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Ausgabe:

1965

Spalte:

773-775

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Röhricht, Rainer

Titel/Untertitel:

Theologie als Hinweis und Entwurf 1965

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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773

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 10

774

Caspari, Kattenbusch und Harnack an. In der Grundthese kommt
er aber zu einer Modifikation der neueren Forschungsergebnisse,
wie sie im deutschen Raum besonders Werner Eiert (Die Herkunft
der Formel 'Sanctorum Communio', in dieser Zeitschrift
74, 1949, 5 77 ff.) zusammengefaßt hat. Elerts Abendmahlsbuch,
das in diesem Zusammenhang nicht fehlen dürfte, wird vom Verfasser
nicht berücksichtigt.

Benko bestreitet nicht die Verwurzelung des Begriffs „sanctorum
communio" im eucharistischen Geschehen, aber er möchte den Gedanken
der Sündenvergebung mit dem sakramentalen Aspekt
enger verbinden. ,,My position is that the expression ,s. c' in the creed
is the result of the protracted struggles connected with the doctrine
of the forgiveness of sins. It expresses the belief that the remission of
sins ist granted through participation in the Eucharist, as well as bap-
tism." Anknüpfend an Cullmanns Studien zu den frühchristlichen Glaubensbekenntnissen
erörtert B. die Bekenntnisformeln in der alten Kirche
von Ignatius bis Augustin und zur Formulierung des Begriffs ,s. c.'
im Westen. Er möchte zeigen, daß der Heilige Geist ursprünglich im
zweiten Artikel einbeschlossen war, um die durch die Taufe vermittelten
Gnadengaben Christi zu unterstreichen. Von daher habe sich der
dritte Artikel in der trinitarischen Struktur entwickelt, ohne doch den
inneren Zusammenhang mit dem zweiten Artikel zu verlieren (22). Es
fragt sich nur, ob man tatsächlich den Heiligen Geist und seine Gaben,
einsdiließlich der Sündenvergebung, so einseitig an die Taufe binden
kann. Wie steht es mit den Charismen allgemein? Sie lassen sich nidit
mit der Sündenvergebung identifizieren, sondern verlangen ihr eigenes
Recht. So scheint mir auch das über Tertullian mitgeteilte Material
deutlich den Zusammenhang zwischen Pneumatologie und E k k 1 e -
s i o 1 o g i e zu erweisen, so daß wohl die sakramentale Verwurzelung
des Begriffs ,s. c' evident ist, nicht aber dessen unauflösliche Beziehung
zur Lehre von der Vergebung einsichtig gemacht werden kann. Die
Zeit von Cyprian bis Ambrosius bietet allerdings dem Verfasser viele
Aspekte zur Bestätigung seiner These, da die Folgen der Bußstreitigkeiten
sich natürlich auf das Verständnis von ,s. c' auswirken mußten.
Doch wird nicht die Frage erörtert, ob dieses nicht ebenso ein ekkle-
siologisches Problem sei wie eine Frage der Lehre von der Sündenvergebung
! Diesen Zusammenhang muß der Verfasser bei seiner
Analyse Augustins auch eingestehen (55). „A connecting link between
,s. ecclesiam' and remissionen peccatorum' found its way into the
Creed; namely, a confession of eternal salvation imparted through of
the Church. In Augustine this link is ,c. sacramentorum'. In the Creed
it is communio sanctorum."

Der Verfasser sieht in der Formel ,s. c' das Ergebnis der
Entwicklung der Lehre von der Sündenvergebung, doch weist er
ihren sakramentalen Sinn stets nach und schließt mit Recht die
Interpretation im Sinne einer communio der „saneti" aus. Die
Auflösung des ursprünglichen neutrischen Verständnisses von
,s. c' weist der Verfasser in seinem Streifzug durch die mittelalterliche
und neuere Theologie nach. Elerts Ergebnisse werden
mit Zustimmung hervorgehoben (134). Mit Eiert sieht Verf. den
Ursprung der Idee auch im Osten, ihren Ausdruck in der Form
des Symbols findet er richtig im Westen. Doch scheint mir, so
unbestreitbar die Beziehungen zwischen der einen Taufe zur
Vergebung der Sünden und dem umfassenderen Begriff ,s. c'
auch sein mögen, daß der Verf. sie etwas überbetont hat. Die
durch die Sakramente vermittelten Gaben des Heiligen Geistes
hätten im neutestamentlichen Ansatz der Arbeit stärker in Anschlag
gebracht werden müssen. Die Arbeit erfreut durch Übersichtlichkeit
der Anlage und Zielstrebigkeit in der Durchführung
. Sie füllt eine bisher empfindliche Lücke der kirchen-
und dogmengeschichtlichen Forschung aus.

Straßburg Friedridi Wilhelm Kantzenbach

Röhricht, Rainer: Theologie als Hinweis und Entwurf. Eine Untersuchung
der Eigenart und Grenzen theologischer Aussagen. Gütersloh
: Gütersloher'Verlagshaus G. Mohn [1964]. 113 S. gr. 8°. Lw.
DM 12.80.

Diese Arbeit ist eine Hamburger Dissertation (Ref. H. Thie-
licke). Sie ist, methodisch gesehen, keine .zünftige' Dissertation;
denn sie arbeitet nicht ein Einzelthema nach historisch-philologischer
Methode auf, sondern gibt — von zunächst dargelegten
Prinzipien aus — Hinweise zum Verständnis bzw. Neuverständnis
der Theologie als ganzer. Wissenschaftlichkeit und methodische
Strenge stehen ganz auf der Abhandlung von Gedanken, nicht
im Ausbreiten von Material oder Präsentieren der Lesefrüchte.
Das überrascht — und erfreut, obwohl der Verf. zwei naheliegenden
Gefahren nicht ganz entgangen ist: sich in Konstruktionen
sowie in Abstraktionen, die manchmal
essayhaft oder sehr vage anmuten (bspw. S. 71 ff. 86 f., 104,
107), zurückzuziehen und hierbei architektonische Geschlossenheit
für Problemlösung zu halten. Die ganze Diktion — ein sehr
gepflegter und gereifter Stil — ist auch mehr ästhetisch gestimmt,
durch Ordnung (gewonnen aus Unterscheidungen und rechter
Einordnung) ein harmonisches Ganzes wollend und findend, als
daß Brüche, Widersprüche und Aporien den Blick festhielten oder
gar an Katastrophen und Abgründe geführt würde, die das
Unternehmen .Theologie' und theologischer Rede ernsthaft in
Frage stellten.

Das Prinzipielle des ersten Teils der Arbeit, das nachher
als Schlüssel zur Bemeisterung heutiger theologischer Grundsatzfragen
Verwendung findet, ist die Unterscheidung zweier Sprachfunktionen
oder Erkenntnismodi (zweier grundlegender Möglichkeiten
menschlicher Sprache, S. 60): „die feststellende Aussage"
und „die bewegende Aussage" (vielleicht könnte man auch sagen:
theoretisch beschreibendes und in bestimmter Situation bewirkendes
Wort oder: logisch fixierende und symbolhaft-analog nur
andeutende und umschreibende Rede). Beider Funktionen bedarf
die Theologie, beide können aber auch durch Vereinseitigungen
oder Vermischungen Gefahren heraufbeschwören: indem die feststellende
Funktion — in der Theologie — ein Gefälle zu Doktrinarismus
und Orthodoxie im negativen Sinne hat, andererseits
die bewegende Funktion ein solches zu Existentialismus, reinem
Personalismus und Zerfließen des Wortes in ein überhaupt nicht
mehr faßbares und dann auch nicht mehr geordnet weitersagbares
,Kerygma'. Die Tendenz der Arbeit ist — und der Rez.
kann hier nur zustimmen — eine undoktrinäre Theologie, die
aber doch das Wort logisch — und sogar ontologisch — faßbar
und wißbar erhalten will und es nicht in Zuspruch, Anspruch und
,Sprachereignis' zerfließen sehen möchte. Sowohl Personalismus —
als auch Ontologie.

Sehr treffend in diesem Zusammenhang folgende Beobachtung
:

„Die systematische Dogmatik kann selbst bewegen, sie hat das
bei Intellektuellen oft mehr getan als die Predigt von der Kanzel.
Während umgekehrt eine Kanzelpredigt, die sich formal noch so korrekt
des Appells als Stilmittel, des .Zuspruchs' und des Anspruchs' bedient
, nur die Wiederholung vorgegebener Fixierungen, ohne transzen-
dierende Vollmacht sein kann. Der personale Brückenschlag wirkt im
Unsichtbaren, nicht im Sichtbaren des Stils (S. 44)."

Die Formulierung des Titels hängt folgendermaßen mit der
genannten Unterscheidung zusammen: „Hinweis und Entwurf:
Hinweis auf vergangene Bewegung, die sie [die Theologie]
niederlegt und bewahrt, und Entwurf auf eine kommende Bewegung
, die aus ihr aufstehen kann und soll" (S. 43).

In den späteren spezifisch theologischen Abschnitten der
Arbeit wird gezeigt, welche Probleme der Theologie im einzelnen
die Möglichkeiten der feststellenden, theoretisch fixierenden,
Aussageform (als der sonst üblichen) sprengen; und zwar hauptsächlich
folgende drei Probleme: die Welt im ganzen, der
Mensch (besonders als Individuum) und Gott (in der
Reihenfolge wachsender Problematik, hierbei jeweils von Texten
Johann Georg Hamanns ausgehend). Man könnte hier auch
von den Grenzen menschlicher bzw. wissenschaftlicher Erkenntnis
sprechen und das Problem der Nahtstellen zwischen Einzelwissenschaft
und Philosophie hier behandelt sehen; wie überhaupt
auffällt, daß es eigentlich keine neuen, sondern die klassischen
Probleme sind, die in der Arbeit von Röhricht in zeitgemäßer
Ausstattung (Ansatz beim Problem der Sprache sowie
dem der sog. Nichtobjektivierbarkeit letzter theogischer Aussagen
) und in beachtlicher Geschlossenheit und selbst hergestellter
Systematik verhandelt werden, dabei in einer Weise, daß das
Drängen weiter Kreise in der theologischen Jugend einerseits
nach kritischer Reinigung samt Verabschiedung von Naivitäten,
andererseits nach Konsolidierung (nicht Restaurierung) hiermit
verbunden und klug formuliert ausgesprochen wird.

Das ist überhaupt die Stärke der Arbeit: daß sie ausspricht,
was ,in der Luft liegt'. Zugleich hat sie hier ihre Schwäche.
Mehr die Bilder und Veranschaulichungsmodelle sind original als