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Ausgabe:

1965

Spalte:

845

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Evangelische Kirchen Balingen 1965

Rezensent:

Niemöller, Wilhelm

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845

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 11

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sich das konfessionell lutherische Bewußtsein unter dem Druck
der russischen, orthodoxen Staatskirche. In drei Abschnitten wird
Harnacks Entwicklungsgang gezeichnet; sein Aspekt auf die
Kirche, die Sakramente und das Amt, und schließlich werden
die praktischen Konsequenzen seines Kirchengedankens dargestellt
. Er bewegte sich auf dem Grenzgebiet zwischen systematischer
und praktischer Theologie. Von allgemeinem Interesse ist
sein Einsatz für eine freie lutherische Volkskirche. Klarer als irgendein
anderer von seinen Zeitgenossen sah er den Bruch zwischen
Staat und Kirche voraus, der 1918 ein Faktum wurde.

In der Darstellung, die der Autor von Harnack gibt, erscheint
dieser keineswegs als bahnbrechender Denker. Er strebte nach
Ausgleich und Versöhnung, stand aber selber Theologen wie Har-
less und Höfling am nächsten. Wie Höfling suchte er in seinen
liturgischen Reformbestrebungen das altkirche Erbe wieder zu beleben
. Anfangs wendete er den Anstaltsbegriff auf gleiche Weise
wie Stahl an, als er aber die Gefahr für die Instutionalisierung
der Kirche merkte, ging er dazu über, ihn auf gleiche Weise wie
Stahls Antipode Höfling zu verwenden. So etwas zeugt nicht für
klar durchdachte Auffassung.

Der Autor hat eine zuverlässige Arbeit geleistet, die im
Detail für die Auffassung Harnacks in einer Reihe von Fragen von
praktischer und theoretischer Natur Aufklärung gibt. Sie bestätigt
im großen und ganzen, was wir über die Zeit schon wissen und
gibt in vielen einzelnen Punkten neue Angaben über Th. Harnack
. Nach der Lektüre wird man in der Auffassung bekräftigt,
daß er seine größte Bedeutung als Lutherforscher gehabt hat.

Uppsala Holsten Fa gerbe rg

Wolf, Emst: Die evangelischen Kirchen und der Staat im Dritten
Reich. Zürich: EVZ-Verlag [19631. 40 S. 8° = Theologische Studien,
hrsg. v. K. Barth u. M. Geiger, H. 74. DM 4.40.

Die Geschichtschreibung des Kirchenkampfes leidet an dem
fühlbaren Mangel, daß zwar Lebensbilder und Chroniken, apologetische
Versuche und Einzeldarstellungen einander folgen, daß
aber die Überblicke fehlen und erst recht Hinweise oder Vorbilder
für die zu verwendende Methode. Der Basler Vortrag von
W. ist darum von ganz großer Bedeutung. Er ist keineswegs nur
eine „theologische Skizze" oder ein Beweis für die souveräne
Beherrschung des Stoffes. Von Karl Barth's Aufsatz ,,Quousque
tandem . . .?" bis zum Schuldbekenntnis von Stuttgart wird der
Weg der evangelischen Kirchen ganz kurz, aber prägnant geschildert
, dieser Weg, an dessen Anfang drei Linien unterschieden
werden, die eines praktisch-programmatischen Positivismus des
„Jahrhunderts der Kirche", die der sogenannten Lutherrenaissance
mit stärker nationalen und kulturellen als konfessionellen Motiven
, die der „Theologie der Krise" oder der sogenannten dialektischen
Theologie. Das Ringen um ein neues Selbstverständnis
der Theologie und um die Bedeutung dieser Theologie für
Kirche und Verkündigung wird stark herausgestellt, ebenso der
Versuch, sich auf die „Tradition", auf den „Raum" der Kirche
und auf die „innere Linie" zurückzuziehen. Gewiß hat es keinen
„Sieg" gegeben, und nur erste Ansätze eines Durchbruchs zu
einem neuen Selbstverständnis der evangelischen Kirche „in der
Welt" sind sichtbar geworden. Immerhin wird die bekennende
Kirche als eine „Widerstandsbewegung wider Willen" bezeichnet
(eine sehr hilfreiche Definition!). Das Thema bleibt, der Auftrag
bleibt, Wachsamkeit und Besinnung sind vonnöten.

Bielefeld Wilhelm N i e m ö 1 le r

Beck, Nestor: Schleiermacher (Igreja Luterana XXV, 1964 S. 191—207).

Ceyssens, L.: Chretien Lupus. Sa periode janseniste. 1640—1660.
[ä suivre). (Augustiniana XV, 1965 S. 294—314).

Conzemius, Victor: Hermann Adalbert Daniel. 1812—1871. Ein
Forscherleben für die Una Sancta (ZKG LXXVI, 1965 S. 64—Iii).

Lehmann, Arno: Karl Graul und die Religionen (Luth. Missionsjahrbuch
1965 S. 17—40).

Visser 't Hooft, Willem A.: Die vier Entscheidungen Dietrich
Bonhoeffers (ZdZ 19, 1965 S. 254—258).

Weizsäcker, Carl Friedrich von: Galileo Galilei (ZdZ 19, 1965
S. 298—304).

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Hastin gs, Adrian: One and Apostolic. London: Darton, Longman
& Todd [1963]. XIV, 200 S. 8°. Pp. 30 s.

Wie ist die faktische Zertrennung der Christenheit ekklesio-
logisch zu beurteilen? Zu dieser Frage sind in den letzten Jahren
zahlreiche Untersuchungen unter den verschiedensten konfessionellen
und dogmatischen Aspekten veröffentlicht worden. Die
hier vorliegende 6tammt von einem römisch-katholischen Theologen
und wurde von der Universität ,De Propaganda Fide' als
Dissertation angenommen.

Der Verf. behandelt die ökumenische Ekklesiologie in der
neueren anglikanischen Theologie. Gleichsam als Kontrapunkt
werden auch einige Gesichtspunkte aus der ostkirchlichen Ekklesiologie
herangezogen. Leitmotiv ist die Frage nach den notwendigen
und zureichenden Kriterien kirchlicher Einheit.

Dogmatisch werden zwei Positionen gegenübergestellt. Der
Verf. unterstreicht in der römisch-katholischen Position vor allem
die Zusammengehörigkeit des sakramental-eucharistischen und
des institutionell-autoritativen Elements in der Lehre von der
Kirche: die Kirche als „eine sakramentale, eucharistische Gemeinschaft
, unter der Obhut der episkopalen und petrinischen Autorität
" (XIII). Im Anschluß an die Enzyklika «Mystici Corporis'
wird die Identität der .communio' im mystischen Leib Christi
mit der .societas' unter dem päpstlichen Primat betont (165 u. a.).
Auf der anderen Seite steht die sorgfältig dokumentierte Position
anglikanischer Theologen in ihrer Mannigfaltigkeit, nach der für
die Gemeinschaft im mystischen Leib Christi zwar bestimmte
sichtbare Kriterien (z. B. Lambeth Quadrilateral) gefordert werden
, aber nicht eine volle organisatorische oder zentralistische
Einheit. Der päpstliche Primat bildet also letztlich den entscheidenden
Kontroverspunkt. Zwischen diesen beiden Positionen
steht die ostkirchliche Auffassung.die im wesentlichen wie die
römisch-katholische eine Identität der mystischen mit der empirischen
Gemeinschaft fordert, iedoch wegen der fehlenden Anerkennung
des päpstlichen Primats schismatisch ist.

Erfreulich an dem Buch ist die große ökumenische Aufgeschlossenheit
und die Bereitschaft, wirklich auf den Gesprächspartner
zu hören. Aber man wird doch grundsätzlich fragen müssen
, ob das Wesen kirchlicher Einheit von der eucharistischen und
hierarchischen Gemeinschaft her wirklich ausreichend umschrieben
werden kann. Es ist auffallend, daß die christologischen Aussagen
über die Kirche allein auf den eucharistischen Begriff des
mystischen Leibes Christi beschränkt sind und daß die Eschato-
logie überhaupt nicht berücksichtigt wird. Die Taufe wird in
merkwürdiger Einseitigkeit — mit Hinweis auf Thomas von
Aquin (S. Th. III, 73,3) — als ,janua sacramentorum' verstanden
und als Hinordnung auf die kirchliche und eucharistische Gemeinschaft
(162). Was aber heißt dann, um bei Thomas zu bleiben:
„per baptismum aliquis incorporatur passioni et morti Christi. .
(111,69,2)? Hastings hält zwar durchaus an der seit 1943 vieldiskutierten
Unterscheidung zwischen einer Gliedschaft ,in re'
und ,in voto' fest, wobei er mit Recht ablehnt, von Stufen in
der Nähe zur Kirche zu sprechen, wo es nur eine volle oder
gar keine Gliedschaft geben kann. Aber steht nicht hinter dieser
Unterscheidung auch in der römisch-katholischen Ekklesiologie
ein Wissen um die Herrschaft Christi über die Seinen und um
die Verborgenheit der endgültigen Scheidung ;m Jüngsten Gericht
Dies zu erfassen, reichen jedoch die Prämissen der Untersuchung
nicht aus, obwohl die damit verbundenen Probleme nicht nur
evangelische, sondern auch ostkirchliche und in zunehmendem
Maße selbst römisch-katholische Theologen immer stärker
beschäftigen.

Heidelberg Reinhard S1 c n c I k a

Le Millenaire du Mont Athos. 963—1963. Etudes et Melanges I.
Chevetogne: Editions de Chevetogne [1963]. 450 S. m. 1 Kte. gr. 89.

Die Benediktiner von Chevetogne dürfen das Verdienst für
sich in Anspruch nehmen, die verschiedenen Millennarien des 20.
Jahrhunderts aus dem ostkirchlichen Bereich durch wissenschaftlich