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Ausgabe:

1965

Spalte:

916-918

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Siotis, Markos

Titel/Untertitel:

Die Fürsorge der Urkirche für die Waisenmädchen 1965

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12

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Philisters erfreut". Die Verschiedenheit des Umfangs entspricht der
ungleichartigen Überlieferung im literarischen und monumentalen Bereich
. Im allgemeinen wird die Übernahme dieser Motive in die christliche
Kunst mit Recht als rein dekorative, allenfalls personifizierende
Verwendung aufgefaßt; „die Bilder im Vorraum der Domitillakata-
kombe mit blumenpflückenden Psychen und Eroten" werden jedoch im
Sinne eines „Elysiums" = als Paradies gedeutet. Wichtig für die Pa-
tristik ist der große und interessante Artikel über die heidnischen und
christlichen „Erotapokriseis" (Dörrie und Dörries). Streng genommen
handelt es sich bei den heidnischen Lehrschriften im Frage-
Antwort - Schema kaum um mehr als erste Ansätze: „Daß christliche
Lehr- und Glaubens-Inhalte anders ergriffen werden mußten als die
Elemente heidnischer naidsia, kommt darin zum Ausdruck, daß die
Erotapokrisis im Christentum" jedenfalls „viel mehr in den Vordergrund
trat". (Die umgekehrte Entwicklung zeigt bezeichnenderweise die
Geschichte des Dialogs I) Den Ausgangspunkt bilden die bibelphilologischen
und bibeltheologischen Fragen, dann erst dogmatische Themen;
die Nachwirkung reicht bis zur mittelalterlichen Summa und vielleicht
sogar bis zum reformatorischen Katechismus. Gepflegt wird die Gattung
während des Altertums besonders in mönchischen Kreisen. Hier bestehen
Zusammenhänge besonders mit der Kommentar- und Catenen-
Literatur. Viele Fragen bedürfen noch weiterer Untersuchung. Die erneute
Frühdatierung des unter dem Namen des Caesarius (des Bruders
Gregors von Nazianz) laufenden Dialogwerkes, dürfte bei U. R i e -
d i n g e r nicht auf Zustimmung stoßen. Der vorzüglich orientierende
Artikel Schneemelchers über die jüdische und christliche „Esra"-
Literatur wird vielen willkommen sein, auch wenn er für die besondere
Fragestellung des RAC nicht viel abwerfen kann. Der Artikel über
„Erziehung" von Blomenkamp schreitet in den Bahnen Jaegers
und Manous ein großes Gebiet ab und zieht auch die Fragen der
Schule, des Lehrstoffes, der Lehrer, die Bedeutung der Klöster in die
Betrachtung mit ein. M. E. wäre eine mehr entwicklungsgeschichtliche
Darstellung günstiger gewesen als die hier gewählte sachlich-thematische
Gliederung. Im Gegensatz zur heidnischen Antike gehört die „Erziehung
" weder bei den Juden noch im frühen Christentum zu den literarisch
„bevorzugten Themen" der Betrachtung. Die Häufung mehr oder
weniger theologisch oder geistlich orientierter Zitate wirkt infolgedessen
etwas blaß, und die wesentlichen Einschnitte der Entwicklung
treten nicht ans Licht. Andererseits ist die Grenze gegenüber einer allgemeineren
„Erziehung des Menschengeschlechts" (Irenäus hat angeblich
„als erster eine eigentliche Erziehungstheologie entwickelt"!) wiederholt
nicht scharf genug gezogen.

Die eigentlichen Realien 6eien kürzer aufgezählt, so fesselnd
die Einzelheiten gerade hier vielfach auch sind.

Unter dem Stichwort „Ernte" (Hermann, Ilona Opelt) erscheinen
außer dem Technischen und dem alten Brauchtum, das sich
auch in der christlichen Zeit zähe hält, mannigfache (nach dem Vorgang
von Origenes gegliederte) bildhafte Verwendungen und die
Erntedarstellung in der Kunst. Das „Ertrinken" (Hermann)
steht im numinosen Zwielicht eines schrecklichen und seligen Todes
(Apotheose Ertrunkener). Unter „Esel" (Ilona Opelt) kommt auch
das Reittier Jesu beim Einzug zur Verhandlung, jedoch ohne Beachtung
der hierüber geführten Diskussion zwischen W. Bauer, Journ.
Bibl. Lit. 72 (1953) 220 ff. und H.-W. Kuhn, ZNW 50 (1959) 82 ff.
Hinsichtlich des behaupteten Eselskults bei Juden und Christen trifft es
nicht ganz zu, „daß die Christen in ihrer antijüdischen Polemik den
Eselskult der Juden nicht erwähnen;" vgl. Epiphan. haer. 26,12 Holl
S. 290 ff. Die Ausführungen über „Essen" (Lumpe) bringen über
Tischsitten, Aberglauben, Bildersprache usw. viele kultur- und religionsgeschichtlich
interessante Einzelheiten. Es hätte gesagt werden können,
daß das Verbot des Blutgenusses für die Christen nicht nur im Aposteldekret
Act. 15, sondern auch später noch vielfach bezeugt ist; vgl-
Plinius ep. X 96 und die weiteren, in Haenchens Kommentar zur
Apostelgeschichte angeführten Belege. Der von zwei Damen bearbeitete
Artikel „Erz" (D. K. Hill / L M u n d 1 e ) ist ganz überwiegend
archäologisch orientiert, streift aber auch mythisch-heroische Dinge und
behandelt die allgemeine Bildersprache. Der nach dem Tode des Verfassers
(F. Hauck) offenbar nur leicht überholte, kurze Artikel
„Erwerb" begnügt sich mit einer (durchaus nicht vollständigen) Stellensammlung
. Eine Berücksichtigung moderner nationalökonomischer Fragestellungen
wäre willkommen gewesen.

Druckfehler und Berichtigungen: Sp. 128, Z. 23 f. statt „ad Rhegi-
nos" lies „ad Rheginum"; Sp. 273 hätte auch die deutsche Ausgabe von
K. Löwiths "Meaning in History" erwähnt sein sollen; Sp. 441, Z. 21
statt „hat" lies „habe"; Sp. 583, Z. 9 v. u. statt „Marrow" lies
„Marrou"; Sp. 585, Z. 23 v.u. ist „übrigen" zu streichen; Sp. 594, Z. 25
statt „Haupterzeugnisse" lies „Hauptzeugnisse"; Sp. 608, Z. 5 v.u. ist
„offensichtlich christliche" der Klarheit wegen zwischen Kommata zu
setzen.

Heidelberg Hans von Campenhausen

S i o t i s, Markos: Die Fürsorge der Urkirche für die Waisenmädchen.

Zur Exegese von 1. Kor. 7, 36—38. Athen 1964. 115 S. = Sonderdruck
aus dem .Wissenschaftlichen Jahrbuch der Theologischen Fakultät
der Universität Athen'. Bd. XV, Ehrengabe für N. Louvairs (in
neugriechisch).

Die Schwierigkeiten bei der Auslegung von 1. Kor. 7, 36-3 8
kreisen um drei Fragen: 1. wer ist das Subjekt in diesen Versen,
2. wie ist das Verhältnis zwischen diesem und der nagdevog
zu deuten, 3. wa6 ist mit dem Begriff nagfievog gemeint?

Im ersten Kapitel seiner Untersuchung stellt der Athener Neu-
testamentler M. Siotis die fünf grundlegenden Theorien aus der
Auslegungsgeschichte dieser Perikope zusammen. Gemeinsam ist
diesen Theorien, daß sie durchweg mit philologischen und historischen
Konjekturen arbeiten müssen, die nicht eindeutig sind.
Am weitesten verbreitet ist in der Auslegungsgeschichte die
.Vatertheorie', nach der da6 unbestimmte Personalpronomen von
V. 36 einen Vater bezeichnet, der vor der Frage steht, ob er seine
Tochter verheiraten soll. Schwierigkeiten entstehen dabei durch
das Verb ao%r)iiov£iv, durch die Notwendigkeit, eine dritte,
nicht ausdrücklich erwähnte Person einzuführen und schließlich
durch die jeweilige Deutung von ya/ußetv und ya/ieiv als Causa-
tivum bzw. Intransitivum. Die beiden erstgenannten Schwierigkeiten
entfallen bei der .Verlobungstheorie', in der ein Bräutigam
das Subjekt bildet. Seit ihrem Aufkommen am Ende des vorigen
Jahrhunderts hat diese Theorie mit einigen Varianten eine Reihe
von Anhängern gefunden, obwohl auch hier das notwendige Verständnis
von yaju£ivlyafu£eiv nur schwer zu belegen ist. Bei
beiden Theorien muß er Begriff naQ&h'og näher bestimmt werden
durch die Zufügung von .Tochter' bzw. .Braut'. Enger an die
ursprüngliche Bedeutung dieses Substantivs hält sich die „Syneis-
aktentheorie", die von C. Weizsäcker angeregt worden ist. Fraglich
bleibt jedoch hier, ob die entsprechenden asketischen Tendenzen
schon in neutestamentlicher Zeit in dieser Form vorausgesetzt
werden können. Dies betrifft auch die „Theorie der persönlichen
jungfräulichen Reinheit", die davon ausgeht, daß man hier nicht
an bestimmte Personen zu denken habe, sondern, im Zusammenhang
mit V. 25 ff., an ein allgemeines Ideal der Jungfräulichkeit
von Personen beiderlei Geschlechts.

Siotis versucht nun, die crux interpretum aufzulösen, indem
er von der dritten oben erwähnten Frage ausgeht, und zwar im
Zusammenhang mit der in der Auslegungsgeschichte nur am Rande
erscheinenden „Vormundschaftstheorie" (auf die übrigens auch
H. Lietzmann z. St. anspielt). Dies führt zu dem Ergebnis, daß es
sich bei der naQftfooq um ein einem Vormund anvertrautes und
in seinem Haushalt heranwachsendes Waisenmädchen handelt,
und es geht nun in V. 36 ff. um die Frage, ob entweder der Vormund
oder aber einer seiner Söhne dieses Mädchen heiraten
darf. Rein formal betrachtet umschließt diese Theorie alle bisherigen
Lösungsversuche sowohl in der Bestimmung der Personen
wie auch der zwischen diesen bestehenden Relationen. Neu hingegen
ist die Deutung der Jungfrau' als Waisenmädchen.

Die ausführliche Begründung dieser Theorie verläuft in zwei
Problemkreisen, die beide bei dem Begriff jiaQfthoc. einsetzen
und wieder zu ihm zurückführen. Zuerst geht es um den Nachweis
, daß in den Versen 36—38, entsprechend aber auch in den
Versen 25—35, die Interpretation von nngiitvog als Waisenmädchen
philologisch möglich ist. Daneben geht es um den Nachweis
, daß schon die Urchristenheit in ihren Gemeinden den
Waisenmädchen eine ähnliche besondere Fürsorge angedeihen ließ
wie etwa den Witwen (S. 11 f., 37 f., 70 ff.). Unter Hinweis auf
den weiteren Kontext der Stelle meint Verf., daß es nicht nur
um ein spezielles ethisches Problem gehe, sondern darüberhinaus
um ein allgemeines soziales oder auch soziologisches, das für die
Situation der korinthischen Gemeinde wie auch überhaupt für die
Urkirche von allgemeinem Interesse gewesen sei. Die philologische
wie auch die historiche Argumentation stützen die These,
daß der Begriff nag&evog in diesem Text als terminus technicus,
d. h. als „kirchlicher Fachausdruck" (S. 10) aufgefaßt werden muß,
und darin liegt der Schlüssel zum weiteren Verständnis der Stelle.