwischen dem Prediger
und den Hörern kommt" (S. 76). Die Minderbewertung des
Technischen würde also auch einen Verlust für die Sache bedeuten
. Es ist berechtigt, die anthropologischen (sprachphilosophischen
, sprachpsychologischen, sprachtechnischen) Aspekte in die
homiletischen Erörterungen stärker als früher einzubeziehen und
damit eine Lücke zu schließen. Vf. hat Tonbandaufnahmen aus
dem homiletischen Seminar, also Studentenpredigten (nur am
Rande sind Predigten älterer Prediger herangezogen), ausgewertet
. Dabei ergeben sich eine Fülle von Erfahrungen, Einsichten,
Hinweiser, und Hilfen.

Vf. verwirft das wörtlich ausgeführte Predigtkonzept. Es
hindert das Kontaktgeschehen. Alle Beteuerung, es sei ja auf
eine „Neuschöpfung der schriftlich fixierten Predigt auf der Kanzel
" abgesehen, muß als illusionär gelten. Das schriftlich ausgeführte
Konzept ist monologisch strukturiert. Beim Schreiben „bleiben
die anregenden und hemmenden Kräfte des sozialen Feldes fern"
(S. 23). Der Schreiber hat Zeit, also neigt er zur Raffung und zu
Gedankensprüngen. Was der Hörer nur im Nacheinander erfassen
kann und darum sofort im Gedächtnis festhalten muß, hat der
Schreiber optisch und darum so vor sich, daß größere Komplexe
erfaßt werden. Dem Hörer fehlt auch die graphisch-motorische
Gedächtnishilfe, „Schreibe" und „Rede" (Th. Vischer) liegen weit
auseinander.

Liegt ein ausgeführtes Konzept vor, dann wird die gehaltene
Predigt vor allem eine Gedächtnisleistung sein. In diesem
Falle liegen aber Gesetzmäßigkeiten vor, die die immer wieder
postulierte „Neuschöpfung" im Sinne einer freien Gestaltung
ausschließen. Die produktiven Kräfte müssen schweigen, sie
bringen uns ja nur aus dem Konzept (S. 37). Man sagt nicht, was
man im Augenblick denkt und fühlt, sondern was man vor drei
Tagen gedacht und gefühlt hat (nach Damaschke). Versucht man
doch, neu zu formulieren, dann schlägt oft die Formulierung des
Konzepts störend durch. Man denkt ans Konzept und sieht die
Hörer nicht an. Man setzt falsche und überzählige Akzente,
spricht mit forcierter, überhöhter, vielleicht „salbungsvoller"
Stimme — nur weil man bestrebt ist, dem toten Gedächtnisstoff
irgendwie Leben einzuhauchen. Es kommt zu Sprachstörungen
beim Prediger, sogar — durch „Übertragung" — bei den Hörern,
die sich nur durch „Abschalten" wehren können. Gestik und
Mimik werden unecht.

Demgegenüber käme es nun darauf an, dem Prediger zu
einer Weise des Predigtvollzugs zu verhelfen, die dem Kontaktgeschehen
dienlich ist. Sie muß der Situation des sozialen Feldes

mit der wechselseitigen Beeinflussung von Prediger und Hörern,
sie muß dem Dialogcharakter der Predigt entsprechen. Die herkömmliche
homiletische Ausbildung bleibt dem künftigen Prediger
vieles schuldig. Er soll lernen, anhand von Erzählstoffen
und dann in der Wiedergabe von Fachdiskussionen, das Aufgenommene
wiederzugeben. Er wird es in seiner Weise tun. „Bei
beharrlicher Übung wandelt sich das distanzierte, beziehungsscheue
Sprechen zu farbigerer, lebhafterer Gestaltung, in die nach
und nach Gemütskräfte einströmen und in die Erzählungsweise
wärmere Töne bringen" (S. 5 6). Die Predigtvorbereitung, an die
die hier vorgeschlagene Methodik nicht etwa weniger Sorgfalt
wenden will als die bisherige Konzept- und Memorierarbeit,
sucht (selbstverständlich über Exegese, systematische Besinnung
und Meditation) zu einem Stichwortentwurf zu gelangen, der die
nötige Materialorientierung enthält. Die Stichworte sollen nicht
abstrakte Begriffe, sondern Reizworte sein (Haendler würde
sagen: „Angelhaken"), die „dominierenden Vorstellungen" im
Sinne von W. Wundt. Der Plan ist in Thema und Teilen festgelegt
. Das Ganze oder einzelne Abschnitte werden wiederholt
„durchgesprochen". Einzelne geprägte Wendungen, zwei oder
drei Sätze und besonders der Schluß werden wörtlich festgehalten
. Die Wiedergabe erfolgt dann frei, ohne den Zwang eines
fremden Gesetzes. „Die freie Rede in der Predigt ist die Form
christlicher Verkündigung, bei der ein inhaltlich vorbereitetes
und hörgerecht geordnetes Stück oder Thema der Heiligen
Schrift unter voller Ausnützung der Kräfte des sozialen Feldes
den Bedingungen des Raumes, der Zeit und der Gemeinde in
freier Gestaltung angepaßt wird" (S. 73).

Die vorliegende Schrift enthält eine Fülle von Einsichten,
deren Stichhaltigkeit von niemandem bestritten werden wird.
Auch wo man in diesem oder jenem Punkte anderer Meinung ist,
wird man dankbar sein für das ausgebreitete Material und für die
vorgeführten Gesichtspunkte. Die ganze Fragestellung zielt auf
Mängel der homiletischen Praxis und Ausbildung, mit denen wir
uns nicht ungestraft abfinden können. Es gibt in der Tat, weit
verbreitet, eine Weise des Umganges mit dem Konzept, die all
die hier aufgezeigten Schäden mit sich bringt. Aber in einigem,
was Vf. vertritt, sehen wir doch (fruchtbare, das Gespräch ankurbelnde
) Einseitigkeiten. So wird man den Dialogcharakter der
Predigt vertreten, aber man muß wissen, daß man damit nur eine
Dimension des Predigtgeschehens trifft. In ihrer Mitte ist die
Predigt das der Gemeinde zugesprochene eigene Wort Gottes,
das (nicht nur um der liturgischen Bindung willen, S. 15) keine Diskussion
verträgt. Die dialogischen Elemente der Predigt haben
nur propädeutischen Charakter. Denn Predigt ist in ihrem Zentrum
eine Weise der Absolution. — Die Predigt soll gewiß etwas
wollen. Aber die Alternative: Sachvortrag oder Überzeugungsrede?
verkennt das unaufgebbare Zueinander von Indikativ und Imperativ
. (Schon das Wort „Vortrag" verfälscht den Sachverhalt.)
— Das ausgeführte Konzept wird m. E. zu schlecht beurteilt.
Ein Konzept, das dem tödlichen Gesetz des Monologes verfallen
ist, ist freilich ein schlechtes Konzept. (Was für Briefe schreiben
wir eigentlich? Stehen auch sie unter der dira necessitas der Kon-
taktlcsigkeit?) Sind die Menschen, denen wir predigen, wirklich
so weit weg, wenn wir in der Stille unserer Klause an der Predigt
arbeiten? Bedenken wir, was sie uns anvertraut haben, wirklich
nur in den Augenblicken ihrer leibhaften Gegenwart? Bricht das
„soziale Feld" in dem Augenblick zusammen in dem wir einander
(vorübergehend) „aus den Augen" sind? — Muß die Denk-
struktur der „Schreibe" der gesprochenen Rede wirklich so fern
sein, wie Vf. meint? Es stimmt schon, was er über die Stilunterschiede
und die psychologischen Auswirkungen schreibt. Aber es
gibt hier erhebliche Gradunterschiede. Man kann Redestil schreiben
. (Es gibt Geschriebenes, das sich ausgezeichnet vorlesen läßt.)
Wir können hier nur einige Fragen antippen.

Nun marschieren wir mit dem Vf. zwar nicht auf gleicher
Straße, jedoch in gleicher Richtung, wenn wir sagen: Das wörtlich
ausgeführte Manuskript ist dann vom Übel, wenn man falsch
damit umgeht. Wer es sich beim Memorieren nur „einbleut",
kann es vor der Gemeinde auch nur „aufsagen", und er wird
allen Mängeln und Verkehrtheiten unterliegen, die Vf. aufzeigt.
Das Konzept soll so eingeprägt werden, daß man von der anfänglichen
großen Überschau über das Ganze allmählich zu den