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Ausgabe:

1965

Spalte:

55-58

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gloege, Gerhard

Titel/Untertitel:

Mythologie und Luthertum 1965

Rezensent:

Andersen, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 1

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gewürdigt werden kann. Nur zwei Punkte seien markiert, wo
E. zu Ergebnissen kommt, die m. E. unzureichend sind und von
denen her sein Ansatz und seine Methode genau geprüft werden
müßten. In den Leitsätzen zur Christologie heißt es: „Jesus
stellt erst dann radikal in die Situation des Glaubens, wenn er
als der Gekreuzigte, d. h. als der, der nicht mehr vorhanden ist,
anspricht. Denn so eröffnet er seine eschatologische Existenz
durch das jetzt geschehende Wort jedem in seiner Situation
" (91). Danach hätte das Kreuz, weil es das Vorhandensein
Jesu beendigt, erst die Bahn freigemacht für das jedem in seiner
Situation geschehende Wort. Der „vorhandene" Jesus mußte
beseitigt werden, um die eschatologische Existenz weltweit
wirksam werden zu lassen. Zweierlei ist hier fraglich: Erstens
kann das Kreuz schwerlich als Beendigung des Vorhandenseins
Jesu gedeutet werden. Erst der Begrabene ist der nicht mehr
Vorhandene. Um E.s Intention zu erfüllen, müßten wir den begrabenen
Jesus verkündigen. Und in der Tat sagt das Credo:
„...gekreuzigt, gestorben und begraben...", aber um fortzufahren
: „am dritten Tage wieder auferstanden". Und der Auferstandene
wird allerdings als der Gekreuzigte verkündigt, aber
eben nicht als der Begrabene. Zweitens ist nicht einzusehen,
inwiefern das „Vorhandensein" Jesu der weltweiten Predigt des
Wortes hinderlich sein sollte. Man denke an die synoptischen
Aussendungsperikopen. Daß die Weltmission erst nach Karfreitag
und Ostern einsetzte, hat christologische Gründe anderer
Art. — In den Leitsätzen zur Ekklesiologie heißt es: „Für die
Grundlegung von Ekklesiologie ist darum entscheidend, den Inhalt
der christlichen Verkündigung so sehr auf seine Einheit hin
zu bedenken, daß nicht nur seine locihafte Vielheit... als
ein einziges Wort sich erweist, sondern auch das, was das
Wort sagt, als mit dem eins erfaßt wird, daß es als Wort geschieht
" (93). Auf den dann folgenden Seiten begegnet immer
wieder der Begriff des „vollmächtigen Wortgeschehens". Was
bedeutet hier „Wort"? Wann „geschieht" Wort? Worte werden
gedacht, gesprochen, geschrieben, gehört, gelesen, gelernt, beherzigt
, in die Tat umgesetzt usw. Alles menschliche Leben ist
worthaft, ist „Wortgeschehen". Insofern ist es nichts Besonderes
, daß das, was das Wort der Verkündigung sagt, eins damit
ist, daß es als Wort geschieht und auch entsprechend erfaßt
werden muß. Aber E. will mit seiner These offenbar auf etwas
anderes hinaus. Er versteht „Wort" in einem engeren Sinn
als „mündliches, also gegenwärtiges, freies, verantwortendes
Wort dessen, der als Zeuge dazu steht" (99). So gesehen, läßt
6ich aber E.s These nicht halten. Was die Verkündigung sagt,
muß m. E. nicht als eins damit erfaßt werden, daß es als (mündliches
) Wort geschieht. Die Bibel lesen, den Katechismus lernen,
ein Bekenntnis formulieren, eine Dogmatik studieren, sind als
Weisen, das, was das Wort sagt, zu erfassen, nicht auszuschließen
. Ja, sie haben neben dem mündlichen Zeugnis eine
wesentliche Bedeutung.

Diese beiden kritischen Bemerkungen sind nur als Anmerkungen
zu E.s Darlegung gedacht. Es kann nur jedem Theologen
empfohlen werden, E.s Schrift zu lesen, um in Zustimmung und
Kritik von ihr zu lernen.

Halle/Saale Erdmann Sch o 11

Glocge, Gerhard: Mythologie und Luthertum. Recht und Grenze
der Entmythologisierung. 3., erweit. Aufl. Göttingen: Vandenhoed<
& Ruprecht [1963]. 209 S. gr. 8°. Kart. DM 13.80.

Es ist ungewöhnlich, wenn eine theologische Arbeit, die in
die aktuelle Diskussion einzugreifen versucht, nach 11 Jahren
noch ein drittes Mal neu aufgelegt wird (l. Aufl. im Lutherischen
Verlagshaus, Berlin 1952). Das spricht für den Wert der betreffenden
Veröffentlichung; denn eine solche Neuauflage ist
nur sinnvoll, wenn die darin vorgetragenen Erkenntnisse durch
die inzwischen weitergegangene Diskussion ihr Gewicht noch
nicht eingebüßt haben. Die wichtigste Ergänzung gegenüber den
beiden ersten Auflagen besteht in der Beifügung des großen
Sammelberichtes über „Entmythologisierung" (Verkündigung
und Forschung 1956/57), der erkennen läßt, wie Gloege selber
den Fortgang des Gespräches über die Entmythologisierung
beurteilt.

Der Vorzug der Gloegeschen Arbeit, die in den theologisch
interessierten Kreisen als bekannt vorausgesetzt werden kann
und für die sich deshalb eine eingehende Besprechung erübrigt,
besteht darin, daß sie verständlich und pädagogisch geschickt in
den ganzen Problemkomplex einführt. Sie versucht, von einer
geprägten Position aus argumentierend, zu einer Stellungnahme
in einer Sache anzuleiten, der kein Theologe oder denkender
Christ auf die Dauer ausweichen kann. Ihre Grenze ergibt sich
aus der Zielsetzung. Der Verfasser konzentriert sich auf das Gespräch
mit Bultmann — er zieht dabei aber dessen frühere Veröffentlichungen
mit heran —, während er nur am Rande auf andere
Gesprächspartner Bezug nimmt. Die Arbeit bekommt eine
besondere Note durch den Versuch, Bultmanns Entmythologi-
sierungsprogramm im Lichte der lutherischen Unterscheidung
von Gesetz und Evangelium zu sehen. Dem entspricht ein auffallendes
Desinteresse an dem Verhältnis Bultmanns zur Philosophie
Heideggers.

Gloeges Abhandlung ist folgendermaßen aufgebaut: Er
bringt in einem ersten Abschnitt A. (S. 20—26) eine kurze
Skizze von Bultmans Entwurf der Entmythologisierung. Dem
folgt ein Abschnitt B. (S. 26—47), der unter Einbeziehung der
früheren Veröffentlichungen Bultmanns die Ansätze des Entwurfs
positiv herausarbeitet, während Abschnitt C (S. 47—97) die
Durchführung dieses Ansatzes kritisch untersucht und damit den
vierten Abschnitt D (S. 98—162) vorbereitet, in dem Gloege
seine eigene Auffassung über die Weiterführung der Arbeit in
einer theologischen Interpretation darlegt.

Die Frage nach dem Verhältnis Bultmanns zur lutherischen
Tradition ist der bestimmende Gesichtspunkt der Studie. (Deshalb
wohl der nicht ganz glückliche Titel: Mythologie und
Luthertum.) Unter dieser Fragestellung kommt der Verfasser zu
einer positiven Würdigung des „Grundmotivs" Bultmanns und
zugleich zu sehr kritischen Äußerungen im Hinblick auf die
Durchführung dieses Ansatzes. Bultmanns Unterscheidung von
Mythologie und Kerygma entspricht nach Gloege der lutherischen
Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (S. 41 ff.). Er
sieht in der dem Entmythologisierungsproblem innewohnenden
Dialektik die Dialektik, die die lutherische Unterscheidung von
Gesetz und Evangelium belebt (vgl. S. 45).

Ohne das so auf einen kurzen Nenner gebrachte hermen-
eutische Grundprinzip Luthers selbst kritisch zu überprüfen,
argumentiert er mit ihm sowohl im Blick auf Bultmann wie auf
dessen Kritiker. Die Testfrage ist für ihn, ob Bultmanns Entwurf
sich auf Luthers hermeneutische Ausgangsform zurückführen
läßt und inwieweit sein Ergebnis der lutherischen Grunderkenntnis
entspricht. Alle Kritiker Bultmanns, die dessen Ansatz entweder
für theologisch illegitim halten oder in ihm keine Transformation
der lutherischen Grunderkenntnis sehen, schaltet er
von vornherein aus der Diskussion aus. Daraus ergibt sich zweifellos
eine Zielstrebigkeit der ganzen Abhandlung, die aber vielleicht
doch zu teuer erkauft ist. Die sehr schnelle Abfertigung
Thielickes (S. 47) scheint uns mit Gloeges Entscheidung für diese
Fragestellung zusammenzuhängen.

Trotz seiner Bemühungen um eine „optimale Interpretation
des Bultmannschen Ansatzes" (S. 48) kommt Gloege bei seinem
Vergleich Bultmanns mit Luther im Endeffekt doch zu einem
negativen Ergebnis. „Luthers Hermeneutik ist gegenüber der
Bultmanns sowohl sachlich wie methodisch von größerer Weite"
(S. 75). „An Luthers christozentrisch gewonnenem Daseinsverständnis
gemessen, erscheint Bultmanns Existenzbegriff formalabstrakt
, unanschaulich-blaß und seine existentiale Interpretation
der Texte schematisch-monoton" (S. 76).

Gloege weist darüberhinaus in seiner Kritik an Bultmann
auf die Gottesfrage hin. „Luthers Interpretation ist auch dort,
wo sie ,existential' verfährt, stets theologische Interpretation"
(S. 76). Denn sie fragt „in erster Linie nicht nach den Grundmöglichkeiten
menschlicher Existenz, sondern nach den Grundmöglichkeiten
des Handelns Gottes" (ebd.). Damit hat Gloege
schon vor 12 Jahren auf das entscheidende Problem hingewiesen,
das inzwischen immer stärker in den Mittelpunkt der hermen-
eutischen Diskussion gerückt ist (vgl. H. Gollwitzer: Die Exi-