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Ausgabe:

1965

Spalte:

766-767

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Die Synode zu Halle 1937 1965

Rezensent:

Diehn, Otto

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 10

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zwischen Gnade und Natur spielt in der puritanischen Konzeption
dabei eine Rolle. Sie verwirft den Gedanken, daß die
Gnade eine Gabe sei, welche der Natur hinzugefügt werde. Sie
ist auch keine spirituelle Ergänzung des Verstandes. Vielmehr
wurde die Gnade in einer dialektischen Spannung mit der Natur
gesehen. Der Anglikanismus behielt demgegenüber die traditionelle
Zweiteilung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche
bei. Sie spielte eine grundlegende Rolle in dem berühmten Disput
Whitgifts mit Cartwright. Die Anglikaner setzten ferner die
Gründung der Kirche in den Bereich der Natur und hielten
darum die Zeremonien, die Ordnungen, das Kirchenregiment für
Dinge, die durch Erfahrung, Konvenienz und Billigkeit bestimmt
werden. Diese Anschauungen führten im Elisabethanischen Zeitalter
zu ausgedehnten Erörterungen über die Kirche. Die anglikanische
Konstituierung der Kirche im Bereich der Natur
•schwächte die Haltung dieser Kirche zur communio sanctorum
ab. Hingegen hatte der Puritanismus, der voraussetzte, daß die
Kirche mit Gnade und Heiligkeit erfüllt 6ei, einen kräftigen
Sinn für die communio sanctorum. — Ein bezeichnender Unterschied
zwischen beiden Gruppen zeigt sich darin, daß der
Anglikanismus dem Staat auch Initiative in der Kirche zugestehen
will, während der Puritanismus gemäß der Auslegung
des göttlichen Wortes alle religiöse Bereiche der kirchlichen
Autorität zuordnet. — Auch in der Frage der Exkommunikation
■waren zwischen Beiden Unterschiede.

3. In der Lehre von den beiden Sakramenten und der
Eschatologie sind eine Reihe gemeinsame Gesichtspunkte vorhanden
. 1. Beide lehnen die Transsubstantiation ab. Mit ihr
werfen sie auch die lutherische Lehre der Konsubstantiation
über Bord. Den Anglikanern ist es nicht leicht gefallen, sich
gegen Luther zu wenden. 2. Ablehnung findet ferner die Lehre,
welche die Elemente im Sakrament nur als Zeichen oder Gestalten
beschreibt. 3. Sie betrachten die Sakramente als Symbole.
4. Die Gestalt von Brot, Wein und das Taufwa6ser lehren sie
begleitet durch eine wirkende Gnade, welche diese wahrhaft in
Fleisch, Blut und in göttliches Übergießen gläubiger Seelen umsetzt
. 5. Die Sakramente sind wirksame Mittel der Gnade. Andererseits
kann man bei dem Puritanismus ein Hinneigen zu
einer Sicht des Sakramentes als Gedächtnismahl feststellen,
während der Anglikanismus eine Tendenz hat, die Eigenschaften
<ler geistigen Verbundenheit und des Opfers nachdrücklich zu
betonen. Die Hauptunterschiede zwischen beiden betreffen die
praktische Wirksamkeit des Sakramentes. Für die Anglikaner
waren die Sakramente ein sichtbar wirkendes Mittel der Gnade.
Die Puritaner hingegen legten den Nachdruck auf die vorangegangene
Gnade. Das Schicksal ungetaufter Kinder bereitete
den Anglikanern schwere Zweifel. Die weitverbreitete Meinung,
daß der Puritanismus eine unaufhörliche Strenge am Gerichtstag
erwarte, während der Anglikanismus an Milde glaube,
zeigt der Verfasser als eine übertriebene Verallgemeinerung.

4. In gemeinsamer protestantischer Tradition nahmen Anglikanismus
und Puritanismus in Anspruch, daß gute Werke die
Frucht des Innewohnens des Heiligen Geistes sind. Es zeigen sich
aber auch bei beiden mancherlei Unterschiede. Die puritanische
Ethik war mehr pragmatisch und weltlich eingestellt. Ihr Stempel
war Aktivismus. In diesem Zusammenhang ist die Auseinandersetzung
mit den verschiedenen Anschauungen über das Werden
des Kapitalismus beginnend mit den Hypothesen von Max
Weber und E. Troeltsch interessant.

Die Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln sind für den
deutschen Wissenschaftler wichtig, weil 6ie auf die Vielfalt der
englischen Literatur zu dem Thema hinweisen, ohne dessen
Kenntnis man sich über die in der Studie behandelte Periode
englischer Geschichte kein Urteil bilden kann. Das Buch regt zur
Weiterarbeit an.

Berlin Walter D el in s

Bonorand, Conradin: Die Bedeutung der Universität Wien für
Humanismus und Reformation, insbesondere in der Ostschweiz
(Zwingliana Bd. XII, 1965 S. 162—180).

Diestelmann, Jürgen: Der Fall Besserer (Lutherische Blätter 17,
1965 [Nr. 84] S. 57—72).

Fraenkel, Peter: Eine bisher unbekannte Pariser Ausgabe von Johannes
Ecks „Enchiridion locorum communium" (Bibliotheque
d'Humanisme et Renaissance XXVII, 1965 S. 532—53 5).

Lauterburg, Ptrer: Die Informationstätigkeit der zürichfreundlichen
Berner (Zwingliana Bd. XII, 1965 S. 207—221).

N a g y, Barnabas: Quellenforschungen zur ungarischen Reformationsliteratur
, unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zu
Bullinger (Zwingliana Bd. XII, 1965 S. 191—206).

Neuser, Wilhelm H.: Eine unbekannte Unionsformel Melandithons
vom Marburger Religionsgespräch 1529 (ThZ 21, 1965 S. 181—199).

Oesch, W. M.: Luther zur Inspiration der Heiligen Schrift (Luth.
Rundblick 13, 1965 S. 66—73).

Parker, T. H. L.: Calvini Opera sed non omnia (Scottish Journal
of Theology 18, 1965 S. 194—203).

R ü s c h, Ernst Gerhard: Ein unbekanntes pädagogisches Werk Vadians
(Zwingliana Bd. XII, 1965 S. 181—190).

Weber, Walter: Die Datierung von Zwingiis Schrift „Was Zürich
und Bern not ze betrachten sye in dem fünförtischen handel".
(Zwingliana Bd. XII, 1965 S. 222—233).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Niemöllcr, Gerhard [Hrsg.]: Die Synode zu Halle 1937. Die

zweite Tagung der vierten Bekenntnissynode der Evang. Kirche der
altpreußischen Union. Text-Dokumente-Berichte. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1963. 459 S. gr. 8° = Arbeiten zur Geschichte
d. Kirchenkampfes, hrsg. v. K. D. Schmidt, Bd. 11. DM 34.50.

Die „Kommission der EKD für die Geschichte des Kirchenkampfes
" hat sich mit ihrer Reihe „Arbeiten zur Geschichte des
Kirchenkampfes" das Ziel gesetzt, durch Quellenveröffentlichungen
und Monographien verschiedenster Art die nötigen
Vorarbeiten für eine zusammenfassende Kirchengeschichte der
Jahre 193 3 bis 1945 zu leisten. Nachdem die Dokumente zu den
großen Bekenntnissynoden der DEK in Barmen, Dahlem und
Oeynhausen bereits erschienen sind, wird mit dem vorliegenden
Band 11 von G. Niemöller das Quellenmaterial für die 2. Tagung
der 4. Bekenntnissynode der Ev. Kirche der altpreuß. Union in
Halle bereitgestellt. Der Herausgeber hat sich bereits als Verfasser
der umfangreichen Arbeiten über Barmen (Bd. 5 u. 6
dieser Reihe) einen Namen gemacht. Mit großer Sorgfalt sind
die Dokumente und Texte zusammengetragen, die Vorgeschichte
der Jahre 1936/37 eingeschlossen. Besonders aufschlußreich ist
der stenographische Bericht über die Synodalverhandlungen, der
den größten Teil des Buches ausmacht (250 Seiten). So ist der
Leser nicht nur angewiesen auf den amtlichen Bericht und die
Beschlüsse der Synode, sondern kann sich die lebendige Atmosphäre
vergegenwärtigen.

Das aber ist gerade bei einer so wichtigen Synode wie der
von Halle unerläßlich. Niemöller zitiert in seiner geschichtlichen
Einleitung Ernst Wolf (S. 11): es sei um den zu formulierenden
Bekenntnisstand und um das Verhältnis von Bekenntnisgrundlage
und Verkündigung gegenüber formalistischem Konfessionalismus
und relativierendem Unionismus gegangen. Der Verfasser
greift in seiner Einleitung mit Recht auf Barmen zurück.
Denn was hier Lutheraner, Reformierte und Unierte im gemeinsamen
Bekennen gegenüber dem NS-Staat und den Deutschen
Christen erfahren haben, bedurfte allerdings einer weiteren
theologischen Aufarbeitung, wie es sich die Hallenser Synode
zum Ziel setzte. Man spürt den Verhandlungen und allen Dokumenten
den Ernst ab, mit dem — ausgehend von Barmen — der
3. Weg zwischen Konfessionalismus und Unionismus gesucht
wurde. Diese Frage hat uns ja bis heute nicht in Ruhe gelassen.
Die jahrelange Arbeit des Arnoldshainer Ausschusses für die
Abendmahlsfrage und die sich anschließende rege Diskussion
haben uns aber auch erkennen lassen, wie schwer das Problem
ist und daß die Überwindung des reformatorischen Zwiespaltes
noch nicht erreicht ist, wenn ein Nein gegenüber einem „formalistischen
Konfessionalismus" und einem „relativierenden Unionismus
" ausgesprochen wird. Immerhin bleibt das Verdienst von
Halle, mitten im Kirchenkampf die Frage nach dem Selbstverständnis
der Union aufgeworfen zu haben. Das war umso
dringender, als die Auseinandersetzung mit den Deutschen
Christen nicht zuletzt unter Berufung auf die reformatorischen
Bekenntnisse geführt wurde. Wie stand es mit deren Gültigkeit