Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1965

Spalte:

807-820

Autor/Hrsg.:

Gericke, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Zur Entstehung des Johannes-Evangeliums 1965

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5, Seite 6, Seite 7

Download Scan:

PDF

807

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 11

808

Ganze. — Im Reden von Gott ist der Mensch immer mit dabei.
Denn ,,Reden von Gott ist als solches Anrede an den Menschen",
„gewißmachende Gewißheit" (287). Ebeling entfaltet dann nach
allen Seiten den Sinn von Luthers „Grundformel": Gott und
Glaube gehören zusammen; darin liegt beschlossen „Gott allein",
„durch den Glauben allein", „durch das Wort allein". Dabei
klingt vieles, was in den Kapiteln des Buches zur Kennzeichnung
von Luthers Denken und Reden von Gott ausgesprochen ist, noch
einmal wieder.

Ebelings Buch ist in seiner besonderen Art ein wirklicher
Wurf. Der Versuch, in Luthers Denken durch die Polaritäten und
Antithesen seiner Theologie einzuführen, scheint mir glücklich
und gelungen. Auf diese Weise wird man in der Tat tief in Luthers
Gedankenbewegung hineingezogen und an ihr beteiligt. Die
Kapitel sind überaus lebendig und voll innerer Spannung geschrieben
. Die Grundzüge von Luthers theologischem Denken
kommen in packender Weise zu Worte. Die Interpretation geschieht
mit einer starken dialektischen Kraft und bietet eine Reihe
glänzender Formulierungen. In einigen Kapiteln führt der Verfasser
historisch von der Tradition her an Luthers heran. Vor
allem aber zeichnet er seine Gedanken auch hinein in eine selbständige
Besinnung über das Sachproblem und durchdringt sie
ganz mit ihr. Ebeling erreicht es auf diese Weise, daß — bei aller
historischen Distanz, auf die er klar hinweist — Luthers Denken
nahe und gegenwärtig wird. So bedeutet das Buch einen eindrucksvollen
Erweis der Aktualität der Theologie Luthers. Die
Darteilung ist fortgehend begleitet durch Hinweise auf Luther-
Stellen in den Anmerkungen (wobei die Frühzeit besonders herangezogen
wird, die Dokumente des „atemberaubenden Umbruchsgeschehens
"), außerdem bieten die Kapitel auch im Texte
selbst oft eingehende bezeichnende Zitate.

Es kann nicht anders sein, als daß die eigene theologische
Position und Methodik Ebelings auch in diesem Buche spürbar
wird, angefangen von dem „Sprachereignis". Aber ich finde nicht,
daß Luther in dieser Wiedergabe und Deutung seiner Gedanken
vergewaltigt wäre. Man muß zur rechten Würdigung des Buches
festhalten, was der Verfasser gleich auf der ersten Seite klar ausspricht
: daß er keine Gesamtdarstellung von Luthers Theologie
geben wollte, sondern eben eine „Einführung in sein Denken".
Sonst wären ja zentrale Themen wie die Christologie zu vermissen
. _

Obgleich das Buch auch pädagogisch zu loben ist, stellt es
durch die sachliche Dichtigkeit seiner Dialektik an den ungeschulten
Leser doch große Anforderungen. Als erste Einführung
in Luthers Theologie ist es von dem Verfasser schwerlich gemeint.
Es bedeutet eine gehobene Stufe der Reflexion und setzt voraus
, daß der Leser schon einigen Umgang mit Luthers Schriften
gehabt hat.

Besonderen Nachdruck legt Ebeling immer wieder auf die
sorgfältige Präzisierung des Gegensetzers zur scholastischen Theologie
. So wird sein Buch besondere Bedeutung auch für das weitere
Gespräch mit der römisch-katholischen Theologie von heute
gewinnen.

Ebelings Darstellung der Zwei-Reiche-Lehre gegenüber habe
ich eine kritische Frage. Er betont den Einsatz der Zwei-Regimen-
ten-Lehre bei der eschatologisch bestimmten Zwei-Reiche-Lehrc.
„Durch die Verbindung mit der eschatologisch bestimmten Zwei-
Reiche-Lehre erhält die Zwei-Regimenten-Lehre erst theologische
Tiefe und Klarheit" (210 f.). Dieser Zusammenhang gilt gewiß
für die Schrift „Von weltlicher Obrigkeit" und die politischen
Traktate der nächsten Jahre. Aber es läßt sich nicht verkennen,
daß Luther bei diesem Einsatz nicht stehen geblieben ist, sondern
die Lehre von den beiden Regimenten später von der eschatolo-
gischen Zwei-Reiche-Lehre gelöst hat. Ich habe das in meiner
„Ethik Martin Luthers" (1965) S. 56 ff. zu zeigen versucht. Damit
hängt die andere Frage zusammen: Ist es im Sinne Luthers,
wenn der Unterschied der beiden Regimente ganz und gar auf
die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zurückgeführt
wird, wie Ebeling es S. 216 f. offenbar will: „Die weitere Besinnung
auf die Zwei-Reiche-Lehre wird konkrete Einübung der
Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sein müssen". Ich
kann hier nur wiederholen, was ich a. a. O. S. 59 ausgesprochen
habe. Mir scheint, daß das Verhältnis der beiden Unterscheidungen
noch einmal neu von uns zu durchdenken ist, 60wohl bei
Luther wie auch systematisch. Ich glaube mit Wilfried Joest, daß
„die Beziehung der beiden Unterscheidungsthemen zueinander
komplizierter ist, als zumeist angenommen wird" (so in der Festgabe
zu meinem 70. Geburtstag, 1958, S. 79 ff.). Das gilt nicht
allein für unsere eigene systematische Besinnung, wie Joest sie
bietet, sondern auch für Luther.

Zur Entstehung des Johannes-Evangeliums

Von Wolfgang G e r i c k e, Doberlug

1. Das 1935 von C.H.Roberts herausgegebene Fragment
von Joh. 18, 31—33, 37-38 (p 52, Rylands 457) zeigt, „daß das
Joh.-Ev. etwa um 100 in Ägypten bekannt gewesen sein muß"
(R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, 17. Aufl., Berlin
1963, S. 203, Anm. 4). Es ist also jetzt nicht mehr möglich, die
Entstehung des Joh.-Ev. ins 2. Jh. n. Chr. zu verweisen.

2. Gegenüber den bis 1935 durchweg üblichen Spätdatierungen
mehren sich jetzt die Versuche, das Joh.-Ev. als relativ alt
hinzustellen. Ich erwähne zwei der neuesten:

a) K. A. Eckhardt, Der Tod des Johannes als Schlüssel zum
Verständnis der Johanneischen Schriften, Berlin 1961 (vgl. die
Besprechung von W. Michaelis in ThLZ 89, 1964, Sp. 133 ff.).
Eckhardt identifiziert den Evangelisten mit dem Zebedaiden (d. h.
mit dem Lieblingsjünger) und diesen wieder mit Lazarus. Er läßt
das Joh.-Ev. zwischen 57 und 68 geschrieben sein, nimmt aber
zusätzlich an, es sei später noch durch Ignatius von Antiochien
bearbeitet, durch den Presbyter Johannes in Ephesus übersetzt und
schließlich durch Papias interpoliert worden. Der Zebedaide selbst
habe am 14. Nisan 70 zu Jerusalem den Märtyrertod erlitten.

b) W. Hartke, Vier urchristliche Parteien und ihre Vereinigung
zur apostolischen Kirche, I. u. IL, Berlin 1961 (vgl. die Besprechung
von G. Bertram in ThLZ 89, 1964, Sp. 837 ff). Hartke
betrachtet als älteste Quelle des Joh.-Ev. die sogenannte Zeichenschrift
(Z.). Auch Bultmann a. a. O. S. 78 u. ö. nimmt ja bekanntlich
die Existenz einer solchen Zeichen- (Semeia-) Quelle an. Diese
Zeichenschrift geht nach Hartke auf den Zebedaiden Johannes zurück
, der aber — und das ist ein wesentlicher Unterschied gegenüber
Eckhardt — bereits im Jahre 44 gestorben sei. Der Zebedaide
habe die Zeichenschrift dem Johannes Markus diktiert. Dieser
habe dann seit etwa 5 8 bis nach 70 in Ephesus das Ur-Joh.-Ev.
geschrieben, aber nicht selbst veröffentlicht. Die Endfassung des
Ev. sei ein Werk des Leviten Judas Barsabbas (A. G. 15, 22), der
mit dem Apostel Judas (Joh. 14,22, vgl. Luk. 6, 16) identifiziert
wird. Judas habe den Stoff judaistisch-gnostisch bearbeitet. Der
Kanon des NT. in seinem heutigen Umfang liegt nach Hartke
bereits am Ende des 1. Jh. fertig vor.

3. Wie verdienstvoll besonders die Arbeit von Hartke auch
sein mag, so können doch kritische Bemerkungen nicht verschwiegen
werden. Die zwei genannten Versuche enthalten eine Reihe
von schwer beweisbaren Hypothesen. Das kommt vor allem daher,
daß sie die Frage der Datierung des Joh.-Ev. von vornherein mit
dem Problem des Verfassers verbinden. Beide Fragen müssen
aber zunächst nach Möglichkeit auseinandergehalten werden. Die
beiden erwähnten Autoren bejahen es, daß das Joh.-Ev. oder wenigstens
seine Urquelle auf den Zebedaiden Johannes zurückgeht.
Aber schon in bezug auf die Feststellung der Lebensdauer dieses
Mannes unterscheiden sich beide erheblich. Eckhardt identifiziert
— übrigens nicht als erster — den Zebedaiden mit Lazarus; bei
Hartke wird die Gestalt des Zebedaiden (als des Verfassers von
Z) sehr rasch durch diejenige des Johannes Markus (als des Verfassers
des Ur-Joh.-Ev.) verdrängt, so daß sich die Folgerung ergibt
, Johannes Markus sei der Verfasser sowohl von Ur-Joh. als