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Ausgabe:

1965

Spalte:

939-941

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Günthör, Anselm

Titel/Untertitel:

Die Predigt 1965

Rezensent:

Uhsadel, Walter

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939

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12

940

PRAKTISCHE THEOLOGIE: HOMILETIK

G ü n t h ö r, Anselm, OSB : Die Predigt. Theoretische und praktische
theologische Wegweisung. Freiburg-Basel-Wien: Herder [1963]. XI,
279 S. gr. 8°. Lw. DM 25.80.

Der Verf. ist Benediktiner, war lange Jahre Gemeindeseelsorger
in Weingarten und ist jetzt Inhaber des Lehrstuhls
der Moraltheologie und Homiletik an der Päpstlichen Ordenshoch-
schule der Benediktiner San Anselmo in Rom. Wir können also
annehmen, daß sein Buch aus der Erfahrung der Gemeindeseelsorge
gewachsen ist, daß die theologische Verarbeitung dieser Erfahrung
durch das herausgehobene theologische Lehramt, das der Verfasser
bekleidet, beglaubigt ist und daß schließlich seine Aussagen
im Einklang mit der Lehrautorität seiner Kirche stehen.
Schon dies muß dem evangelisch-theologischen Leser, der an einem
ökumenischen Gedankenaustausch interessiert ist, wichtig sein.
Er wird zunächst erwarten dürfen, daß er es hier mit einer gültigen
Lehrmeinung zu tun hat, mit der ins Gespräch zu kommen
sich lohnt. Das Unterscheidende wie das Verbindende muß hier
klar zum Vorschein kommen. Darüber hinaus muß es von hohem
Wert sein, daß die Probleme an einem so konkreten und für das
evangelisch-theologische Verständnis zentralen Gegenstande wie
der Predigt sichtbar werden. Es sei schon an dieser Stelle vermerkt
, daß solche Erwartungen in reichem Maße erfüllt werden.

Natürlich tritt das Unterscheidende deutlich hervor. Es
liegt in der Hauptsache im Amtsverständnis und in, der Ekklesio-
Iogie, in die es eingebettet ist. Eine evangelische Theologie, die
dieser Voraussetzung des Buches gegenüber kritische Fragen hat,
wird sich freilich selbst am Neuen Testament prüfen müssen, ob
nicht auch sie das neutestamentliche Verständnis der Kirche und
ihre6 Amtes verfehlt. Schon ein Blick in die lutherischen Bekenntnisschriften
müßte sie unsicher machen, ob denn die heute gängige
, bloß institutionelle Auffassung von Kirche und Amt nicht
lediglich die kontroverstheologische Gegenposition darstellt. Von
diesem kritischen Ansatz aus wäre der zentrale theologische Satz
des Buches „Christus predigt Christus" zu untersuchen. Eine
solche Untersuchung wird notwendigerweise in eine Erörterung
des Verhältnisses von Wort und Sakrament führen. Es ist selbstverständlich
, daß der katholische Theologe nicht in der Versuchung
ist, das Wort auf Kosten des Sakraments hervorzuheben.
Um so bemerkenswerter ist 6ein Bemühen, sich darüber Rechenschaft
zu geben, inwiefern Christus in der Predigt selbst gegenwärtig
ist. Günthör führt eine weitgespannte Skala theologischer
Meinungen zu dieser Frage vor, die von der Formulierung „Sakrament
des Wortes" bis zum Begriff des Heilsdialoges zwischen
Gott und Mensch reicht, in dem die Zwei-einheit von Wort und
Sakrament, Menschwerdung und Opfertod Christi, wirksam wird
(O. Semmelroth). Er hebt abschließend hervor, daß Semmelroths
Auffassung zwar im Augenblick „den Schlußpunkt der Entwicklung
in der Theologie über die Wirkkraft und die Wirkung der
Verkündigung der Kirche" darstelle, daß aber die Bemühung um
eine Lösung des Problems weitergehen müsse, da auch gegen
Semmelroths Lösung noch mancherlei Bedenken zu erheben seien.
Aus dieser Behutsamkeit wird der evangelische Theologe lernen
können, daß es nicht ratsam ist, kurzerhand zu behaupten, daß
die Realpräsenz Christi im gepredigten Wort nicht anders und
nicht geringer sei als im Sakrament, zumal dann, wenn diese Behauptung
auf eine Entwertung des Sakraments hinzielt. Weder
eine Über-, noch eine Abwertung des Sakraments können der
rechten Wertung der Predigt als Predigt Christi selbst dienlich
sein. Daß es Günthör mit vollem Ernst um beides geht, Wort
und Sakrament, Predigt und Eucharistie, macht ihn zu einem erfreulichen
Gesprächspartner eines Theologen, der auf dem Boden
der lutherischen Bekenntnisschriften 6teht. Hier zeigt sich
— trotz aller notwendigen Unterscheidung im Ansatz — das Verbindende
.

Als verbindend wird man vor allem die Entschiedenheit ansehen
, mit der der Verfasser betont, daß die Predigt sein muß
und daß „die Verkündigung des Wortes Gottes in Schriftlesung
und Predigt" „aus der Struktur des Heilswerkes Christi" — d. h.

nicht nur aus pastoralen Gründen — zum Gottesdienst gehört.
Er stützt diese Aussagen durch zahlreiche Zitate von Theologen
und kirchenregimentliche Äußerungen. Dabei wird denn u. a.
auch einsichtig, daß zwei beliebte Meinungen protestantischer
Christen zu überprüfen wären, nämlich erstens, die Messe sei
eine magische Handlung, und zweitens, an der Stelle, die im
römischen Gottesdienst das Altarsakrament einnimmt, stehe im
protestantischen Gottesdienst die Predigt. Zum ersten 6tellt
Günthör mit Worten des französischen Episkopates fest: „Die
Messe ist keine magische Handlung, die ihre Wirksamkeit völlig
außerhalb von uns und ohne unsere Zustimmung entfaltete. Sie
ist ebensowenig eine Frömmigkeitsübung, deren Wert vor allem
vom Eifer der Teilnehmer abhinge. Sie ist eine Handlung Christi,
die unsere bewußte Mitwirkung, die Hingabe unseres Glaubens
fordert" (S. 214). Eben darin werde die Bedeutung der „Verkündigung
des Wortes Gottes" sichtbar, die keineswegs nur ein
Vorspiel zur eucharistischen Handlung sei. Zum andern fordert
Günthör neben der Predigt in der Messe, die „ein wirklich organischer
Teil von ihr" sein muß, gottesdienstliche Predigt in einer
Gestalt, die der lehrhaften Unterweisung der Gemeinde breiten
Raum gibt. Dafür macht er selbst konkrete Vorschläge. Interessant
ist in diesem Zusammenhange, daß er die Auffassung der
Predigt als „Unterbrechung der Messe" ablehnt. Wenn die römische
Diözesansynode fordere, daß die Predigt (nicht vor oder
nach, sondern) in der Messe, missae celebratione interrupta,
stattfinde, so sei das Wort Unterbrechung „natürlich nicht im
strengen Sinn zu nehmen, denn die Predigt ist keine Unterbrechung
, sondern ein Teil der Meßfeier" (S. 220).

Verbindend sind auch die sehr praktischen Ausführungen
Günthörs über die zeitbedingten Predigtprobleme. Sie zeigen,
daß der katholische und der evangelische Prediger in der gleichen
Lage sind, aber auch die gleichen Schwächen aufweisen. Was hinsichtlich
des Doktrinalismus, des Historizismus, des Individualismus
, des Moralismus und des Peripherismus gesagt wird, geht
beide in gleichem Maße an. Kritische Laienstimmen kommen ausgiebig
zu Worte und legen dar, daß in der katholischen Gemeinde
ein genau so kritisches Interesse an der Predigt besteht,
wie in der evangelischen. Hilfreich sind für den Prediger die
Ausführungen über das Wie der Predigt. Da ist etwa die Warnung
vor lateinischen Zitaten, die nur die Bildung des Predigers
glänzen lassen sollen, die Abwehr von Biblizismen (Sprache Kanaans
) und theologischer Fachterminologie, aber auch allzu persönlicher
Erzählungen. Die „Schimpfpredigt" wird einer kritischen
Untersuchung gewürdigt und die sprachliche Gestalt der
Predigt wird überprüft. „Wenn wir die schriftliche Fixierung der
Predigt empfehlen, wird damit nicht gesagt, daß sie dann Wort
für Wort auswendig gelernt werden muß. Im Laufe der Predigttätigkeit
gewinnt der Prediger schon durch das Niederschreiben
die notwendige Sicherheit des Ausdrucks, ohne dabei Sklave der
Niederschrift zu sein. Natürlich darf die Benützung der Niederschrift
auf der Kanzel selbst nicht in Frage kommen ( f ). Die
Gläubigen merken es nämlich und empfinden es peinlich. Es steht
dann etwas Trennendes zwischen dem Prediger und ihnen"
(S. 202). Es gibt zu denken, daß dem katholischen Prediger das
Ablesen der Predigt offiziell verboten ist, während es bei uns
mehr und mehr in Gebrauch kommt, die Homiletiker aber davor
zu resignieren scheinen. Auch die Länge der Predigt, die Frage
des Pathoß und der Konkretheit kommen bei Günthör zur
Sprache. Mit Recht verweist der Verfasser darauf, daß die Predigt
ein Dialog sein solle, daß jedoch die Dialogpredigt, wie sie
in Italien schon lange ( f ) gebräuchlich ist, diesen Charakter wegen
ihrer lehrhaften Wirkung gerade nicht habe. Auch bei den
Versuchen in evangelischen Gottesdiensten hat man sich des
Eindrucks nicht erwehren können, daß die Gemeinde dabei eben
nicht Gesprächspartner, sondern Zuhörer einer Lehrveranstaltung
ist, vielleicht sogar nur Zuschauer einer kleinen Sensation. Sollten
diese Versuche ein Zeichen dafür sein, daß der heutige Prediger
sich seine Unfähigkeit eingesteht, in lebendiger Zwiesprache
mit der Gemeinde zu predigen, der Gemeinde, deren
Lebensfragen ihm aus seiner seelsorgerlichen Arbeit vertraut
sein sollten?