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1965

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Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12

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Verf. sieht schon in der Verwendung von naQ&ivos im N. T. Anhaltspunkte
für die Vermutung, daß dieser Begriff „nicht nur von der
Urkirche, sondern darüberhinaus und vor ihr auch vom Judentum zur
Bezeichnung der unter dem Schutz der Kirche bzw. der jüdischen Synagoge
lebenden Waisenmädchen verwendet worden ist" (S. 43). Als
Beispiel wird besonders auf die Jungfrau Maria verwiesen, die zur Zeit
ihrer Verlobung Waise gewesen sein soll: „. . . sie wurde Jungfrau
genannt, nicht um das Wunder der Menschwerdung hervorzuheben und
damit die Frechheit und Verachtung der Juden zu provozieren, sondern
um zum Ausdruck zu bringen, daß sie im Tempel lebte. Deshalb wurde
sie auch „nag&eroi xvgt'ov" (nach den Apokryphen) genannt". Die Verlobung
mit Joseph ist daher auf dem Hintergrund der Waisenfürsorge
des Synedriums zu sehen. Dazu wird auf Protev. Jak. 9,1.3; 13,1;
15,2; 6,1; 7,2; Hist. Josephi 3; Ps. Matth. 8,1; De nat. Mariae 6,1;
8, 3—10; Justin, Dial. 78 verwiesen.

Ähnliche Anhaltspunkte findet Verf. in den wahrsagenden Töchtern
des Philippus (Act. 21, 9), deren Mutter im N.T. nicht erwähnt
wird, sowie in der Prophetin Anna (Lc. 2, 36 — nicht, wie es S. 43,
Anm. 13 irrtümlich heißt: 1,46). Die Bezeichnung nagOhoi ist hier
jeweils mit einer bestimmten kultischen Funktion verbunden. Auch bei
dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen vermutet Verf., daß hier nicht
nur an das jüdische Hochzeitszeremoniell zu denken sei, sondern daß
diese zehn aus einer Hausgemeinschaft, also einer Art Waisenhaus für
Mädchen kommen (S. 44). Voraussetzung dieser Argumentation ist die
Annahme, daß die kultische Funktion dieser Jungfrauen im Zusammenhang
mit der gemeindlichen Fürsorge für die Waisenmädchen steht.

Weitere Belege für seine Theorie führt Verf. aus nicht-neutesta-
mentlichen Schriften an, wo die Begriffe Jungfrau und Waisenmädchen
attributiv miteinander verbunden sind (Damaskusschrift 14,14—17;
Philo, Vita Mosis 2,243; aus der Mischna, Nedarim 11,10; aus dem
Gebet der Aseneth 11). Besonderes Gewicht haben zwei Stellen aus
den apostolischen Konstitutionen (4,1.1—2.2), wo mit jiaQÜeros das
Waisenmädchen im Unterschied zum Waisenknaben bezeichnet wird.
Auffallend ist weiter, daß in 1. Kor. 7, 34 zwischen der unverheirateten
Frau und der Jungfrau unterschieden wird (obwohl die Lesarten zeigen,
daß diese Unterscheidung nicht allgemein verstanden worden ist). Eindeutig
ist diese Begriffsbestimmung jedenfalls nicht, und man wird nach
den herangezogenen Belegen mindestens die unausgesprochene Voraussetzung
machen müssen, daß in der Anfrage der korinthischen Gemeinde
, auf die Paulus antwortet, von ugeparai nagdirm die Rede gewesen
ist.

Der zweite Problemkreis für die Begründung der Theorie
aus historischen Erwägungen konzentriert sich auf das Jungfrauenideal
in der frühen Christenheit (S. 48 ff.) und dann auf die soziale
Frage der Waisenfürsorge (S. 67 ff.). Verf. kommt hier zu
dem Ergebnis, daß das christliche Jungfrauenideal aus dem sozialen
Problem der Waisenfürsoree erwachsen sei, indem die christlichen
Gemeinden, ähnlich wie schon vorher die jüdischen Gemeinden
, die Waisenmädchen entweder im Tempel oder in bestimmten
Familien betreuten. Am Anfang steht also nicht ein
asketisches Ideal, sondern ein soziales Problem. Erst am Ausgang
des dritten Jahrhunderts, besonders in den Kanones der Synode
von Ankyra 314, erscheint in der Kirche ein durch unwiderrufliche
Gelübde und eine entsprechende Weihe fest geordneter Jungfrauenstand
in eindeutig monastischer Form. Vorher ließen die
kanonischen Bestimmungen und die kirchliche Praxis immer noch
eine Eheschließung der „Jungfrauen" zu. In diesen Entwicklungsprozeß
gehört dann auch die im 2. Jahrhundert aufkommende
Übung der geistlichen Ehe oder der Syneisakten. Der Stand der
Diakonissen erscheint als eine besondere Verbindung der Witwen-
und Waisenfürsorge mit der sozialen Tätigkeit der frühen
Christenheit (S. 94 f.).

Unter der Voraussetzung, daß nagßevog terminus technicus
ist und auf dem Hintergrund frühchristlicher Sozialarbeit ist die
Stelle 1. Kor. 7, 36—38 folgendermaßen zu deuten: Es geht zunächst
um den speziellen Fall, daß ein in einer christlichen Familie
herangewachsenes Waisenmädchen in die Zeit der Reife
(vnEQaxfioc;) gekommen ist. Die daraus entstehenden Probleme
können gelöst werden, indem entweder der (verwitwete) Vormund
oder aber einer seiner Söhne das Mädchen heiratet, oder
(V. 37) das Mädchen mag weiterhin in der Hausgemeinschaft verbleiben
. Es bleibt dies (V. 38) eine freie Gewissensentscheidung.
Hier zeigt sich dann auch ein Ansatz für die spätere Praxis der
.virgines subintroduetae'.

Gegenüber den anderen Theorien zur Auslegung von 1. Kor.
7, 36—38 hat dieser neue Versuch einer Erklärung zweifellos den

Vorzug, daß die mit dem Text verbundenen philologischen und
sachlichen Schwierigkeiten überwunden werden können. Trotz der
außerordentlich interessanten Gesichtspunkte dieser Theorie bleibt
es aber fraglich, ob die angeführten Belege ausreichen, die absolute
Verwendung des Begriffs jt<xq{)evos im Text durch die Interpretation
mit „Waisenmädchen" zu ergänzen.

(Die wesentlichen Schritte der Untersuchung sind in deutscher
Sprache S. 102—104 zusammengefaßt.)

Heidelberg Reinhard Slenczka

Laurent, V.: Le corpus des sceaux de l'empire byzantin. Tome V:
L'Eglise. I.: L'Eglise de Constantinople. A. La Hierarchie. Paris:
Editions du Centre National de la Recherche Scientifique 1963. LI,
805 S. 4° = Publications de l'Institut Francais d'Etudes Byzantines.
NF 130.—.

La contribution la plus durable que l'Institut francais d'etu-
des byzantines des Peres Assomptionistes aura faites ä notre
connaissance de l'Orient chretien est la publication des sources
fondamentales: Actes patriarcaux et monastiques, textes inedits,
repertoires de geographie, depistolographie, de manuscrits ou de
monuments artistiques. Un Corpus des sceaux byzantines disperses
dans divers musees, monasteres ou collections nous est
promis depuis longtemps; on en voit paraitre aujourd'hui le
premier element. Le monumental volume prepare par le Pere
Laurent, ne constitue en effet que la premiere partie du Tome
V de la serie qui en comprendra en tout six. II contient la de-
scription de 1013 sceaux, couvrant le domaine de l'Eglise by-
zantine proprement dite, c'est-ä-dire du Patriarcat byzantin et
de ses dependances: 48 sceaux de titulaires meines du Patriarcat
, depuis Eutyches (552-565, 577-582) jusqua Euthyme II
(1410-1416) et, en nombres beaueoup plus considerables, des
sceaux de fonetionnaires patriarcaux et deveques, y compris
ceux de l'Italie byzantine. La seconde partie du volume, encore
ä paraitre, sera consacree aux eglises, aux couvents, aux eglises
independantes de Chypre et de Bulgarie, ainsi qu'aux trois autres
patriarcats orientaux. Les autres volumes du Corpus decriront les
sceaux imperiaux et ceux de l'administration civile dans la capitale
et la province.

L'interet presente pour l'historien de l'Eglise par un tel Corpus
— fruit d'un travail minutieux, entrepris depuis de longues annees
sur la base des dossiers prosopographiques et historiques reunis
par l'Institut au temps de Louis Petit et sans cesse enrichis
depuis — n'est pas ä demontier. Chaque sceau porte en effet un
nom et un titre qui, souvent, completent notre connaissance des
listes episcopales, renseignent sur l'histoire de la titulature, re-
fletent des idees ecclesiologiques ou politiques — il suffit de
rappeler ici l'importance de Tassomption, par l'eveque de Constantinople
, du titre de "patriarche oecumenique" —, precisent des
donnees chronologiques ou geographiques.

On ne peut donc que souhaiter au Pere Laurent, qui est in-
contestablement aujourd'hui le plus grand specialiste en la ma-
tiere, de pouvoir mener ä bien, aussi rapidement que possible,
l'ensemble de sa grandiose entreprise. Des difficultes de toutes
sortes se sont dejä presentees sur son chemin, et il reconnait
Iui-meme que "tous les sceaux d'Eglise conserves de par le
monde ne lui ont pas ete accessibles" (p. X). Meme si les collections
russes restent en dehors de sa portee, la tres riche collection
conservee ä Dumbarton Oaks, que le Pere Laurent n'a pu que
partiellement consulter et qui comprend plusieurs centaines de
sceaux d'Eglise, vient de devenir accessible dans son ensemble;
la publication d'un appendice (ou meme d'un volume special),
consacre aux sceaux qui ne sont pas examines par l'auteur dans
le present volume, serait donc souhaitable pour que la mine de
renseignements sur l'Empire byzantin fournie par la sigillographie
soit vraiment exploitee ä fond.

Dumbarton Oaks Jean Meyendorff

Brox, Norbert: Juden und Heiden bei Irenaus (MThZ 16, 1965
S. 89—106).

Dodds, E. R.: Pagan and Christian in and Age of Anxiety. Some