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Ausgabe:

1965

Spalte:

704-708

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hirsch, Emanuel

Titel/Untertitel:

Predigerfibel 1965

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 9

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Predigt von unerläßlicher Wichtigkeit. Mit der Betonung
der Breite der Glaubenserfahrung gewinnt die Psychologie für
den Homileten neue Bedeutung. „Die im Text bekundete
Lebenswirklichkeit" soll „dem Leben der heutigen Gemeinde"
begegnen (S. 89). „Die Wirklichkeit menschlicher Existenz erfährt
der Prediger nicht mit Hilfe einer Philosophie, sondern
nur im persönlichen Umgang mit sich selbst und anderen, also
im praktischen seelsorgerlichen Dienst" (S. 92). In Kritik der
heute so vielfach in bloßer exegetischer Präparation befangen
bleibenden Meditationenliteratur wird als Sonderakt der Predigtvorbereitung
die absichtslose, kontemplative Meditation sulpi-
cianischen Stils mit der Vierteilung der adoratio, participatio,
cooperatio und oratio empfohlen (Beispiel dafür S. 110 f.). „Die
'Predigtniederschrift beginnt mit einer endgültigen Festlegung
des Themas, wie es sich aus dem Skopus, den durchgeordneten
Einfällen der Woche und der Meditation ergibt" (S. 112). —
Frage: In welchen normativen Relationen stehen diese drei
Momente zu einander? — Für die vorbereitende Konzeption der
Predigt werden sehr persönliche, ja kalendarische Empfehlungen
für jeden Tag der Woche gegeben. Der dreigeteilte Aufbau mit
Einleitung und Schluß plus „Stichwortzettel" macht das „Memorieren
" überflüssig (S. 116). — (Wirklich? — Natürlich nicht als
stures Auswendiglernen, wohl aber als nachmeditierendes, sinnvolles
Einprägen und Behalten scheint mir die Memorie allerdings
von großer Wichtigkeit für eine wirkliche Freiheit der
Kanzelrede zu sein, die man heute so vielfach vermißt!)

Eingehende Aufmerksamkeit wird dem Sprachproblem gewidmet
— zum Glück, und von U.s Ansatz her ja selbstverständlich
, in Ablehnung eines sowohl den Sprachbegriff wie die
Predigtaussage überfordernden, von Heidegger her modisch gewordenen
Linguismus („Sprachereignis" — „sagbarer Christus"),
und in Forderung einer einfachen, volkstümlich verständlichen
Redeweise, abseits von allem erkünstelten Seminar- und Asphaltjargon
. Erfreuliche Korrekturen im Sinne seelsorgerlicher Aufnahme
der menschlichen Situation gegenüber einseitigem Doktrinarismus
bringt die Erörterung der Kasualpredigten (Taufe,
Trauung, Beerdigung).

Trotz vielem Positiven, Nützlichen und Hilfreichen, das
uns das U.sche Buch von seinem Ansatz her zu sagen, zu empfehlen
und eindrücklich zu machen weiß, werden wichtige homiletische
Fragen entweder zu locker, zu persönlich und zu peripher
behandelt oder treten auch gar nicht in den Gesichtskreis der
Erörterung. Das gilt vor allem für das Gestaltproblem der Predigt
. Bereits im Inhaltsverzeichnis fällt auf, daß der „formalen
Homiletik" kein besonderer Abschnitt gewidmet ist. Was U.
dazu zu sagen hat (Thema, Komposition, Sprache) ist in den
Ratschlägen seiner „Praktischen Homiletik" untergebracht.
Selbstverständlich darf „Form" nicht als bloße stilistische Frisur
verstanden werden. Das „Wie" der Predigt als Anrede an die
Gemeinde steht in strenger methodischer Korrelation zu ihrem
„Was", und damit ist der gesamte Gehalt — nicht nur Inhalt! —
ihrer Aussagen gemeint. Es geht dabei um die Vergegenwärtigung
des Wortes Gottes in der Form der Darstellung, Erläuterung, Anknüpfung
und Übertragung, um den Weg der Begegnung mit
dem Einzelnen, der Gemeinde und der Welt in der Form ihrer
Anrede, um die Gestalt der Bezeugung im persönlichen Zeugnis,
in der Art der Predigtargumentation (gerade wenn auf die Zwiesprache
so großer Wert gelegt wird: wie vollzieht sich dieser
Dialog?) und in der Weise ihrer notwendigen Appelle1. In
diesen von der Homiletik viel zu lange schon vernachlässigten
Fragen wird der „junge Pfarrer", dem der Weg von seiner Exegese
zu der unser Leben in seiner Wirklichkeit treffenden Predigt
so schwer fällt, auch bei U. viel zu sehr allein gelassen. —
Ferner fehlt eine systematische Übersicht über die Normen der
recht verstandenen Predigtaufgabe, die hilfreiche Anweisung
auch zur Kritik der eigenen Predigtelaborate geben könnte. Die
Rangordnung der Belange mußte herausgestellt werden. Was ist
unabdingbar notwendig, und wa6 in das freie Ermessen des Pre-

') Vgl. den Abschnitt „Gestaltanalyse" in meinem Buch: „Die
evangelische Predigt. Grundsätze und Beispiele homiletischer Analysen
, Vergleiche und Kritiken" Bremen 1963, S. 490 ff.

digers gestellt?" Der abstrakte Begriff „subjektive Verantwortung
" tragt das nicht aus! — Nidit behandelt ist die Frage nach
dem sich heute immer mehr durchsetzenden „Predigtteam", die
Hilfe, die der Plarrer von der Vor- und Nachbesprechung durch
einen geeigneten Gemeindekreis zu finden vermag, gerade, wenn
er lebensnahe predigen soll.

bdiwierig ist ja nun immer die Aufgabe, innerhalb einer
Predigtlehre auch noch eine „historische ' Homiletik unterzubringen
: schon weil sie einen sehr großen Umfang erfordern
würde, wenn sie der Fülle des geschichtlichen Stoffes auch nur
einigermaßen entsprechen wollte. Aber sie dürfte sich ja auch
nicht mit einer bloß pragmatischen Historie begnügen, sondern
müßte „problemgeschichtlich" verarbeitet sein, wenn sie für
unser homiletisches Denken fruchtbar gemacht werden soll. U.
will in diesem Abschnitt daher nur einige Beispiele bieten, die
„darauf aufmerksam machen, daß unsere heutige Auffassung von
Aufgabe und Gestalt der Predigt zeitbedingt ist. Ein Blick in die
Geschichte kann ermutigen, enge Vorstellungen zu durchbrechen
und eine Predigtweise zu wagen, die von dem gültigen Schema
abweicht" (S. 172). Noch fragmentarischer als die da gegebenen
Hinweise ist das, was „Zur Geschichte der Predigtlehre" gesagt
wird. Wie erfreulich, daß dabei Andreas Hyperius so ausführlich
zu Worte kommt. Aber ihm 9 Seiten zu geben und allen übrigen
Homiletikern zusammen nur zweieinhalb — die Homiletiker der
letzten 100 Jahre sind bis auf ein Zitat von Doerne hier überhaupt
nicht berücksichtigt! — bedeutet doch eine sehr willkürliche
Akzentverteilung.

Andrerseits wird auf 75 Seiten im letzten Teil des Buches
noch eine reichliche Auswahl von eigenen „Predigtbeispielen"
untergebracht. Beispielhaft sollen sie nach der Richtung wirken,
„daß die menschliche Konkretion des Textgehaltes sichtbar
wird" und „daß man die Sprache beachte, die sich bemüht,
weder theologische, noch journalistische Mode6prache zu sein,
vielmehr in anschaulicher Weise den denkenden Menschen,
keineswegs nur den Gebildeten anzusprechen" (S. 192). Diese
Normen sind wichtig, werden auch hier erfüllt. Aber sind das
die einzigen Gesichtspunkte, die für beispielhafte Predigten geltend
zu machen sind? Nützlicher wäre es gewesen, sich auf
wenige Beispiele zu beschränken, diese aber homiletisch analytisch
allseitig so durchzukommentieren, daß dem Lernenden
dabei einsichtig zu werden vermag, warum aufgrund dieses
Textes und im Hinblick auf diese Gemeindesituation gerade
dies und dieses s o ausgesagt werden mußte oder doch konnte.

Bonn Joachim K o n ra d

Hirsch, Emanuel: Predigcrfibcl. Berlin: de Gruyter 1964. X, 415 S.
8". Lw. DM 24.-.

Dieses Buch, das „für Prediger von der Predigt sprechen
will", ist keine Homiletik im strengen Sinne. Es ist vielmehr
eine aus Erfahrung und Nachdenken geborene Zwiesprache des
Verfassers mit dem einsam seine Predigt vorbereitenden Prediger
, die bewußt außerhalb des heutigen kirchlich-theologischen
Stils steht und Fragen zur Sprache bringt, die, wenn überhaupt,
heute höchstens am Rande theologischer Überlegungen erscheinen
. Das Buch steht durchaus in kritischer Distanz zum
common sense der heutigen Kirche und Theologie. Das Pathos
der Subjektivität und der Innerlichkeit ist nicht nur der tragende
Grund des Buches, sondern eines der sachlichen Anliegen, die
es für jede Predigt, die Dienst an der Wahrheit sein will, unverbrüchlich
geltend machen will. Es ist ein positives Buch des
kritischen Theologen, wie schon die vorausgegangenen Bücher
Hirschs „Vom Wesen des reformatorischen Christentums" (1962;
und „Hauptfragen christlicher Religionsphilosophie" (1963) ganz
ad hominem geschrieben. Ohne die tiefe Begegnung mit Kierkegaard
ist keines der Kapitel denkbar, das pietätvolle Gedenken
des Verf. an seine Lehrer Paul Kleinert und Karl Holl in der
kurzen Einführung bedeutet ein Bekenntnis zu einer theologischen
Tradition, die auch das Lutherverständnis des Buches
charakterisiert, aber das Buch ist doch ein durchaus unserer Zeit
und ihren viel verheimlichten Aporien zugewendetes Wort.

*) In meinem eben zitierten Buch vgl. man den Abschnitt „System
der Maßwerte" S. 512 ff.