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Ausgabe:

1965

Spalte:

854-860

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Barthel, Pierre

Titel/Untertitel:

Interprétation du langage mythique et théologie biblique 1965

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 11

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einem Male entringt sidi G. diesem Wust und referiert (150 f.)
nicht eben neuartig, aber doch ohne krasse Fehler, über die
Pneuma-Vorstellungen der Kirchenlehrer.

Soviel zum „religionsgeschichtlichen" Aspekt dieser Arbeit.
Noch schlimmer steht es da, wo G. die antike Philosophie zum
Ausgangspunkt nimmt. Für den, der G.s Thema bearbeitet, ist
eine gute Kenntnis spätantiker Philosophie unerläßlich. Denn
das Christentum hat sich von den bestehenden Religionen mit
Entschiedenheit ab-, dem hellenistischen Bildungserbe aber mit
Entschiedenheit zugewandt. Wer von diesem Bildungserbe nur
dilettantische Kenntnisse hat, kann den Vergleich, zu dem dies
Thema nötigt, gar nicht ziehen.

Nun hat G. offenbar geglaubt, er dürfe mit Zeugnissen aus
der griechischen Philosophie-Geschichte genau so umgehen, wie
ihm das im Bereiche der ,,Religionsgeschichte" gestattet worden
ist. Das Ergebnis sind Mißverständnisse, Irrtümer und Unwahrheiten
von solcher Dichte, daß es gar nicht mehr möglich ist,
alles richtigzustellen. In radikaler Ungeschichtlichkeit werden
Zeugnisse aus den verschiedensten Epochen auf eine Linie gestellt
(so S. 5 3 die Stoiker, unter die auch Heraklit geraten ist, S. 179 f.
Piaton und die, die ihn 500 Jahre später lasen); auch hier wird
assoziierend neben einander gestellt, was 60 ähnlich klingt. Was
das Verständnis der zitierten Stellen anlangt, so schließt sich G.
regelmäßig sekundärer Literatur an — für die Stoa gern M.
Heinze (1872) und L. Stein (1886). Die grundlegende Arbeit von
M. Pohlenz, die Stoa, wird ein einziges Mal (49 A 1) zitiert; das
dort Gesagte ist unachtsam mißverstanden. Aus diesen Gründen,
die alle mit seiner unwissenschaftlichen Arbeitsweise zusammenhängen
, kann G. weder über die Logos-Lehre der Stoa (51 f.)
noch über die Seins-Philosophie der Platoniker (173 f.) Aufschluß
geben. Er klagt über „dürftige Erträge" (51), weil er die
Frage nach dem Logos bei Piaton falsch 6tellt, und weil er die
Quellen nicht aufsucht. Über den Logos bei Piaton scheint er sich
nur mit Hilfe von L. Souverain, le Platonisme devoile, Köln 1700
(I) und aus einem einschlägigen Artikel in der 2. (!) Aufl. des
RGG informiert zu haben, außerdem aus dem längst überholten
Buch von A. Aall, Geschichte der Logos-Idee 1896. Stenzel,
Friedländer, Praechter, E. Hoffmann sind von G. nicht befragt
worden.

So kommt G. zu voreiligen Urteilen wie: „Eine trinitarische
Psychologie hat erst der Neuplatonismus geschaffen" (184) —
denn er nimmt die Seelenlehre Piatons gar nicht zur Kenntnis.
Oder: „Gott besitzt Hypostasen — das ist das Ergebnis der plo-
tinischen Metaphysik" (184). Denn er findet bei Piaton einen
„einheitlichen, aber starren Gottesbegriff" (178), weil er nicht
erkannt hat, daß die fieoXoyovfiEva Piatons jeweils einer bestimmten
Stufe des Göttlichen zuzuordnen sind; das reiche Material
, das Piaton bietet, wird 177 auf 25 Zeilen abgehandelt.

Oder zur Stoa: „Xoyo; aneQßaTMÖg, das ist ein Ausdruck
, der auf das universal gedachte Zeugungsprinzip in der Welt
schließen läßt" (5 3). Ob diese recht laienhafte Vermutung zutrifft
, hätte geprüft werden müssen — nichts davon! „Schon bei
Heraklit werden zwei Prinzipien als männlich und weiblich angenommen
: der Xoyog #£ticals Weltenergie und die virj als Weltsubstrat
" (5 3). Für diese freilich umwerfende Erkenntnis zitiert
G. lakonisch „v. Arnim, Fragm. I, 98". Tatsächlich wird SVF I 98
= Aristokles bei Euseb PE 15, 14, 1; 816 b Viguier im Vorübergehen
Heraklit zitiert — aber für die These atoixeiov — jivq.
Für die von G. gemeinte These elrai. . . äg%ag fteov xal vXrv
wird am zitierten Ort ausdrücklich Piaton als auctor genannt. Ein
böses Fehlzitat, weil G. (wenn er die Stelle überhaupt einsah)
die grammatische Beziehung falsch herstellte — und ein voreiliges
Urteil, weil G. sein „Ergebnis" nicht an dem nachprüfte, was von
Heraklit erhalten ist, und weil er gar nicht merkte, wie er zu
allem sonst für Heraklit Gesicherten in Widerspruch tritt. Zugleich
paßt dies Fehlzitat verdächtig glatt zu G.s übrigen Konzeptionen
: Nachdem G. den Logos zum Zeugungsprinzip gemacht
hat (5 3), wird er mit gleicher Gewaltsamkeit das Pneuma zum
weiblichen Prinzip (125 ff.) erklären. Seine Beschäftigung mit
griechischer, namentlich mit stoischer Philosophie ist so wenig
ernsthaft, daß er auf die enge Verwandtschaft der beiden Begriffe

Logos und Pneuma gar nicht gestoßen ist: Der Stoiker kann ja
den Logos gar nicht anders denken, denn als feuriges Pneuma
[auf diese Gleichung wird G. 53 A 7 aufmerksam; der Fundort
ist verdruckt; Diog. Laert. 7, 158 = SVF II 741 dürfte gemeint
sein. Nie aber wird zur Wahl gestellt, ob der Logos nvQ oder
Jivevjua ist, was G. a. O. behauptet]. Indem G. Logos und
Pneuma gegen die gesamte Überlieferung zu entgegengesetzten
Prinzipien macht, versperrt er sich den Zugang zu gültigen
Lösungen.

Wer ernsthaft die Beziehungen stoischer Logos-Lehre und
christlicher Logos-Lehre untersuchen will, darf an der Gestalt des
Poseidonios nicht vorübergehen. Hierzu haben M. Pohlenz, K.
Reinhardt, W. Theiler, G. Pfligersdorffer die Forschung bereichert
und vorangetrieben; von keinem nimmt G. gebührend Notiz.
Wenigstens ein Referat darüber, was Poseidonios zur Logos-
Lehre, aber auch zum Denkstil der Stoa beitrug, durfte nicht
fehlen. G. widmet dem einen einzigen Satz „Dabei läßt sich Funktion
des Logos nur aus der Korrespondenz von Welt und Mensch
verstehen, was namentlich bei Poseidonios deutlich wird" (53 —
dazu Verweis (einziger!) auf K. Reinhardt, Poseidonios 349 ff.).
Das ist alles, was G. zum Problem der ovßnafteia zu sagen hat.
Tatsächlich hätte eine Untersuchung der Parallelität von Makrokosmos
, vom Wesen des Logos in Gott und Mensch, vom Menschen
als deus moitalis einen entscheidenden Ansatz zu Tage
gefördert; von solchem Ansatz aus hätte G. in das spätantike
Stufen-Denken eindringen können, das ihm fast gänzlich verschlossen
blieb. Freilich, wer nur Zitate häuft, ohne 6ie zu verstehen
, wird niemals auf das Eigentliche stoßen.

Die Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, „außerchristliche Einflüsse
" auf Herkunft und Entwicklung des zentralen christlichen
Dogmas darzustellen. Zur Bewältigung dieser sehr lohnenden
Aufgabe ist nichts von Belang geschehen. Was G. zum „religionsgeschichtlichen
" Aspekt sagt („Ergebnisse" 268/9) ist erweislich
falsch; was G. zum philosophiegeschichtlichen Aspekt sagt, ist
von solcher Dürftigkeit, daß eine Basis gar nicht gewonnen wird,
von der aus G. die von niemandem geleugneten Beziehungen
aufweisen könnte. Wohl ist er bemüht, eine innerkirchliche Entwicklung
der Begriffe Logos, Pneuma und Ousia nachzuzeichnen
(wozu viel Halbes, viel Traditionelles und viel Voreiliges
gesagt wird); aber selbst die wenigen Seiten, welche G. ohne
arge Fehler niedergeschrieben hat, bleiben ohne glaubwürdiges
Ergebnis, weil entgegen der Verheißung im Titel der Arbeit
Christliches zu Außerchristlichem gar nicht in Beziehung gesetzt
wird — am wenigsten da, wo G. „da6 trinitarische Dogma als
Manifestation der philosophischen Strömungen in der Spätantike
(172 ff.) zu behandeln verspricht.

So wird diese Arbeit ihrer Aufgabe nicht gerecht, indem sie
mit einem Schein der Gelehrsamkeit zu Ergebnissen kommt, die
nicht auf einer sauberen Methode und auf ernsthafter Benutzung
der Quellen beruhen. Die Arbeit mag für jeden, der wissenschaftlich
arbeitet, eine Mahnung sein, daß das Ethos des Forschers
darin besteht, zu wissen, daß wir uns der Wahrheit nur in
mühevoller und redlicher Arbeit nähern können.

Münster/W. Heinrich Dö r r i c

Barthcl, Pierre: Interpretation du langage mythique et theologie
biblique. Etüde de quelques etapes de l'evolution du probleme de
I'interpretation des representations d'Origine et de structure mythi-
ques de la foi diretienne. Leiden: Brill 1963. 399 S. gr. 8°.
Hfl. 26.-.

Diese Arbeit, geboren aus der Beunruhigung, die Bultmanns
Programm der Entmythologisierung verursacht hat, verfolgt das
im Vordergrund des exegetischen und systematischen Interesses
der katholischen und protestantischen Theologie stehende Problem
durch die Etappen seiner Entwicklung (S. 7) von der Aufklärung
bis zur jüngsten Gegenwart. Sie führt in vereinfachender,
aber nicht simplifizierender Weise die Paten vor, die die verschiedenen
hermeneutischen Formeln über das Taufbecken halten,
und läßt in lichtvoller Darstellung und kritischer Beurteilung der
Lösungsversuche eine Art Windrose des hermeneutischen Problems
in der neueren Theologie erstehen (S. 12). Wenn Barthel
erklärt (S. 8), er wolle in einer Zeit, da lauter perfekte Lösungen