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Ausgabe:

1965

Spalte:

793-794

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Ulonska, Herbert

Titel/Untertitel:

Die Funktion der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen in den paulinischen Briefen 1965

Rezensent:

Ulonska, Herbert

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793

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 10

794

U 1 o n s k a, Herbert: Die Funktion der alttestamentlichen Zitate und
Anspielungen in den paulinischcn Briefen. Diss. Münster/Westf. 1963
240 S. (Als Fotodruck erschienen unter „Paulus und das Alte
Testament".)

Die Arbeit geht von der Frage aus: Hat Paulus sein vorchristliches
Verständnis des Alten Testamentes seinen Missionsgemeinden un-
reflektiert, vielleicht christlich modifiziert verkündigt, oder hat Paulus
auf das Alte Testament in seiner Missionspredigt verzichtet?

L

Dieses Problem „Paulus und das AT" wurde recht selten in der
ntl. Forschung behandelt. Es war unergiebig, — weil unproblematisch;
denn Pls. zitierte in seinen Briefen rd. 100 mal das AT, war mit
ihm vertraut, lebte in ihm und machte es zu seiner täglichen Lektüre.
Die Rückfrage schien sich zu erübrigen, ob er seinen Umgang mit der
Schrift nicht auch den heidenchristlichen Missionsgemeinden nahebrachte
. Predigte Pls. doch — nach Lukas — zuerst in den Synagogen
und nach der dortigen Abweisung bei den Heiden.

In der Benutzung der Schriften wurde Pls. von den Reden der
Acta, nicht von seinen Briefen aus gesehen. Auch die Funktion der
Paulinischen Zitate wurde von Lukas und Matthäus aus gedeutet:
Da Pls. seine Zitate mit yeyuanrai ydo einleitet, diese Formel sich
später in den Evangelien wiederfindet, wurde zurückgeschlossen, daß
Pls. seine Zitate in gleicher Weise verstehe, sei es im Schema von
Weissagung und Erfüllung (Matth), sei es innerhalb der Konzeption der
Heilsgeschichte (Lk).

Diskutiert wurden zwar die Fragen, ob Pls. wörtlich oder frei die
LXX zitiere und aus welchem theologischen Grunde er vom wörtlichen
Sinn abweiche. Dagegen wurde nicht das Problem gesehen, wann
und mit wem Paulus in der Sprache des ATs spricht. Konnte Pls.
bei seinen heidenchristlichen Gemeinden das AT als bekannt voraussetzen
? Konnte er in seiner Predigt vor Heiden die Schriften
überhaupt benutzen? Weiter blieb unberücksichtigt, ob sich Pls. derart
an sein zitiertes Material binden läßt, daß er wegen seiner Auslegung
der Schriften getadelt werden muß (Schoeps, Braun).

Eine sachgemäße Exegese wird einmal die Gesprächspartner des
Pls. im Blick haben müssen, zum anderen, warum er sich mit ihnen
auf die Schrift einläßt. Hieran ist die Frage anzuschließen, ob Pls.
kontinuierlich oder nur sporadisch das AT benutzt.

Will diese Exegese zuverlässige Ergebnisse gewinnen, können
auch dogmatische Überlegungen das Fragen nicht bestimmen.

II.

Der Stoff ist nach historischen, nicht nach thematischen Gesichtspunkten
zu ordnen und die als echt angeschenen Briefe sind in der
Reihenfolge ihrer Entstehung zu behandeln. Sie werden eingeleitet
durch kurze Analysen der jeweiligen Gesprächssituation. Die Briefempfänger
, seien es die von der heutigen Forschung ermittelten oder
die von Pls. angenommenen, werden kurz dargestellt. Auf diese Weise
wird ein verblüffendes Ergebnis erzielt: Pls. benutzt das AT, wenn
er es bei seinen Lesern als bekannt voraussetzen kann, — oder meint,
es als geschätzt voraussetzen zu können. (Nicht zitiert wird das AT
inl.Thess; Phil; Phlm.)

Das läßt sich am Gal verdeutlichen. Wie die Analysen von Gal 3,
6—18 und 4,21—31 zeigen, hält Pls. seine Gegner für Judenchristen,
da sie den Besitz der vtofaola an die Beschneidung binden wollen.
Die benutzten Zitate dienen dem paulinischen Bemühen, Abraham
auch als Vater der Unbeschnittenen zu erweisen, um den heidenchristlichen
Galatern die Gottessohnschaft ohne Beschneidung zusprechen
zu können. In seiner Exegese läßt sich Pls. auf die Position
der Gegner ein und widerlegt sie an Hand des von ihm bei seinen
Gegnern als geschätzt angenommenen Diskussionsmaterials. Mit Hilfe
seiner Exegese versucht Pls. die Gemeinde auf den rechten Weg
zurückzurufen, indem er den Irrtum der Gegner aufdeckt, die Gottessohnschaft
sei nur durch den Ritus der Beschneidung zu erlangen.
Abraham wurde sie jedenfalls auf Grund des Glaubens zugesprochen,
warum nicht auch den Galatern, die ebenso glauben?

III.

Dieses vorläufige Ergebnis, Pls. zitiere nur veranlaßt, läßt sich
auch in L. u. 2. Kor. erhärten. In diesen Briefen fehlt die Auseinandersetzung
um Gesetz und Beschneidung, und es ist zu fragen, wozu
Pls. das AT zitiere. Er gibt nur zweimal seine Quelle an (1. Kor 9,8;
14,21). Ihm ging es nicht darum, mit der Autorität seiner Quelle zu
argumentieren; vielmehr trägt er seine Zitate im Stil der Diskussionsrede
der kynisch-stoischen Diatribe vor. Wichtig sind allein die auf
den Hörer zielenden Inhalte (vgl. den Trinkspruch in 1. Kor 15,32
aus Mcnanders Thais). Durch diese Benutzung gewinnen die paulinischen
Zitate einen gewissen zeitlosen Charakter und lassen sich mit
unseren „Goldenen Worten" vergleichen.

Der Schriftgebrauch in 2. Kor 3 gleicht dem in Gal 3, 6—18. Pls.
widerlegt den gegnerischen Anspruch auf alleinigen Besitz der Ixavoitjs
durch seine belehrende Exegese über das unaufrichtige Verhalten des
Mose. Im Tränenbrief (2. Kor 10—13) und im Versöhnungsbrief (2. Kor
1, 1—2, 13; 7, 5—16) wird das AT nicht zitiert.

Die Benutzung der Schrift in 1,2 Kor zeigt, wie das AT für Pls.
zwar aktuelle Bedeutung hat, an die aber keine prinzipielle
gebunden ist.

IV.

Audi der Schriftgebrauch im Rom widerspricht dieser These nicht.
Das Präskript dieses Briefes zeigt Pls. in einem doppelten Gespräch,
mit Juden- und Heidenchristen. Ein Blick auf den ganzen Rom zeigt,
daß Pls. besonders in zwei Abschnitten das AT zitiert: in 2, 17—4,25
und Kp. 9—11. In beiden wendet sich Pls. an Judenchristen (2,17;
9,4). Er formuliert Worte ihrer Propheten zu aktuellen Anreden um.
Die die Situation treffenden Inhalte rufen die Judenchristen zum Gehorsam
auf. nicht aber die ausgespielte Autorität der benutzten Quelle.
Seine Botschaft an die Judenchristen in Rom, in der er zum Frieden
mit den jüdischen Brüdern aufruft (Kp. 9—11), intensiviert Pls. dadurch
, daß er sein Anliegen auch in ihrer Sprache verkündigen
kann.

V.

Dieser paulinische Schriftgebrauch gründet in einem Bewußtsein,
das die Zeit der Kirche noch nicht vor Aueen hat. Pls. sah das Problem
eines Kanons des AT noch nicht, da er den Kyrios noch zu
seinen Lebzeiten wiedererwartete. Dem fehlenden Geschichtsbewußtsein
korrespondiert das Gefangensein im augenblicklichen Handeln.
Eine distanzierende Betrachtung der Vergangenheit als einer ablaufenden
Heilsgeschichtc läßt sich bei Pls. in der Benutzung atl.-
Zitate nicht nachweisen.

Bei der systematischen Frage nach der Bedeutung des AT im NT
ist ein unreflektiertcs Berufen auf Pls. unzulässig. Der Glaube an die
Parusie relativiert die Bedeutung der Vergangenheit und ignoriert
ihren legitimierenden Charakter für die Gegenwart.

VON PERSONEN

Johannes Schneider zum 70. Geburtstag

am 23. September 1965

Hochverehrter Herr Kollege Schneiderl

Anläßlich der Vollendung Ihres 70. Lebensjahres am 23. September
1965 ist es der Theologischen Fakultät der Humboldt-
Universität zu Berlin ein Herzensbedürfnis, Ihres langjährigen Wirkens
als Lehrer und Forscher mit besonderer Dankbarkeit zu gedenken. Ihr
Lebenslauf spiegelt nicht nur ein Stück deutscher Universitätsgeschichte
in dramatisch bewegter Zeit wider, sondern führt den Kollegen wie
den Studenten eindringlich vor Augen, was an Entsagung und Zurücksetzung
jemand zu ertragen hatte, der unbeirrt und seiner Sache sicher
den Weg eines überzeugten Christen ging.

Ihre Wiege stand in Stadtoldendorf im Kreis Holzmindcn. Dort
wurden Sie am 23. September 1895 geboren. Nach dem Besuch der
Mittelschule und des Gymnasiums in Ncuruppin und Landsberg/Warthe
legten Sie Ostern 1914 — wenige Monate vor Beginn des ersten Weltkrieges
— die Reifeprüfung ab. Von 1917 bis 1922 studierten Sie in
Berlin, Halle und Göttingen Philosophie, Staatswissenschaften und
Theologie. Mit einer Arbeit über Friedrich Naumanns soziale Gedankenwelt
promovierten Sie Anfang 1923 zum Dr. rer. pol., um sich danach
erst einige Jahre praktisch auf wirtschaftlichem Gebiet zu betätigen,
galt doch Ihr Interesse besonders sozialen Fragen.

Durch die Wirkung der Persönlichkeit Adolf Deißmanns, in dessen
Seminaren Sie mitarbeiteten, wurden Sie ganz für die Theologie gewonnen
und promovierten mit einer Dissertation über die Passionsmystik
des Paulus 1927 zum Lizentiaten der Theologie. Eine Habilitation
erfolgte 1930 auf Grund einer Arbeit über den Begriff Doxa.
Fünf Jahre dienten Sie der Berliner Theologischen Fakultät als
Assistent im Neutestamentlichen Seminar, ehe Sie im Sommer 1935
zum nichtbeamteten a. o. Professor ernannt wurden.

Gastvorlesungen in Uppsala (April 193 5) waren dieser Ernennung