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Ausgabe:

1965

Spalte:

922-925

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Peschke, Erhard

Titel/Untertitel:

Studien zur Theologie August Hermann Franckes 1965

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12

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In seine Untersuchung auch Wigand und Judex ein, konzentriert
sich aber vorwiegend auf Flacius selbst.

Nach einem ersten Kapitel „Thematische Einleitung und Anliegen
der Abhandlung" behandelt Verf. zunächst „Das Traditionsverständnis
in der Reformation Luthers", wobei er auf das Problem Schrift, Tradition
und Dogma bei Luther, Melanchthon und Flacius eingeht. Es folgt
eine Untersuchung des „Traditionsverständnisses in den Magdeburger
Zenturien". Alsdann schildert er „Die neue Sicht des Autoritätsproblems
und ihre Bedeutung für die Kirchengeschichtsschreibung". Sodann prüft
er die Konsequenzen dieser „neuen Sicht des Autoritätsproblems" für
die Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche bei Flacius. Die beiden
nächsten Kapitel sind einmal der Entstehungsgeschichte des „Katalogs
der Wahrheitszeugen" sowie der „Zenturien", zum anderen der
Frage der Verfasserschaft der Vorreden zu den Zenturien gewidmet. Auf
eine Zusammenfassung, die auch einen Ausblick auf die spätere Ge-
fdiichte des Traditionsverständnisses im Luthertum gibt, folgen Verzeichnisse
der benutzten Quellen und Sekundärliteratur sowie der herangezogenen
Handsdiriften und schließlich ein Namen- und Sachregister.

Die Grundthese des Verf. ist, daß Flacius trotz seiner scharfen
Kritik an der römischen Kirche und ihrer Tradition doch an
der Kontinuität der Kirche festgehalten hat. Diese Kontinuität
der Kirche, die zu allen Zeiten bestanden hat, äußert sich in der
Kontinuität der Zeugen und des Zeugnisses, „die beide den Legitimitätsanspruch
der wahren Kirche bestätigen", sowie drittens
darin, daß die wahre Kirche immer auch Kirche unter dem Kreuz
ist (S. 33f.). Verf. zeigt, daß diese Anschauung durchaus in Nähe
zu Luther steht, während sie sich von Melanchthon an einigen
wichtigen Punkten unterscheidet. Wenn auch Melanchthon, wie
Verf. im Anschluß an Sperls Untersuchungen1 feststellt, kein Traditionalist
gewesen sei, so habe bei ihm doch faktisch die Tradition
eine sehr viel größere Rolle gewonnen. Flacius hingegen ging
es bei seiner Erörterung des Problems nicht eigentlich um die Frage
von Schrift und Tradition, sondern um die von evangeliumsgemäßer
und evangeliumsfremder Tradition. Eben hierin unterscheide
er sich einerseits von der ersten Generation der Reformatoren
, andererseits von der späteren Orthodoxie.

Im einzelnen kann Verf. zeigen, daß Flacius schon in den Auseinandersetzungen
um das Interim sein dreistufiges „Schema vom Aufleudi-
ten, Sichverdunkeln und Wiedcraufleuchten der Lehre" entwickelt (S. 33).
Damit lasse sich schon früh ein eigenes Interesse an der Kirchengeschichte
aufzeigen, das dann später in den Zenturien seinen Niederschlag gefunden
habe. Mit Recht stellt Verf. heraus, daß Flacius in den Zenturien
die Kirchengcschichte nicht nur kritisch und traditionsfeindlich betrachtet
, sondern immer auch um die Darlegung der Kontinuität der wahren
Kirche bemüht ist.

Soweit die Ergebnisse des Verf. die Stellung des Flacius zu
Tradition und Autorität der Kirche betreffen, wird man ihm sicher
zustimmen können. Einige Reserve empfindet man freilich gegenüber
seinem recht flüchtig unternommenen Versuch, die hauptsächliche
oder gar alleinige Verfasserschaft des Flacius an den Vorreden
der Zenturien nachzuweisen. Da die Zenturien eine Gemeinschaftsarbeit
mehrerer Theologen waren, wird ein solcher
Versuch nicht auf die schon von G. Moldaenke2 geforderten detaillierten
Stilversuche verzichten können. Daß die Vorreden in
Nähe zu Gedanken des Flacius stehen, ist selbstverständlich. Aber
die Frage bleibt offen, wie weit man ihn allein als Autor ansehen
und wie weit man bestimmte in ihnen geäußerte Gedanken für
Flacius beanspruchen kann.

Freilich sind die Ergebnisse nicht ganz so neu, wie sie vom Verf.
ausgegeben werden. Seine Kritik an O. Ritschi, Dogmengeschichte des
Protestantismus Bd. 1, 1908, ist berechtigt. Aber die Wiedergabe der
Gedanken Moldacnkcs ist einseitig. Verf. weist nicht darauf hin, daß
Moldaenke bereits nachdrücklich betont hat, daß Flacius die Tradition
auch positiv aufnimmt, obwohl er sie stets an der Schrift prüft (Moldaenke
S. 349 ff. 363 ff.). Schade ist es, daß Verf. Moldaenkes wichtigen
Hinweis nicht aufnimmt, daß sich „die Frage nach der Geltung der Tradition
... für Flacius im Zusammenhang seiner Hermeneutik" erhebt
(Moldaenke S. 3 53). Verf. weist auf diesen Zusammenhang nicht einmal
hin.

Was die Erörterung der behandelten Probleme bei Luther, Melanchthon
und in der späteren Zeit betrifft, so wird gewiß niemand Vollstän-

*) A. Sperl, Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation
1959.

') G. Moldaenke, Schriftverständnis und Schriftdeutung im Zeitalter
der Reformation, Teil I Matthäus Flacius Illyricus, 1936, S. 316.

digkeit bei der Heranziehung der Literatur erwarten. Aber es ist schlechterdings
unverständlich, daß der Verf. die zahlreichen Arbeiten J. Heckel«
über das Verhältnis von Staat und Kirche, aber auch zum Kirchenbegriff
bei Luther und Melanchthon nirgend erwähnt; s. vor allem J. Heckel,
Cura religionis, ius in sacra, ius circa sacra, Stutz-Festschrift 1938,
Neudr. 1962; sowie: Lex charitatis, 1953. Da auf diese Weise Melan-
dithons Position unzureichend gewürdigt wird, muß der an sich begrüßenswerte
Vergleich mit Flacius notwendig schief werden. Auch zum
Geschichtsverständnis bei Melanchthon wird auf neuere Literatur nicht
rekurriert. Hier hätte unbedingt etwa R. Stupperich, Der unbekannte
Melanchthon, 1961, S. 72 ff. herangezogen werden müssen. Melanchthon
ist nicht nur der „Ethiker" gewesen, dessen Hauptinteresse „auf die
Verbindungslinien von Ethik und Geschichte gerichtet" war (S. 50, 3 5),
sondern wollte vor allem auch in der Geschichte die göttliche Absicht
erkennen. Die Geschichte liefert ihm eine „Bestätigung unseres Glaubens
" (Stupperich S. 82). Ferner ist die wichtige Arbeit übersehen: P.
Fraenkel, Testimonia Patrum — The Function of the Patristic Argument
in the Theology of Philip Melanchthon, 1961. Was die spätere Zeit betrifft
, so ist etwa für Calixt die grundlegend wichtige Arbeit von H.
Schüssler, Georg Calixt — Theologie und Kirchenpolitik, 1961, die Ca-
lixts „Traditionalismus" in völlig neuem Licht zeigt, unbeachtet geblieben
.

Bei den Übersetzungen lateinischer Texte begegnen einige Fehler.
Z. B.: S. 67 Luthers bekanntes Wort „Sathan pergit esse Sathan. Sub
Papa miseuit ecclesiam politiae, sub nostro tempore vult miscere poli-
tiam ecclesiae" (WA Br 10, Nr. 3930, 13 ff.) übersetzt Verf. so: „Satan
bleibt Satan. Unter dem Papst schob er die Kirche in den Staat. In unserer
Zeit will er den Staat in die Kirche schieben"! — S. 97 Z. 11 v. 0./99
Z. 9 f. v. o. sagen die Zenturiatoren, daß sie ihr Werk der Nachwelt
widmen wollen (memoriae consecraturi). Verf. gibt das ohne Objekt
mit „weihen" wieder.

Hamburg Bernhard Lohse

Deutsch, Morton: Johann Valentin Andrae, the „Fama Fraternitatis"

and Jan Arnos Comenius (ZRGG XVII, 1965 S. 275—281).
Fousek, Marianka Sasha: The Second-Generation Soteriology of the

Unitas Fratrum (ZKG LXXVI, 1965 S. 41-63).
Kösters, Reinhard: „Luthers These .Gerecht und Sünder zugleich'".

Zu dem gleichnamigen Buch von Rudolf Hermann (Catholica 19, 1965

S. 210—224).

Müller, Gerhard: Ekklesiologie und Kirchenkritik beim jungen Luther
(NZSTh 7, 1965 S. 100-128).

Secret, F.: Notes Sur Egidio da Viterbo (Augustiniana XV, 1965
S. 68— 72).

Steubing, Hans: Hat Luther die 9 5 Thesen wirklich angeschlagen?

(KidZ 20, 1965 S. 447—452).
Vanneste, A: Le Decret du Concile de Trente sur le peche ori-

ginel (Nouvelle Revue Theologiquc 97, 1965 S. 688—726).
Wolf, Herbert: Beiträge zur Mathcsius-Bibliographie (Bohemia, Jahrb.

d. Collegium Carolinum 5, 1964 S. 77—107).

KIRCH EN GESCHICHTE: NEUZEIT

Peschke, Erhard: Studien zur Theologie August Hermann Franckes.

1. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt [1964]. 156 S. 8°. Lw. MDN 8,—

A. H. Francke ist weiten Kreisen bekannt als Organisator und
Pädagoge; der Theologe kennt ihn genauer als einen Reformer des
Theologiestudiums und als einen Mann der Mission. Speziell in
seinen theologischen Äußerungen ist Francke jedoch bisher nicht
gründlich behandelt worden. Noch in der Geschichte der neueren
evangelischen Theologie hat E. Hirsch zwar positiv über Francke
geurteilt, aber mehr als 20 Seiten werden ihm nicht gewidmet
(II, 156—60 und 162—77); das ist nur knapp ein Drittel dessen,
was vorher über Spener gesagt wurde (II, 91—155). Die nun vorgelegte
Arbeit schließt hier eine Lücke und sucht Ansatz und
Struktur der gesamten Theologie Franckes aufzuzeigen: „Die mit
dem vorliegenden Band beginnenden Studien sind ein Versuch, in
6trenger Bindung an die Quellen die Struktur und theologiegeschichtliche
Stellung der Gedankenwelt Franckes zu erfassen. Ich
habe mich bemüht, ihn selbst ausführlich zu Wort kommen zu
lassen und seinem Gedankengang zu folgen" (Vorwort, S. 7). Als
Quellen sind vor allem die Predigten Franckes ausgewertet worden
; auch mit der Sichtung der handschriftlich erhaltenen Predigten
wurde begonnen. Natürlich begegnen wir hier weithin den
Gedanken wieder, die aus anderem pietistischen Schrifttum bekannt
sind. Um so wichtiger ist die theologiegeschichtliche Frage-