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Ausgabe:

1965

Spalte:

712

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Vielhaber, Ernst

Titel/Untertitel:

Das Problem der Offenbarung in der Theologie 1965

Rezensent:

Vielhaber, Ernst

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711

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 9

712

lesungsaufzeichnungen von drei unbekannten Hörern, nämlich die Auslegung
von Jes. 1 u. 2 u. 5, 4 bis 23, 7 (A), von Jes. 3, 1 bis 5, 3 (B) und
von Jes. 49,20 bis 51,23 (C). Die Teile A und B entnahm L. nach
Abschluß der Vorlesung einem Heft G. Schmalzings, der selbst aber
nicht Luthers Kolleg gehört hatte. Die Nachschrift B ließ sich als leicht
überarbeitete Aufzeichnung Rörers identifizieren. Die Hörer A (Ludwig
Bauer?) und C blieben unbekannt. Art und Wert ihrer Wiedergaben
unterscheiden sich von der L.'s in mehrfacher Hinsicht: Sie interessiert
die exegetische Arbeit am hebr. Text, dagegen teilen sie allgemeinere
hermeneutische Erwägungen ebensowenig mit wie persönliche Bemerkungen
oder kritische Äußerungen Luthers. Die von Veit Dietrich
nach Rörers Kollegheft edierten Scholien (sie!) von 15 32 und 1534
(2. erweiterte Auflage) enthalten wertvolles Material. Sie sind stark
gekürzt, aber kaum bearbeitet. Die 2. Edition schließt sich sogar enger
als die erste der Vorlage an und wurde bisher zu Unrecht abgewertet.
Die Scholien von 15 34 geben vor allem zur Auslegung von Jes. 1 bis
35 und gerade in den umfangreichen Zusätzen authentische Auszüge
der Nachschrift Rörers wieder, auf die die Forschung unbedingt neben
den in L.'s Kollegheft vereinten Aufzeichnungen zurückzugreifen hat.
Erst L.'s Kollegheft und die Scholien von 1534 zusammen erschließen
annähernd den Reichtum der Vorlesung; beiden Überlieferungen
gegenüber aber ist auf Grund umfangreicher Kürzungen und zahlreicher
Entstellungen Vorsicht geboten. Zur bisher bekannten Überlieferung
sind zwei neue kleinere Stücke hinzuzufügen: die Präparation Luthers
zu Jes. 61, 1 und Rörers originale Wiedergabe der Auslegung von Jes.
47, 13.

2. Die Datierung der Vorlesung konnte neu bestimmt werden:
Beginn 18. Mai 1528 (!), letzter Vorlesungstag 22. Februar 1530.

3. Neben die bereits aus anderen Vorlesungen Luthers bekannten
exegetischen Hilfsmittel trat hier Oekolampads „In lesaiam pro-
phetam Hypomnematön", Basel 1525. Eine Reihe von Beispielen zeigt,
daß Luther sich gegen die gesamte übrige exegetische Tradition für
die von Oekolampad neu erarbeitete Übersetzung entschied. Auch die
sog. Wormser Prophetenübersetzung folgte diesem Kommentar Oekolampads
bei der Wiedergabe des Jesajabuches, so daß ihr hier keine
eigenständige Bedeutung zukommt. Eine alphabetische Liste nennt alle
(97 verschiedene) von Luther herangezogenen kirchlichen und antiken
Autoren.

4. Es wurden alle Beobachtungen zur Zeitgeschidite des Propheten
und dessen Weissagungen (Luther sieht in ihnen Predigten), die naturkundlichen
und geographischen Erklärungen, die Gedanken zur Komposition
und stilistische Erwägungen teilweise in Tabellen gesammelt
und ausgewertet. Die überlieferte Anordnung des Prophetenbuches erkannte
Luther als sekundär und nahm hier erstmals in der Auslegungsgeschichte
mehrere Umstellungen von Kapiteln vor. Sprache und Sache
bilden ihm eine unverbrüchliche Einheit und sind doch aufs genaueste
von einander zu unterscheiden. Der Gegenstand einer Aussage ruft
deren Stil hervor, darum wirkt die Ausdrucksform nicht um ihrer selbst
willen, sondern bleibt Diener des Inhalts der Verkündigung, dichterischer
Ausdruck ihrer Wahrheit und Gewißheit.

5. Ausführlich wurde Luthers Interpretation an den Modellen von
Jes. 6; 9, 1 bis 6; 40, 1 bis 8; 61, 1 und Jes. 64, 5 dargestellt und besprochen
. Das in der Vorlesung entfaltete Verständnis von Jes. 61,1
konnte bereits in nuce in einer Predigt von 1516 (aber dort andere
Termini) nachgewiesen werden. An Jes. 40,1 bis 8 und Jes. 64, 5 (als
Gegenbeispiel) wurde Luthers exegetische Entwicklung nachgezeichnet
und durch Konfrontation mit heutigem Verständnis profiliert. Die Auslegung
des 6. Kapitels wurde in ständiger Auseinandersetzung mit der
gesamten exegetischen Tradition bis hin zu Bugenhagen, Oekolampad,
Zwingli und Calvin erarbeitet. Die zu Jes. 6 vorgetragenen Deutungen
leisten einen besonderen Beitrag zum Verständnis der Abendmahlsauffassungen
und des Marburger Abendmahlsgespräches. Auch wurda
Luthers grundsätzliche Entscheidung gegen Allegorese und Typologie
für den textus nudus und die historia simplex hervorgehoben und
zugleich mit dem durch eine bestimmte Regel eingegrenzten Gebrauch
der allegorischen Deutung erklärt.

6. Luther gewann von seiner theologia crucis her die Möglichkeit
einer unbefangenen historischen, ja kritischen Exegese und bannte zugleich
die Gefahr einer positivistischen Einschätzung erarbeiteter Ergebnisse
. Der Text selbst wurde erstmals zum alleinigen Maßstab vernunftgemäßer
zutreffender Deutung, ohne daß dabei seine Mittlerrolle
unbeachtet blieb. Aus dem Dialog des freigelegten Textverständnisses
mit dem Verstehenden erwächst die Bestimmung eigenen Lebens. So
hat man bei Luther von einem dopelten hermeneutischen Zirkel zu
sprechen. Der erste gilt dem historisch-grammatischen Verständnis, der
zweite setzt unabdingbar den ersten voraus und doch zugleich außer
Kraft. Man hat die Brücke eigenen Denkens zum Text offenzuhalten,
um von der Gewalt jenes fremden Denkens erreicht zu werden, aber
dies geschieht nur dann, wenn die eigene gedachte Vorstellung sich
preisgibt (das Subjekt-Objekt-Schema gesprengt wird).

Vielhaber, Ernst: Das Problem der Offenbarung in der Theologie
Martin Kählers. Eine kritische Darstellung. Diss. Göttingen 1963.
III, 3 56 S.

Die Frage, welche Rolle historische Tatsachen für den christlichen
Glauben spielen, wird in der vorliegenden Arbeit an der theologiegeschichtlichen
Nahtstelle untersucht, an der sie erstmals systematisch
gestellt wurde, bei Martin Kähler, dem theologischen Großvater Rudolf
Bultmanns (Lehrer seines Lehrers Wilhelm Herrmann). Die Untersuchung
fußt auf der von Kähler vorausgesetzten These, daß der Offenbarung
durch das Wesen des Menschen bestimmte Strukturen vorgeschrieben
sind und daß der Mensch diese Strukturen erkennen kann.
Von dieser Basis aus wird Kählers Ansidit, die Offenbarung müsse geschichtlich
sein, unter dem Gesichtspunkt überprüft, ob und in welchem
Sinne das Wesen des Menschen eine geschichtliche Offenbarung
fordert. Kähler hat die positivistische Fiktion wertfreier „Tatsachen"
überwunden durch die Einsicht, daß es keine Erkenntnis ohne Wertung,
keinen Gegenstand ohne Wirkung gibt. Aber Kähler übersieht das berechtigte
Anliegen des Positivismus. Er versäumt es, Tatsadie und Wert
in ihrer Zusammengehörigkeit zu erfassen, d. h. die individuelle Wertung
mit der aller anderen Menschen auszugleichen. In Kählers individualistischer
Anthropologie und Geschichtsauffassung fehlt ein
Wesensmerkmal des Menschen, die Gemeinschaftlichkeit, d. h. die das
Ich-Du-Verhältnis ergänzende Bezogenheit mehrerer, potentiell aller
Menschen auf eine Sache. In einem längeren Exkurs wird das Fehlen
dieses Merkmals bei Heidegger, Gogarten und Bultmann nachgewiesen
und die Existenztheologie existential, nämlich durch vollständigere
Berücksichtigung der Existentialien, weiterentwickelt. Die im Kähler-
schen und im existentialistischen Menschenbild vermißte Gemeinschaftlichkeit
wird als die existentiale Wurzel aufgedeckt, aus der das Interesse
des Menschen an der Tatsächlichkeit entspringt. Unter Tatsächlichkeit
ist dabei die Seinsweise verstanden, in der ein Gegenstand
potentiell allen verständigen Menschen erscheint, wenn sie selbst ihn
wahrnehmen bzw. erleben und von den Unterschieden zwischeneinan-
der, ohne sie im mindesten abzulegen, absehen. Kähler versteht
unter Geschichtlichkeit die ausgeübte Wirksamkeit, die bewiesene Geltung
einer Größe. Er berücksichtigt nicht das Verlangen des Menschen,
echte von vermeintlichen Wirkungen zu unterscheiden und von der
Überlieferung verdeckte Züge zu enthüllen. Deswegen kann Kähler
mit der Begründung, der Kanon sei in der Kirchengeschichte wirksamer
gewesen als alle Rekonstruktionsversuche, den kanonisch-biblischen
Christus als den geschichtlichen und insofern dem Wesen des Menschen
entsprechenden Glaubensgrund bezeichnen. Aber die Christenheit
müßte, wäre der Kanon als solcher die offenbarende Größe, in genau
so viele Gruppen zersplittert bleiben, wie die biblischen Texte verschiedene
Meinungen wiedergeben. Darum wird der Auffassung Kählers
die These entgegengesetzt, nicht der in sich uneinheitliche Kanon,
sondern der Brennpunkt, auf den er als seine Mitte hinweist, das faktische
Reden und Handeln Jesu von Nazareth, sei Richtschnur des
christlichen Glaubens, weil nur dieses in sich einheitliche Faktum die
Gläubigen zur Gemeinschaft der einen, alle umfassenden Kirche verbinde
. Neben der Geschichtlichkeit wird Kählers Postulat unmittelbarer
Erfahrbarkeit der Offenbarung aus seiner Anthropologie hergeleitet
und die Rolle, die dementsprechend der persönliche Umgang des Gläubigen
mit dem Auferstandenen oder dem Heiligen Geist für Kähler
spielt, kritisch dargelegt. In zwei längeren Abschnitten wird Kählers
Apologetik ebenfalls auf seine Anthropologie zurückgeführt, dargestellt
und beurteilt.

ZEITSCHB1

Mitropolia Ardealului 1963:

Heft 1-3
Studien.

Exegetische Theologie.

M a r c u, Grigorie: Sfintul Varnava Cipriotul — apostol al elenistilor
(Der hl. Barnabas von Cypern, ein Apostel der Hellenisten). S. 45

—73.

TENSCHAV

P a p u c, Luca: Sf. Luca — autor noutestamentar (Der hl. Lukas, ein

neutestamentlicher Autor). S. 74—92.
Historische Theologie.

5 e s a n, Milan: Biserica Ortodoxä pine in veaeul al Xl-lea (Der Weg

der orthodoxen Kirche bis zum 11. Jahrhundert). S. 93—108.
Systematische Theologie.

I c ä, Ion: Enciclica Patriarhiei Ecumenice din ianuarie 1920 cätre
Bisericile lui Hristos de pretutindeni (Die Enzyklika des ökumeni-