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Ausgabe:

1965

Spalte:

925-926

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Aus den Jahren preussischer Not und Erneuerung 1965

Rezensent:

Delius, Walter

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925

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12

926

durchaus auch Aktualität innewohnt: Bei der Suche nach einer
neuen Gestalt unserer Kirche kann solcher Besinnung auf Francke
eine helfende oder auch warnende Bedeutung zukommen. Primär
freilich liegt der Wert der Arbeit darin, daß wir ein Bild von dem
Theologen Francke bekommen, wie es bisher nicht vorlag. Wir
haben für die Erschließung bisher wenig beachteter Quellen ebenso
zu danken wie für die subtilen theologiegeschichtlichen Analysen.
Den weiteren Bänden darf man mit Spannung entgegensehen.

Rostock Gert Haendier

Schocps, Hans-Joachim, Prof. Dr.: Aus den Jahren preußischer
Not und Erneuerung. Tagebücher und Briefe der Gebrüder Gerlach
und ihres Kreises 1805—1820 hrsg. Berlin: Haude & Spenersche
Verlagsbudihandlung 1963. 644 S., 39 Abb. a. Taf. 8°. Lw. DM 78.—.

Das Gerlachsche Familienarchiv gehört wohl zu den größten
privaten Archiven des 19. Jahrhunderts. Aus ihm veröffentlicht
H.-J. Schöps Tagebücher, Aufzeichnungen und Briefe der Familie
Gerlach sowie Briefe, welche aus dem Verwandten- und Freundeskreise
an die Gerlachs gerichtet worden sind. Die vorliegende
Veröffentlichung umfaßt die Jahre 1805-1820. Ihr soll im Auftrag
der Bayrischen Akademie der Wissenschaften eine weitere
Publikation folgen, welche die Jahre 1848-1886 umfaßt. Es ist
die Zeit, in welcher der politische Einfluß der Gebrüder Gerlach
am stärksten war. Das meist rechtsgeschichtliche Material der
Jahre 1820—1848 ist zu einem Teil von H. Liermann — H. J.
Schoeps in: „Materialien zur preußischen Eherechtsreform im
Vormärz". Nachr. d. Akademie der Wiss. in Göttingen, Phil.-
Hist. Kl. 1961 Nr. 14 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
worden. Das Material der letzten Jahre des Gerlachschen Archivs
muß nach der Mitteilung des Herausgebers vorläufig noch unbearbeitet
bleiben. Die vorgelegten Materialien umfassen drei Abteilungen
: I. Die Familiengeschichte Leopold von Gerlachs, II. Die
Tagebücher Ludwig von Gerlachs, III. Die Korrespondenzen.

I. Die Familiengechichte hat Leopold von G. (1790—1861),
der erste Oberbürgermeister von Berlin, in den 50er Jahren des
19. Jahrhunderts geschrieben. Der Herausgeber hat sie durch Zusätze
Ludwigs v. G. ergänzt, wo Lücken ausgefüllt oder Einzelheiten
verständlicher gemacht werden mußten. Sie gibt einen
guten Überblick über die Geschichte der Familie v. Gerlach und
erleichtert das Verständnis der Taeebüdier Ludwigs v. G. und
des Briefwechsels. Ludwig v. G. setzt dann die Familiengeschichte
im Jahre 1813 fort. Er schildert dort 6eine Teilnahme an
Feldzug gegen Napoleon.

II. Der zweite Teil enthält die Tagebücher Ludwig v. G. Es
ist das Kriegstagebuch des Jahres 1815 und schließt an die bis
Mai 1815 heranreichende Familieneeschichte an. Ludwig v. G.
war als 20jähriger Leutnant Adjutant im preußischen Hauptquartier
. Seine Schilderungen des Feldzuges haben ihre Bedeutung
nicht in den Einzelheiten, sondern sind geistesgeschichtlich interessant
. Dem Kriegstagebuch schließen sich die Tagebücher der
Jahre 1816-1820 an.

III. Der dritte Teil umfaßt den Briefwechsel, dessen Hauptteil
in Briefen zwischen Wilhelm v. G. und seinem Vater besteht
. Mit Recht weist der Herauseeber darauf hin, daß die Briefe
für die Bildungsgeschichte des beginnenden 19. Jahrhunderts mit
seiner hohen Schätzung der Antike und ihrer Sprache, aber
auch der modernen Sprachen von hohem Wert sind. Diese und
die noch zu erwartenden Veröffentlichungen aus dem Gerlachschen
Familienarchiv werden die Möelichkeit eeben, Lebensbilder
der vier Brüder v. G. zu entwerfen. Darüber hinaus ist die Publikation
ein wichtiger Baustein zur Geschichte Berlins im beginnenden
19. Jahrhundert und damit eine Ergänzung der Memoirenwerke
des K. A. Varnhagen von Ense.

Der Herausgeber hat das Quellenwerk mit zum Teil umfangreichen
Kommentaren versehen. In einer Einleitung gibt er einen
Überblick über den Aufriß und das Verständnis der Edition.
Dankbar wird der Benutzer die biographischen Mitteilungen über
die Famiile v. G. und über die wichtigsten Mitglieder ihres Verwandten
- und Freundeskreises als eine wertvolle Hilfe begrüßen.

In einer Zeit, in der mit Trauer der Verlust mancher unpub-
lizierter Quellen gebucht werden muß, ist es vom wissenschaftlichen
wie nationalen Standpunkt wichtig, daß diese umfangreiche
Publikation unternommen worden ist.

Aber auch dem Berliner Verlag Haude und Spener, der im
Geist alter Berliner Tradition das Wagnis übernommen hat,
unserer Zeit das Quellenwerk zugänglich zu machen, sei Dank
für die Ausgabe mit ihrer guten Wiedergabe von 39 Bildtafeln.

Berlin Walter Delius

B e n d i e k , Johannes: Ein Brief Georg Cantors an P. Ignatius Jeiler
OFM (FS 47, 1965 S. 65-73).

Glenthoj, Jorgen: Dietrich Bonhoeffers Kampf gegen den Arierparagraphen
(KidZ 20, 1965 S. 439-444).

Graafland, C.: De gereformeerde Orthodoxie en het Pietisme in
Nederland (NThT 19, 1965 S. 466—479).

Müller, Gottfried: Anfänge der Pfarrerblätter (DrPfrBl 65, 1965
S. 456—459).

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Langemeyei, Bernhard OFM: Der dialogische Personalismus in der

evangelischen und katholischen Theologie der Gegenwart. Paderborn
: Bonifacius-Druckerei [1963]. 282 S. gr. 8° = Konfessions-
kundliche u. kontroverstheologische Studien, hrsg. v. Johann-Adam-
Möhler-Institut, Bd. VIII. Lw. DM 20.50.

Eine katholische Untersuchung über das Problem des Personalismus
darf von vornherein mit großem Interesse bei evangelischen
Lesern rechnen, da es sich hier um ein Thema handelt,
an dem häufig die Wurzel des konfessionellen Gegensatzes gesehen
wird, so etwa in folgender Formulierung: ,,Das katholische
Denken ist zutiefst ontologisch bestimmt, das reformatorische
Denken dagegen personalistisch" (H. Thielicke, Theol. Ethik I,
Nr. 956). Bernhard Langemeyer weist nach, daß es pensonalisti-
sches Denken in beiden Konfessionen gibt, wenn auch zweifellos
die Affinität solchen Denkens zum reformatorischen Ansatz
größer ist als zur scholastischen Metaphysik (vgl. 108). Der
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die „ideengeschichtliche
Entwicklung des dialogischen Denkens" (11) in der Theologie
unseres Jahrhunderts, die an ausgewählten Beispielen aus beiden
Konfessionen dargelegt wird.

Nach einer Einleitung (9—13) behandelt ein erster Hauptteil als
Voraussetzung heutigen Personalismus' in der Theologie „den dialogischen
Personalismus Ferdinand Ebners". Kap. I „Ebner und seine geistige
Umwelt" (16—37) stellt Ebner der allgemeinen Geisteshaltung der
Neuzeit gegenüber in die Linie der „Außenseiter" Pascal, Hamann und
Kierkegaard und an die Seite von Buber, Rosenzweig, Grisebach, der
dialektischen Theologie und der Existenzphilosophie. Das II. Kap. „Das
Personverständnis Ebners" (37—108) bringt nach ausführlicher Einzeldarstellung
Ebners Position auf die Formel „Person ist das Geistige im
Menschen in seiner dialogischen Bezogenheit auf Gott, mit der die
Bezogenheit auf die Mitmenschen wesentlich verknüpft ist" (88) und
hört diese Position auf ihre theologischen Aspekte (Sünde, Erlösung,
Gnade und Glaube, Glaubensgemeinschaft) ab.

Der zweite Hauptteil „Der dialogische Personalismus in der Theologie
" untersucht im I. Kap. „Der dialogische Aktualismus" den Personalismus
bei zwei evangelischen Theologen, nämlich A. den „metaphysischen
Aktualismus bei E. Brunner" (109—145) und B. den
„konkret-geschichtlichen Aktualismus bei F. Gogarten" (145—192).
Ausgehend von der Sünderlehre Brunners mit der These vom metaempirischen
„Totalakt" der negativen Grundentscheidung, faßt der Vf.
den Personbegriff Brunners in der Doppeldefinition „Person ist nach Br.
die vorgefundene gnadenhaft-kreatürliche Antwortbeziehung zu Gott,
die das frei-bewußte Handeln im voraus theologisch qualifiziert" (131)
und „ die sich in der Beziehung zum Mitmenschen auswirkt und darstellt
" (133) zusammen und interpretiert die ganze Theologie Brunners
als „Kommentar zu seinem Personbegriff" (134). Den Personalismus
Gogartens entwickelt der Vf. von dessen anthropologisch-philosophischem
Ansatz (Mitmenschlichkeit und In-der-Welt-Sein) aus und zeigt,
wie Gogarten diese konkret-geschichtliche Vorfindlichkeit im Lichte von
Gesetz und Evangelium theologisch interpretiert. Gogartens „Theologie
der menschlichen Existenz" (176) reduziert nach Meinung des Vfs. die
biblische Wirklichkeitssicht, insbesondere durch eine Unterbewertung
des Naturhaft-Leiblichen, was seine Kritiker (G. Gloege, W. Joest) zur
Forderung einer legitimen Ontologie veranlaßt hat, wie sie unabhängig
von Gogarten von Paul Tillich, der freilich „vielleicht. . . damit den
Boden des reformatorischen Christentums überhaupt" verläßt (191),
bereits in Angriff genommen wurde. Kap. II „Der dialogische Personalismus
auf metaphysischer Grundlage" zeigt, wie in der katholischen