Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1965

Spalte:

905-906

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Schebiit (vom Sabbatjahr) 1965

Rezensent:

Meyer, Rudolf

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

905

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12

906

Spei er, Salomon: Zu drei Jesajastellen, Jes. 1,7; 5,24; 10,7 (ThZ 21,

1965 S. 310—313).
Stamm, Johann Jakob: Das Einleitungswerk von Otto Eißfeldt

(ThZ 21, 1965 S. 386—399).
Stocbe, Hans Joachim: Zur Topographie und Überlieferung der

Schlacht von Mikmas, 1. Sam. 13 und 14 (ThZ 21, 1965 S. 269—280).
Watts, John D. W.: Jahweh Mälak Psalms (ThZ 21, 1965 S. 341—348).
Wildberge r, Hans: Das Abbild Gottes, Gen. 1, 26—30.1. (ThZ 21,

1965 S. 245—259).
Yadin, Y.: The Excavation of Masada 1963/64. Preliminary Report

[Foreword. The Northern Palace. The Grcat Public Bath-House. The

Store-Rooms. The Western Palace. The Wall. The Bycantine Structures.

The Documents and Inscriptions. Chronological Summary] (IEJ 15,

1965, S. 1—120).

IUDA1CA

Correns, Dietrich, Dr. theol. : Schebiit (Vom Sabbatjahr). Text,
Übersetzung und Erklärung nebst einem textkritischen Anhang. Berlin
: Töpelmann 1960. VIII, 18oS., 2 Ktn. gr. 8° = Die Mischna,
I. Seder: Seraim. 5. Traktat. DM 26.—.

Mit vorliegender Edition legt Correns innerhalb der zügig
voranschreitenden Edition der „Gießener Mischna" einen Traktat
vor, der religions- und rechtsgeschichtlich, aber auch sozial-
und wirtschaftshistorisch gleichermaßen interessant ist; und
zwar handelt es sich hierbei um das vieldiskutierte Thema des
israelitisch-jüdischen Erlaßjahres. Aus dem gesamten religionsgeschichtlichen
Komplex enthält der Mischnatraktat nur die
rabbinischen Aussagen, soweit sie das Sabbatjahr als Brach-
(Kap. I—IX) und als Erlaßjahr (Kap. X) betreffen, wobei besonders
im letzten Falle von Vollständigkeit keine Rede sein
kann.

Um die rabbinischen Aussaeen aus ihrer Isolierung zu
lösen, stellt C. der Edition des Traktates eine umfangreiche und
außerordentlich verdienstvolle Einleitung (S. 1—29) voran,
deren Kernstück die „Geschichte des Sabbatjahres" (S. 2—24)
bildet. Nach einer Exegese der drei Hauptstellen in zeitlicher
Reihenfolge - Ex. 23, 10 f.; Dt. 15, 1-11 und Lev. 25, 1-7 -
entwirft C. ein Bild vom Sabbatiahr in alttestamentlicher Zeit,
das in großen Zügen folgendermaßen aussieht: Das siebente
Jahr ist ursprünglich eine Einrichtung des sakralen Stämmeverbandes
, gekennzeichnet „durch eine allgemeine Brache und
eine Neuverlosung der Ackeranteile auf einer Volksversammlung
an seinem Ende, wohl während eines Laubhüttenfestes"
(S. 8). Damit hat das Sabbatjahr eine sakrale Wurzel, wobei die
Brache als genuin israelitisch anzusehen ist, während die Landverlosung
aus dem halbnomadischen Milieu des Kulturrand-
gebietes stammt und der Siebenjahreszyklus höchstwahrscheinlich
eine „allgemein bekannte Zeiteinheit gewesen" ist. (S. 9).

Die zunehmende soziale und wirtschaftliche Differenzierung
in der Königszeit bewirkte nach C, daß die Landverlosung in
einen Erlaß der Handdarlehcn am Ende des siebenten Jahres
umgewandelt wurde (Dt. 15, 1 f.) und das Sabbatjahr selbst allmählich
außer Übung kam. Nehemia, der im 5. Jh. v. Chr. mit
der Tempelprovinz Juda ein sakrales Territorium schuf, kombinierte
Ex. 23, 10 f., Lev. 25, 18 f. einerseits und Dt. 15, 1 ff.
andererseits, so daß von da an das Sabbatjahr Brache und Darlehenserlaß
umfaßte (Neh. 10,32).

Während die Quellen für das siebente Jahr in vorexilischer
Zeit außerordentlich spärlich fließen, läßt sich über die Periode
zwischen Nehemia und der Zerstörung des zweiten Tempels
einiges mehr sagen. So errechnet C. „vier sicher bezeugte
Sabbatjahre" (S. 21); und zwar 164/3 v. Chr.: Belagerung Jerusalems
durch Lysias (1. Makk. 6, 18 ff.), 163/5 v. Chr.: Belagerung
der Festung Dagon bei Jericho durch Hyrkanos I. (Josephus,
Altertümer 13, 230 ff.), 38/7 v. Chr.: Eroberung Jerusalems
durch Herodes (ebd. 14,473.475) und 69/70 n. Chr.: Einnahme
Jerusalems durch Titus.

Gleichzeitig stellt er fest, daß der Abstand der Jahreszahlen
untereinander jeweils durch sieben teilbar ist, wir also einige
geschichtlich bedeutsame Kalenderpunkte eines Siebenjahreszyklus
vor uns haben.

Auf Grund der so geschaffenen chronologischen Basis versucht
C, auch einige weitere Angaben bei Josephus und im
Neuen Testament (Apg. 11, 29 f.; 12,25 und 21, 15 ff.) in Zusammenhang
mit dem Sabbatjahr zu sehen. Hierbei scheint er
mir bisweilen ein wenig zu weit zu gehen. Dies gilt vor allem
von Josephus, Altertümer 1 1, 338, wonach Alexander der
Große den Juden bei seinem Besuch in Jerusalem Abgabefreiheit
für das Sabbatjahr gewährte. Hierzu bemerkt C: „Dieser Besuch
muß, falls er überhaupt stattgefunden hat, in den Herbst
3 32 v. Chr. fallen. Merkwürdigerweise aber begann nach unserer
Berechnung zu diesem Zeitpunkt ein Sabbatjahr (332/1 v. Chr.)"
(S. 21). Nun gehört aber, wie erst neuerdings wieder H. Bengston,
Griechische Geschichte, 2. Aufl. München 1960, S. 333, mit Recht
betont, Alexanders Einzug in Jerusalem der Legende an, wobei
zu vermuten ist, daß hier lediglich eine Rückblendung der Tradition
vom Abgabenerlaß durch Antiochos III. (Altertümer 12,
138—144) auf Alexander als den Berühmteren vorliegt, und
zwar unter dem Aspekt der Siebenjahresspekulation, wie sie
etwa in Daniel 9, 24 ff. oder im Jubiläenbuche begegnet.

Aufs Ganze gesehen, bleiben freilich auch für die Zeit
zwischen 450 v. Chr. und 70 n. Chr. die Belege für die Einhaltung
des Sabbat- bzw. Erlaßjahres dürftig, und selbst wenn
man — m. E. zu Recht — annimmt, daß im vorgenannten Zeitraum
das siebente Jahr in den Gebieten, die der sakralen Jurisdiktion
Jerusalems jeweils unterstanden, als Sabbatjahr eine
Sonderstellung einnahm, so bleibt doch nach wie vor die Frage
offen, ob und wieweit es insbesondere als Erlaßjahr für Handdarlehen
eine praktische Rolle gespielt hat. Es sei nur an den
sogenannten Prosbol - griechisch nQoaßoh)— erinnert, einen Vorbehalt
, auf Grund dessen der Gläubiger jederzeit, also auch im
siebenten Jahr, ein Darlehen zurückfordern konnte. Nach Schebiit
10, 3 f. hat Hillel (um 20 v. Chr.) diesen schon auf Grund
des griechischen Terminus als allgemein verbreitet erwiesenen
Brauch für seine Verbandsgenossen — habeiim — exegetisch
sanktioniert, und nach 70 n. Chr. hat das hillelitisch bestimmte
Synhcdrium seine Auffassung in das kanonische Recht übernommen
(vgl. S. 155—159). Was des weiteren die Entfaltung
der Sabbatjahr-Gesetze durch die Rabbinen bis hin zur Endredaktion
der Misna zu Beginn des 3. Jh. n. Chr. betrifft, so
müßte stärker, als dies bei C. geschieht, deren weithin scholastisch
-spekulativer Charakter betont werden.

Auf die Behandhing der Geschichte des Sabbatjahres folgt eine
knappe Darstellung des Wirtschaftsjahres in Palästina (S. 24 f.), die insofern
sehr nützlich ist, als sie den Mitteleuropäer davor bewahrt, unbewußt
die Klima- und Agrarverhältnisse unserer Breiten auf Palästina
zu übertragen.

Die Textbearbeitung fußt, entsprechend den Grundsätzen der
„Gießener Mischna", auf der Budapester Handschrift Kaufmann (K);
die Übersetzung ist infolge sachgerechter Ergänzungen, die in eckige
Klammern gesetzt sind, erstaunlich klar und flüssig. Ein besonderes Lob
verdient der umfangreidie Kommentar, der u. a. die Agrarverhältnisse
Palästinas im 2. Jhdt n. Chr. in anschaulicher Weise hervortreten läßt
(S. 32—163). Ein textkritischer Anhang (S. 164—172) und ein Register,
das die in dem Traktat genannten Rabbinen, die griechischen und lateinischen
Fremdwörter und die zitierten Bibelstellen enthält (S. 173—177),
sowie ein Abkürzungsverzeichnis und eine knappe Literaturauswahl
(S. 178—181) beschließen das Ganze. Anhangsweise sind zwei Kartenskizzen
beigefügt, die den Geltungsbereich der Sabbatjahr-Gesetze
(Sebi'it 6,1) und die Bezirkseinteilung des Landes Israel (ebd. 9,2)
verdeutlichen. Gewinnen würden beide Skizzen noch, wenn zum Vergleich
eine weitere Karte hinzugefügt worden wäre, die nun audi das
um 150 n.Chr. tatsächlich von Juden bewohnte Gebiet Palästinas angegeben
hätte.

Ein Vergleich etwa mit Ph. Blackman, Mishnayot I. Order
Zeraim. London 1951, S. 231—88, zeigt, daß wir es in C.s Bearbeitung
des Traktates mit einer durchaus selbständigen Arbeit
zu tun haben, die zwar hier und da ein wenig mehr auf die jüdische
Tradition hätte eingehen können, die aber anderseits auch
wieder — insbesondere in bezug auf Textbearbeitung, Religionsund
Wirtschaftsgeschichte — wesentlich über die genannte englische
Ausgabe hinausführt. Sie ist bei allen offenbleibenden
Fragen, wie sie nun einmal in der Natur der Sache liegen, bestens
geeignet, der „Gießener Mischna" nicht nur unter Neu-
testamentlern Freunde zu erwerben.

Jena Rudolf Meyer