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Ausgabe: | 1965 |
Spalte: | 688-689 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Allgemeines |
Autor/Hrsg.: | Niesel, Wilhelm |
Titel/Untertitel: | Gemeinschaft mit Jesus Christus 1965 |
Rezensent: | Beintker, Horst |
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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 9
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nen Literatur oder im direkten Lehrbetrieb begegnet sind bzw.
begegnet sein könnten.
Es ist Reuters These, daß die Bipolarität im Denken des
Reformators — d. h. die in der Institutio gleich eingangs erläuterte
Gottes- und Selbsterkenntnis — sich wesentlich aus
Bernhard von Clairvaux und dem im damaligen gelehrten Paris
herrschenden scotischen bzw. scotistischen Voluntarismus herleitet
(S. 9. 27). „Neben Duns Scotus, Gregor von Rimini und
Thomas von Bradwardine verdankt Calvin keinem Kirchenlehrer
so viel wie ihm (Bernhard)" (S. 34). „Allein", so fährt
Reuter fort, „alles ist durch eine reformatorische Revision
hindurchgegangen."
Es ist verständlicherweise mißlich, nur den ersten Teil der
anregenden Studie Reuters rezensieren zu müssen. Man könnte
Gefahr laufen, vom Verfasser mit Recht bezüglich offengebliebener
desideria auf den zweiten Teil hingewiesen zu werden.
Unter prinzipieller Öffnung dieser Möglichkeit und Gefahr mag
nun doch angemerkt sein, daß der eigentliche Impetus bzw.
Quellgrund „reformatorischer Revision" im Denken Calvins
nicht recht deutlich wird. Der Verfasser spricht zwar zuweilen
vom „reformatorischen Umbruch" (S. 56) bei Calvin, von dem
„Ausbau seiner Offenbarungslehre" (S. 129), aber der Leser vermißt
die Präzision in der Kennzeichnung des Reformatorischen
in der Entdeckung Calvins, das Hinausgehen über die bzw. das
Hintersichlassen der „augustinischen Scotisten unter den
Nominlalisten" (S. 144 f.). Gemeint sind Gregor von Rimini,
Johannes Major u. a.
Das Problem terminologischer Schärfe erhebt sich bei der
Reuterschen Arbeit mit großer Dringlichkeit. Es ist nicht einfach,
Augustin, Duns Scotus und den Nominalismus Wilhelm von
Ockhams in den Köpfen der Lehrer Calvins so ohne weiteres
zusammenplaziert zu denken und dann noch mit dem Anspruch,
gerade dieses habe Calvin nachhaltig beeinflußt. Komplikationen
in der Terminologie sind hier unvermeidlich. So muß Reuter
von seinen Deduktionen her O. Webers Nominalismus-Begriff
kritisieren; denn Weber kommt zu dem Ergebnis, „daß Calvin
wahrlich kein Nominalist ist" (S. 215, Anm. 190).
Man wird Reuter zugestehen müssen, daß das geistige
Klima, das Miteinander und Gegeneinander verschiedener Devotion
, der via antiqua und moderna an der Sorbonne überaus
schwer beschreibbar sind. Das hat die Forscher bisher zurückgehalten
, Calvin bei dieser oder jener Strömung fest angesiedelt
zu denken. Reuter ist unbekümmerter als manche seiner Vorarbeiter
, von „Konsequenz des Voluntarismus" zu reden, „den
Calvin! bei seinen Pariser Lehrern gelernt hatte" (S. 99), und auch
von einem „Personalismus, dem zufolge er die Heilige Schrift
verstand. Aber gleichzeitig hatte er an den devoten Frömmigkeitsübungen
im College Montaigu teilgenommen. Er kannte die
emotionale Inbrunst bernhardinischer Frömmigkeit, wußte aber
auch über die intelligible Gottesschau augustinischer Gottesliebe
Bescheid" (S. 99 f.).
Dieses Miteinander und Ineinander soll Calvin geprägt
haben. Es müßte im einzelnen aufgewiesen werden, welche These
hier Stich hält. Besonders aufschlußreich ist Reuters ätiologische
Verbindung der Vorsehungslehre bei Calvin mit „dem
scotischen Individuationsprinzip", das er besonders bei Brad-
wardine ausgeprägt gefunden hat (S. 169). Die Vorsehung Gottes
muß nach Reuters Auffassung der Calvinischen Schöpfungslehre
zugerechnet werden (S. 173). „Angesichts der Unterscheidung
von Schöpfungs- und Heilslehre, die Calvin innehält, ist eine
christologische Interpretation seiner Vorsehungslehre nicht gestattet
." (S. 173).
Der Verfasser billigt Calvin zwar „eine reformatorische
Heilserkenntnis" zu, „aber seine Gotteslehre weist nominali-
stische Störungen auf" (S. 154). Andernorts (S. 184) erkennt
Reuter hinsichtlich der Gotteslehre Calvins Anknüpfung „an
den scotistischen Personalismus und Voluntarismus". Im Gegensatz
zu Niesei, Kolfhaus u. a. kann Reuter demnach „Calvins
Theologie nicht einfach christozentrisch finden" (S. 230,
Anm. 56).
Die häufige Barth-Polemik in den Anmerkungen soll hier
nur erwähnt, aber nicht bewertet werden. Sie ist ein Zeichen für
die generell zu beobachtende Unbefangenheit gegenüber ausgewiesenen
Calvinkennern. Immerhin ist es keine Frage: Die Ergebnisse
der Untersuchungen Reuters werden manche — hoffentlich
immer sachliche — Gegnerschaft finden, aber es mag ihm gedankt
sein, daß er Türen geöffnet hat, die bislang verschlossen
waren und die Zugang schaffen zu Räumen, die noch niemand
recht betreten wollte. Daß diese Räume etwas anderes enthalten
als Reuter darzulegen versuchte, mag in mancher Beziehung
sehr wohl möglich sein.
Berlin Joachim Rogge
Bornkamm, Heinrich [Hrsg.]: Das Augsburger Bekenntnis. Hamburg
: Furche [1965]. 86 S. 8U = Furche-Bücherei, 228. Pp. DM 4.50.
Kösters, Reinhard: Luthers These „Gerecht und Sünder zugleich".
Zu dem gleichnamigen Buch von Rudolf Hermann (Catholica 19,
1965 S. 136—160).
Locher, Gottfried W.: Testimonium intemum. Calvins Lehre vom
Heiligen Geist und das hermeneutische Problem. Zürich: EVZ-Verlag
[1964]. 30 S. 8° = Theologische Studien, hrsg. v. K. Barth u. M.
Geiger, 81. DM 3.50.
S c h m i d, Reinhard: Thomas Müntzer im Geschichtsbild des Dialektischen
Materialismus (DtPfrBl 65, 1965 S. 258—262).
SYSTEMATISCHE THEOLOGIE
N i e s e 1, Wilhelm: Gemeinschaft mit Jesus Christus. Vorträge und
Voten zur Theologie, Kirche und ökumenischen Bewegung. München:
Kaiser 1964. 198 S. gr. 8°. Lw. DM 16.—.
Seinen ökumenischen Beitrag legt W. Niesei in Veröffentlichung
seiner Voten zur Entwicklung der ökumenischen Bewegung
und seiner Vorträge auf den Bekenntnissynoden vor.
Er versteht sie als „Zeugnis der Bekennenden Kirche". „Dabei
geht es um nichts anderes als um die Botschaft der ersten These
der Barmer Theologischen Erklärung." Das Buch ist ein Versuch,
das „fruchtbar zu machen, was uns an beglückender Erkenntnis
und Weisung einst geschenkt worden ist" (198). — Im einzelnen
sammelt N. thematisch seine kleinen Arbeiten aus drei Jahrzehnten
. Unter „Bekenntnis heute" stehen Betrachrungen zum
Heidelberger Katechismus, zum reformierten Bekenntnis, zur
reformatorischen (reformierten) Verantwortung innerhalb des
Ökumenischen Rates. Unter „Die Gemeinde im Gehorsam des
Glaubens" stehen Beiträge zur Ordnung der Gemeinde und zum
Gottesdienst. „Die Verkündigung am Tische des Herrn" bringt
ähnliches Material (Kirchenzucht; Konfirmation nach reformiertem
Formular), aber speziell „Zwingiis .spätere' Sakramentsanschauung
", „Das Calvinische Anliegen in der Abendmahlslehre
" und zuvor eine Appellation zum Abendmahlsgebrauch
„Die Gemeinschaft des Leibes Christi". Hier wird deutlich, daß
N. über formale Betonung der „reformierten Schule" (142)
hinaus doch andere theologische Motive vorbringt, die freilich
ausmünden in „Barmen III" und in die Betonung von „Gehorsam
", Zeugnis auch durch die „Ordnung", „Eigentum" Christi, zu
leben „von seinem Trost und von seiner Weisung" (131). Der
kurze letzte Gedankenkreis „Der Dienst der Lehre" (171—197)
versteht sich aus N.s Dienst an den kirchlichen Hochs«hulen für
die Gründung der kirchlichen Hochschulen von Berlin und
Wuppertal, sowie aus seiner Verantwortung für gesamtkirchliche
Lehrfragen, etwa „Die Bedeutung und die Rolle der Glaubensbekenntnisse
in den reformierten Kirchen" (183 ff.). — Mit seinem
Buch möchte N. einer erwünschten Erneuerung bekenntniskirchlicher
Haltung in der jüngeren Generation helfen (vgl.
„Ruf zur Sache", 192 ff.), aber ohne direkte Bezugnahme auf inzwischen
eingetretene theologiche Entwicklungen und neue geistige
wie technische Verhältnisse in der Welt wird dafür geringe
Aussicht bestehen. Ein Mangel an grundlegenden theologischen
Konzeptionen, die in Beantwortung der starken Veränderungen
geistiger, gesellschaftlicher und politischer Art erforderlich sind,
würde der Ökumene nur schaden. Der Wert des Buches als Zeitdokument
für die Kirchengeschichtsschreibung und für die Einschätzung
der Bekenntnistheologie steht außer Frage. Welche
Probleme heute für uns bestehen, wird hier und da einigermaßen
sichtbar, z. B. im Beitrag über Neu Delhi, aber doch fast