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Ausgabe:

1965

Spalte:

893-896

Autor/Hrsg.:

Diesner, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Zur Katholikenverfolgung Hunerichs 1965

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 12

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des Christus es Gott möglich macht, Barmherzigkeit zu üben,
ohne dabei die Forderung der Gerechtigkeit zu verletzen"55 und
daß sie „ein System von Symbolen" sei, „das dem einzelnen den
Mut gibt, sich anzunehmen, trotzdem es ihm bewußt ist, daß er
unannehmbar ist"55. Denn es könne „eine Botschaft von der göttlichen
Liebe, die die Botschaft von der göttlichen Gerechtigkeit
verletzt. .. . dem Menschen kein gutes Gewissen geben"66. Hieraus
zieht Tillich selbst als „Prinzip für eine künftige Lehre von
der Versöhnung" die Folgerung: „Gottes versöhnendes Handeln
muß verstanden werden als seine Teilnahme an der existentiellen
Entfremdung und ihren selbstzerstörerischen Folgen. Er kann diese
Folgen nicht einfach aufheben, denn sie gehören zu seiner Gerechtigkeit
, aber er kann sie auf sich nehmen und ihnen dadurch
einen anderen Sinn geben. An dieser Stelle sind wir im Herzen
der Lehre von der Versöhnung und von Gottes Beziehung zu
Mensch und Welt."67 In diesem Zusammenhang würde Genugtuung
, von der Tillich nicht spricht, bedeuten, daß Gott nicht ohne
Relation zu seiner Gerechtigkeit im Kreuz Christi Liebe übt, sondern
„für die Weltordnung" steht, „die durch die Losreißung
von Gott verletzt ist"58, und gerade deshalb die „selbstzerstörerischen
Folgen" der Entfremdung auf sich nimmt.

Es kann kaum fraglich sein, daß diese Ausführungen Tillichs
auf Gedanken zurückverweisen und möglicherweise auch basieren,
die Rudolf Hermann über „Anselms Lehre vom Werke Christi in
ihrer bleibenden Bedeutung" vorgetragen hat6". Sie sollten nicht
vergessen werden, zumal sie in der skandinavischen Theologie
auch heute noch eine spürbare Resonanz besitzen00. Hermann hat
gemeint, daß Anselm durch die juristische Einbettung seines Denkens
keineswegs die theologische Sache der Versöhnung habe
„meistern" wollen"1. Vielmehr sei für ihn „die Notwendigkeit
in der Verkettung der heiligen Ereignisse in einem viel umfassenderen
Zusammenhang" verwurzelt „als dem des öffentlichen
Strafrechtes oder der privatrechtlichen Sühnezahlung, nämlich im
Zusammenhang der göttlichen Weltschöpfung"""'. Wenn Gott Genugtuung
fordere oder, besser, schaffe, so bahne er nach Anselm
„den Menschen einen Weg, in der nie aussetzenden Ordnung der
Schöpfung durch den Schöpfer, also mit seiner Gerechtigkeit, mitzugehen
"03. Anselms These von der „Unaufwägbarkeit der
Schuld", die durch die sündhafte Verletzung der Schöpferordnung
Gottes entstehe, folge aus dem Gedanken an die Unbedingtheit,
mit der Gott Gott sei, jener Gott jedoch, der sich frei, aber zuverlässig
an sein Werk gebunden habe. Ein „bloßes Nachlassen"

r>4) Ebd., S. 185/86.
*) Ebd., S. 186.
•"'") Ebd., S. 185.
r'7) Ebd., S. 188.
*) Ebd., S. 187.

r'B) S. Anm. 52. Zur Theologie R. Hermanns: E. Schott, Grundlinien
der Theologie Rudolf Hermanns, in: NZSTh 6 (1964) 14—34.
"") S. H. Alpers, a. a. O., S. 126, Anm. 453.
U1) R. Hermann, a. a. O., S. 377.
"-) Ebd., S. 377.
Ebd., S. 379.

Gottes „würde besagen, daß man zwischen der Gesetzlosigkeit der
Sünde und der Erhabenheit Gottes über das Gesetz nicht mehr zu
unterscheiden brauche'"i Daher sei für Anselm das Werk Christi
notwendig, dessen Bedenken ja „in die Betonung der völligen
Freiwilligkeit Christi""5 hinauslaufe, aber einer Freiwilligkeit,
die zugleich „das Geheimnis seiner Person"6" ausmache und in
sich „das Zusammen von Freiheit und Notwendigkeit, welches in
Gottes Willen schöpferisch und versöhnend wirksam ist"07,
schließe. Der „unendliche Wert", den der Tod Christi nach Anselm
habe, ergebe sich schließlich nicht aus juristischem Denken an
eine überpflichtmäßige Leistung", sondern daraus, daß „der vollkommene
Gerechte als lebendiger Mensch mit leiblichem Leben,
als konkrete Person, als Tatsache" dastehe, „inmitten einer Welt
und Menschheit, über welcher die unerledigte Frage der Schuld
schwebt"08 und hier sein Leben einsetze. Dieses Sicheinsetzen
sei „nichts anderes als die souveräne göttliche Vergebung der
Sünden, bloß so, daß die lebendige Tatsächlichkeit und Wirklichkeit
des vollkommenen Gerechten zugleich ein Angeld auf die Zukunft
ist"00. Dabei ständen „das satis und das gratis . . . einander
nicht gegenüber, sondern gehen ineinander auf"70. Von einer „Wirkung
auf Gott" könne also bei Anselm „im Ernst nicht die Rede
sein"71. Das „über den Zusammenhang von Forderung, Anspruch
und Einlösung Überschießende" sei bei Anselm „nicht das seelengefährdende
meritum, gegen welches Luther kämpfte", sondern
„ein Stück schöpferischen Handelns Gottes, welches allein fähig
ist, über endliche Zusammenhänge und Verkettungen überzugreifen
und das in diesen Verkettungen verzerrte und verunstaltete
Bild Gottes, den Menschen, zu Gottes Ehre aus reiner Gnade wiederherzustellen
"".

Man kann fragen, wie weit die Anselm-Interpretation Hermanns
, die an einer Stelle zu der Aussage führt, daß die „Satisfaktion
... ein Stück Erhaltung"73 sei, trägt. Man kann fragen,
ob Karl Barths Einspruch, der gegen Anselm auf dem „reinen,
schlechthinigen, bedingungslosen Vergeben"74 Gottes insistiert,
sich hiermit wirklich erledigt hat. Man kann natürlich auch nach
der Richtigkeit dieser Anselm-Interpretation selbst fragen. Daß
Hermanns Auslegung — wie auch immer — dazu Anlaß gibt, die
„bleibende Bedeutung Anselms" zu bedenken, wenn die Heilsbedeutung
des Kreuzestodes Jesu und damit das Wort vom Kreuz
zur Debatte stehen, dürfte schon wegen ihres hohen theologischen
Ranges nicht zu bezweifeln sein.

<■*) Ebd., S. 3 87.

Br>) Ebd., S. 3 89.

"") Ebd., S. 393.

"7) Ebd., S. 395.

6S) Ebd., S. 3 89/90.

Ebd., S. 390.

70) Ebd., S. 383.

71) Ebd., S. 396.
") Ebd., S. 396.
73) Ebd., S. 386.

;4) K. Barth, a. a. O., S. 541/42.

Zur Katholikenverfolgung Hunerichs

Von Hans-Joachim D i e s n e r, Halle/Saale

Nicht nur in der Historia persecutionis Africanae provin- provinciarum et civitatum Africae4, daneben auch Procop'' und
ciae des Victor von Vita, die wohl 488/89 geschrieben wurde1, die Akten der Lateransynode von 487°, Hunerich als argen
gilt Hunerich als der große Verfolger, der mit den Verfolger- Katholikenfeind, wobei lediglich die Motivierung im einzelnen
kaisern vor Konstantin gewissermaßen in eine Reihe gestellt differiert. An der Sache selbst ist auch kaum zu zweifeln; denn
wird. Vielmehr zeichnen auch andere Quellen der späten Van- durch Dekrete vom 7. und 25. Februar 4847 wurden alle Katho-
dalenzeit, so Victor von Tonnuna2, die von einem anonymen liken einer Ketzergesetzgebung unterstellt, die auf die einVerfasser
stammende Passio Septem monachorum3 und die Notitia 4) CSEL> Bd yil, 117-134, dazu vor allem Chr. Courtois, Vic-
- tor de Vita et son oeuvre. Alger 1954.

») B. S. Altaner, Patrologie, Freiburg/Br. i9606, 453. °) Bc"um Vandalicum, I. 8, 3 f.

„% , •) J. D. Mansi, Sacrorum Conciliorum nova et amplissima collec-

-) Chron. ad a. 466. 479. tjo m %m ff

3) CSEL, Bd. VII, 108—114. 7) Die bei Victor Vitensis, III, 3—14 aufgenommen sind.