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Ausgabe:

1965

Spalte:

701-704

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Uhsadel, Walter

Titel/Untertitel:

Die gottesdienstliche Predigt 1965

Rezensent:

Konrad, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 9

702

PRAKTISCHE THEOLOGIE

U h s a d e 1, Walter, Prof. D. theol., Dr. phil.: Die gottesdienstliche
Predigt. Evangelische Predigtlehre. Heidelberg: Quelle & Meyer
1963. 284 S. gr. 8° = Praktische Theologie, Bd. 1. Lw. DM 18.—.

Wenn ich recht sehe, kommen auf die Praktische Theologie
nun Aufgaben zu, von denen her es sich verbieten wird, sie
als „Train" hinter der eigentlichen Front der Exegese und Dog-
matik zu bezeichnen, oder auch ihren Ort als den ruhigen
..Umschlags h a f e n" aufzufassen, in dem die theologische Fracht
der aus offener See kommenden Schiffe für den kirchlichen Gebrauch
handlich verpackt und präpariert wird. Die Frage nach
der Verkündigung heute im Hinblick auf eine weitgehend säkularisierte
„Christenheit", auf eine literarhistorisch sich immer
mehr differenzierende Exegese und einer zu beidem in deutlicher
Spannung stehenden dogmatischen Lehrtradition, wird an die
Homiletik, wenn sie sich nicht mit freundlichen Ratschlägen
begnügen will, große und harte Anforderungen stellen. Eine
evangelische Predigtlehre wird methodisch kritisch die Grenzen
der historischen Exegese abstecken müssen, um sauber und überzeugend
die Frage nach der Vergegenwärtigung des Wortes
Gottes stellen zu können; und sie wird kategorial konstruktiv
nach den verbindlichen Normen biblisch gültigen und unsere
Wirklichkeit durchgreifenden Predigens zu fragen haben. Nicht,
um sich nun auch noch in der Praktischen Theologie in Abstraktionen
zu verlieren, sondern um der heute so schwierigen
Praxis mit einer sie notwendig bestimmenden, aus der Aufgabe
der Sache eindeutig hergeleiteten Theorie verbindlich und hilfreich
zu begegnen. Auch U. steht auf diesem Wege. Es fragt
sich nur, ob eine Reihe seiner Positionen fest genug fundiert,
nicht zu fragmentarisch, in bestimmter Hinsicht zu restaurativ,
in anderer allzu persönlich gefaßt ist, um den entscheidenden
homiletischen Durchbruch durch die verspannte theologische
Situation vollziehen zu können, in der sich die „Studenten und
jungen Pfarrer" heute befinden, bei denen laut Vorwort wieder
..Freude an der Predigt" erweckt werden soll.

II. setzt in der Einleitung bereits die Akzente seiner Auffassung
: „Die Aufgabe, vor der wir stehen ist eindeutig: die
seelsorgerliche Erneuerung der gottesdienstlichen Predigt" (S. 13)
und charakterisiert die Predigt als „Zwiesprache der gottesdienstlichen
Gemeinde über menschliches Leben in der Welt"
(S. 15). So verschwindet denn auch die „Verkündigung" als
Fundamentalbegriff der Homiletik und wird der missionarischen
Predigt vorbehalten, die aus der gottesdienstlichen verwiesen
wird. „Die nunmehr gebotene Anrede kann nicht erneute Verkündigung
sein" (sie! S. 26).

Der Aufriß des Buches zeigt vier Hauptteile: A Das Amt
des Predigers (Systematische Homiletik), unterteilt in 1. Der
Gottesdienst als Ort der Predigt (Prinzipielle Homiletik), 2. Der
Inhalt der Predigt (Materiale Homiletik). B Die Arbeit an der
Predigt (Praktische Homiletik), unterteilt in 1. Die sonn- und
festtägliche Predigt, 2. Die Kasualpredigt. C Zur Geschichte der
Predigt und Predigtlehre (Historische Homiletik). D Predigtbeispiele
.

U.s treibendes Interesse liegt darin, die Predigt vom Amt
her zu verstehen, sie im gottesdienstlichen Rahmen in unlösbarer
Beziehung auf die Realpräsenz Christi im Sakrament zu
fundieren und sie als allein der Gemeinde in Lehre, Trost und
Ermahnung zugewandt zu bestimmen, obwohl gelegentlich auch
einmal vom „offenen Kreis" geredet wird. „Es wird nur einen
Weg zu ihrer Genesung geben: Daß sie wieder als Dankopfer
am Lobpreis der Gemeinde, die ihrem in Wort und Sakrament
gegenwärtigen Herrn mit Freuden dient, Anteil nimmt und damit
zu ihrem ursprünglichen Wesen als gottesdienstliche Predigt
in der Gemeinde zurückkehrt — und allen Verlockungen des
Offentlichkeitshungers widersteht" (S. 5 5). Man muß die Antithese
mithören, um diesem berechtigten, aber zugleich vereinseitigten
homiletischen Anliegen gerecht zu werden. Darf man
des missionarischen Charakters der Predigt in der heutigen
..volkskirchlichen" Situation entraten, der ja mit „Öffentlichkeitshunger
" nicht verwechselt werden sollte? Liegt das gottesdienstliche
Fundament einschließlich des Sakramentes für das
Glaubensbewußtsein auch unserer Kerngemeinde so unangefochten
fest, daß es nicht selbst immer wieder der verkündigenden
Erneuerung bedürfte?

Ich weiß, es geht U. um die Substanz. Und die sieht er —
theozentrisch verbürgt — im „fanum" der gottesdienstlich versammelten
Gemeinde. Von dieser konservativen Basis her sucht
er andrerseits den Akt der Predigt aufzulockern und zu entlasten
: „Die Predigt aber hat in solchem Gottesdienst die rechte
Freiheit, weit hinaus ins Profanum menschlicher Existenz zu
greifen, weil es nicht mehr ihre Aufgabe ist, das Wesen des
Gottesdienstes als solches zu repräsentieren (!), sondern die
Sendung aus dem Fanum ins Profanum zu realisieren" (S. 40).
„Die Predigt ist also insofern nicht Kultrede, als sie in die
Mitte des von ehrwürdiger Überlieferung geprägten Gottesdienstes
das ganz menschlich-weltliche Wort stellt und eben damit
bekundet, daß diese Überlieferung mit dem heutigen Leben
zu tun hat" (S. 81). Dieser Satz ist der Angelpunkt des Buches.
Darf sie ihrem Auftrag gemäß nur das sein? Verführt eine
solche zentral gemeinte Formulierung nicht zur Lösung von
einer schrift- und text-gebundenen Predigt, die trotz mancher
verbalistischer und „textomanischer" Verzerrung eben doch eindeutig
Verkündigung des biblisch bezeugten Wortes Gottes zu
sein hat, und nicht nur menschlich weltliche Zwiesprache mit
der Gemeinde über die Überlieferung? Auch wenn man in Rechnung
stellt, daß diese These sich gegen einen gemeinde-, welt-
und wirklichkeitsfremden exegetischen Doktrinarismus unserer
Kanzeln wendet, gilt es doch davor zu warnen, daß dadurch nicht
etwas mißverständlicherweise verschüttet wird, was in der Theologie
der letzten 45 Jahre nun wirklich erfreulicherweise zu
neuer und segensreicher Geltung gebracht worden ist. Einen
Satz wie den: Predigt sei nicht Textinterpretation, sie stelle
vielmehr den Versuch dar, die Gemeinde durch die Hilfe schriftlich
festgehaltener Kunde in lebendiger Gemeinschaft mit Jesus
Christus selbst zu halten (S. 173), darf man nicht durchlassen.
Er ist erstens ein Widerspruch in sich selbst, denn das „durch"
fordert eo ipso die Notwendigkeit der Auslegung auch vor der
Gemeinde; und zweitens gewinnen und haben wir Gemeinschaft
mit Jesus Christus nur in, mit und unter der primären Gestalt
seiner biblischen Bezeugung. U. hält ja auch — Gott sei Dank! —
selbst die eben pointierte Auffassung nicht durch. Wogegen er
sich eigentlich wehrt, das sind bestimmte Interpretationsformen
der heutigen Theologie, vor allem der Bultmann-Schule, die er
als ungenügend und verengend gegenüber der Lebens- und Er-
fahrungs-Bezogenheit des Wortes empfindet. „Nicht der Text
als solcher, sondern nur der Text im Kontext des menschlichen
Seins ist Gottes Wort" (S. 67). In der streng methodischen Analyse
und gestaltenden Handhabung dieser Beziehung von
Explikation und Applikation, der Interpretation des geschichtlichen
Textzeugnisses in sich und seiner sach- und sinngemäßen
Übertragung auf unsere heutige Wirklichkeit steht das zentrale
Anliegen der homiletischen Aufgabe.

U. setzt hier den Begriff der „verantwortlichen Subjektivität
" ein (S. 64) und fordert dafür die „drei Aspekte" des
Existentiellen, Aktuellen und Providentiellen, „unter denen das
Menschliche in der Bibel erscheint" (S. 61) und darin auch uns
mit ihrer „geschichtlich eschatologischen Ausrichtung umfaßt".
..Der Inhalt der Predigt" — auf die kanonische Einheit der in der
ganzen Bibel bezeugten Taten Gottes bezogen — „ist die
Betrachtung dieser Geschichte. Er ist Zwiesprache mit der Gemeinde
der Gegenwart darüber, wie sie selbst zu diesem Geschehen
steht und sich verhält" (S. 62). Der Vereinseitigung in
einen exegetischen Verbalismus und einem ihm entsprechenden
bloßen Entscheidungspunktualismus wird also ein heilsgeschichtlicher
Realismus entgegengestellt. Hier beruft sich U. auf
Tillich: „Das Sein geht dem Reden voraus und die Offenbarungswirklichkeit
geht dem Offenbarungswort voraus und bestimmt
es" (S. 67).

Ich muß mich nun für die Durchführung dieses Programms
bei U. auf einige Andeutungen beschränken. Die Ordnung des
Kirchenjahrs und der Perikopen ist ihm für die gottesdienstliche