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Ausgabe:

1965

Spalte:

843

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Thomas de Aquino, Gott und seine Schöpfung 1965

Rezensent:

Kühn, Ulrich

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 11 B44

843

Erregend für den evangelischen Leser wird der Anmerkungsteil
an der Stelle, wo er seine Verfasser zur dogmatischen Kritik
an Thomas veranlaßt: bei der Frage der von Thomas abgelehnten
unbefleckten Empfängnis Marias (Kapitel 224; dazu die Anm.
236—242). Die zentral christologische Argumentation des Thomas,
die in Anm. 236 als „logisch nicht zwingend" abgelehnt wird,
erinnert an die Bedenken der evangelischen Theologie gegen
dieses mariologische Dogma.

Es wäre zu wünschen, daß die erfreulich in Gang gekommene
evangelische Begegnung mit Thomas durch diese schöne Ausgabe
des Compendium theologiae neue Impulse erhielte.

Leipzig Ulrich Kühn

Thomas von Aquin: Gott und seine Schöpfung. Texte, übers, v.
P. Engelhardt u. D. Eickelschulte. Mit einer Einleitung
von Max Müller, Freiburg: Herder [1963]. 192 S. kl. 8° = Herder-
Bücherei, Bd. 163. Kart. DM 2.50.

Vorliegendes Heft enthält in deutsdier Übersetzung vier
zentrale Abschnitte aus dem I. Teil der Summa theologiae:
„Gott" (Quaestiones 1—4); „Schöpfung" (Quaestiones 44—49);
„Mensch" (Quaestiones 90, 91 und 93); „Lenkung der Welt"
(Quaestiones 103 und 104). Die Übersetzung ist der Deutschen
Thomas-Ausgabe entnommen und im Hinblick auf deren Neuauflage
überarbeitet.

In der Einleitung geht Prof. Max Müller, München, aus von
der Doppelgestalt des Denkens des Thomas in natürlicher „metaphysischer
" Vernunft und glaubender in der geschichtlichen
Begegnung mit Gott gegründeter Vernunft (S. 13 ff.) — wobei
zu fragen wäre, ob man nicht stärker, als es hier geschieht, auch
das natürlich-metaphysische Bemühen des Thomas als solches als
Versuch des Selbst- und Weltverständnisses aufgrund der geschichtlichen
Begegnung mit Gott und also als in Gang gesetzt
durch den Glauben sehen müßte (vgl. dazu die Arbeiten von J. B.
Metz). Müller interpretiert das Denken des Thomas als Bedenken
des Seins und weist besonders auf Gemeinsamkeiten und
Unterschiede zu Augustin und Hegel hin. Interessant ist die
Hervorhebung der platonischen Komponente (Sein als Teilhabe),
die für Thomas noch charakteristischer sei als die aristotelische
Begrifflichkeit, etwa der Kausalitätsgedanke (S. 23). Daß die Sehnsucht
nach einer reinen „theologischen Theologie" und nach einer
reinen „philosophischen Philosophie" nach Augustin und
Thomas eine Sehnsucht ist, „die sich nicht mehr geschichtlich
rechtfertigen kann" (S. 26), und daß eine „christliche Metaphysik"
nicht als solche ein „hölzernes Eisen" ist (S. 30), wird ein evangelischer
Leser ebenso aufmerksam zu bedenken haben wie die
Tatsache, daß der katholische Philosoph in Thomas nicht „den
Ort christlichen Selbst- und Weltverstehens schlechthin" sieht
(wie er besonders an den Grenzen, die in der Transsubstan-
tiationslehre und bei der Sicht der Frau durch Thomas liegen,
deutlich macht), sondern sida vor der Aufgabe weiß, ständig neu
um eine größere Adäquatheit der Begriffe zu dem, „was in ihnen
begriffen und verstanden werden soll" (also etwa um Herausarbeitung
der dialogisch-personalen und geschichtlichen Struktur
des Gott-Mensch-Welt-Verhältnisses) bemüht zu sein.

Leipzig Ulrich Kühn

B e u m e r, Johannes: Schriftlose Theologie? Zu den Prinzipien im Sentenzenkommentar
des Herveus Natalis O.P. (Schol XL, 1965 S. 398
—404).

Fallenbüch 1, F. u. Ring, G.: Die Augustiner in Ungarn vor der

Niederlage von Mohäcs 1526 (Augustiniana XV, 1965 S. 131—174).
Gross, Julius: Die Ur- und Erbsündenlehre der Schule von Laon

(ZKG LXXVI 1965 S. 12-40).
H a u b s t, Rudolf: Thomas von Aquin in der Sicht des Nikolaus von

Kues (TThZ 74, 1965 S. 193—212).
M oln ä r, Amedeo: Das Ringen um die Wahrheit bei Hus (DtPfrBl 6 5,

1965 S. 385—386).

Roscher, Helmut: Zwei angebliche Briefe Papst Urbans II. (ZKG

LXXVI, 1965 S. 149-152).
Strobel, August: Die „Keltische Katechese" des Cod. Vat. Regin. lat.

49 über das Hebräerevangelium (ZKG LXXVI, 196 5, S. 148).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Wittram, Heinrich: Die Kirche bei Theodosius Harnack. Ekklesio-
logie und Praktische Theologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
[1963]. 189 S. gr. 8° = Arbeiten zur Pastoraltheologie, hrsg. v-
M.Fischer u. R. Trick, Bd. 2. Kart. DM 19.80.

Charakteristisch für eine Reihe von Theologen im 19. Jahrhundert
ist das neu erwachte Interesse für die Kirche, ihr Wesen,
ihre Struktur und Aufgaben. Dies gilt sowohl für die evangelische
wie katholische Theologie auf dem Kontinent ebenso wie in England
. In Deutschland können auf katholischer Seite der Name
Möhler, auf evangelischer eine Reihe konfessionell lutherischer
Theologen genannt werden; in England folgten die Trakterianer
ähnlichen Intentionen. Viele gemeinsam wirkende Ursachen trugen
dazu bei, dieses Interesse am Leben zu erhalten. Die umwälzenden
politischen Ereignisse auf dem Kontinent in der Mitte des
Jahrhunderts machten das Verhältnis der Kirche zum Staat fragwürdig
und erzwangen eine Besinnung, was ihr Wesen betrifft.
Aber schon vorher war der Boden von den Forderungen der Er-
weckungsbewegungen vorbereitet worden, die sich auf Vertiefung
des christlichen Lebens richteten, von der Romantik und dem
Hegelianismus. Begriffe wie Organismus und Entwicklung wurden
geeignete Mittel im Kampf für die neuen Ideen. Die Gemeinschaft
, die Kirche, wurden als ein lebender Organismus aufgefaßt
: mit ihren Kennzeichen von Leben und Wachstum. Vor
allem begann man sich für die Tradition der Kirche in der Lehre
und dem Gottesdienst zu interessieren. Um die Entwicklung der
Gemeinschaft von dem kleinen Beginn bis zur Gegenwart zu verstehen
, mußte man sich zum Ursprung zurück versetzen, z. B. in
die Bibel oder in die Reformation. Mit Hilfe der Traditions- und
Entwicklungsgedanken wollte man gleichzeitig für die Kontinuität
und die Erneuerung im Leben der Kirche einstehen. Man
glaubte, dadurch sowohl der Starre des Biblizismus als auch der
Traditionslosigkeit des Rationalismus zu entgehen. Mit den Organismus
- und Entwicklungsgedanken, die ihre Wurzeln in der
Romantik und im Idealismus hatten, glaubte man neutestament-
liche Begriffe wiederzugeben. Charakteristisch ist z. B., daß die
Worte des Epheserbriefes vom Wachstum des einzelnen Christen
an geistiger Einsicht ohne weiteres verwendet wurden, um für
die gesamte Gemeinschaft, die Kirche zu gelten.

Die hier skizzierten Zusammenhänge sind wohl bekannt, und
H. Wittram kann in seinem Buch über Theodosius Harnacks Kirchengedanken
direkt an frühere Forschung anknüpfen. Von Interesse
ist es gleichwohl, zu wissen, wie weit und wie tief diese
Ideen reichten.

Th. Harnack, am meisten bekannt durch 6eine große und
immer noch aktuelle Arbeit über Luther, „das einzige bedeutende
theologische Lutherbuch des 19. Jahrhunderts", war kein Kämpfer
der vordersten Reihen. Er gehörte dem Zentrum des konfessionell
lutherischen Lagers an. Als er seine Schrift „Die Kirche, ihr Amt,
ihr Regiment" (18 62, 194 73) herausgab, geschah dies mit dem
offenkundigen Streben, zwischen Gegensätzen zu vermitteln. Er
behandelte das Kirchenproblem von einem christozentrischen
Ausgangspunkt aus und wollte die Kirche in Analogie mit Christus
auffassen. Die Kirche hat eine göttliche, innere, und eine
menschliche, äußere, Seite. Von diesen Ausgangspunkten suchte
Harnack zu Antworten auf die Fragen der Sichtbarkeit und Un-
sichtbarkeit der Kirche, ihrer Katholizität und Einheit, ihres
Amtes, Bekenntnisses und Gottesdienstes zu kommen. Im Bekenntnis
fand er den vollkommenen Ausdruck für den christlichen
Glauben, und die lutherische Kirche war für ihn ohne geringste
Spur des Zweifels die wahre Kirche. Er war ein geschworener
Feind von Ritsehl und dessen Schule, und als sein Sohn Adolf sich
dieser Richtung näherte, war der Bruch zwischen Vater und Sohn
unausweichlich.

Das Profil Harnacks zeichnet sich gegen den Hintergrund der
Verhältnisse ab, in denen er aufwuchs und wirkte. Er war in St.
Petersburg geboren und wurde frühzeitig zur Fakultät in Dorpat
berufen, wohin er nach einem Zwischenspiel in Erlangen 1 8 5 3—
1866 als Höflings Nachfolger, zurückkehrte. In Estland verschärfte