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Ausgabe:

1965

Spalte:

680-682

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Anderson, Hugh

Titel/Untertitel:

Jesus and christian origins 1965

Rezensent:

Delling, Gerhard

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679

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 9

680

Glauben, den sie schon haben, stärkt und befestigt" (S. 9);
dadurch entsteht die Frage nach dem Verhältnis von Verkündigung
und geschichtlichem Ereignis und Geschehen in der Darstellung
, die den Historiker wie den Theologen in gleicher
Weise fordert. Der Verfasser bemüht sich, das Verkündigungsanliegen
des Evangelisten deutlich zu machen, und- er stellt zugleich
die Frage nach dem historischen Geschehen. Dabei entsteht
eine doppelte methodische Frage, die u. E. nicht immer
klar gestellt wird. Erzeugt der Rückgang auf die
Weissagung und ihre Erfüllung die dargestellte
Situation oder wird eine vorhandene
Situation durch sie gedeutet und in
ihrer Darstellung beeinflußt, vielleicht sogar
bestimmt? Erzeugt Auseinandersetzung
mit dem zeitgenössischen Judentum eine
Situation oder präzisiert sie eine vorhandene
Situation und beinflußt dadurch ihre
Darstellung? Als Beispiele für die erste Frage sei erwähnt
das Auftreten der falschen Zeugen im Prozeß Jesu vor
dem Synedrium; so problematisch der ganze Bericht des Verhörs
vor dem Hohen Rat für den Historiker ist, was Eduard
Lohse deutlich herausarbeitet, so wenig ist doch die Frage nach
den falschen Belastungszeugen mit dem Hinweis auf Ps. 27, 12
erledigt (vgl. S. 84 f.). Und bezeichnet die Frage der Sohnschaft
Jesu — dies als Beispiel für die zweite methodische Frage — tatsächlich
nur „den entscheidenden Punkt der Auseinandersetzung
zwischen der christlichen Gemeinde und der Synagoge" (S. 86)?
Liegt der Grund erst in einem von der Gemeinde geschaffenen
Bekenntnis, oder hat dieses Bekenntnis Grund in der Geschichte
Jesu und welchen Grund? Lohse gibt in seiner Darstellung eine
ausgezeichnete Übersicht, gerade in ihrer Knappheit verdienstvoll
, über die Probleme der Passionsgeschichte und ihre möglichen
Lösungen und greift mit eigenem Urteil und eigener
Sicht in die Diskussion ein, so daß es zur Aufgabe des Rezen-
senten wird, mit einigen Anmerkungen zu einigen der Diskussionspunkte
auf weitere Aufgaben hinzuweisen.

Wir versuchen das an fünf Stellen, um abschließend eine
grundsätzliche Frage zu stellen.

E. Lohse versteht Mark. 10, 45 als einen „Satz, der allen
Lesern seines Buches zeigen soll, in welchem Sinne der folgende
Bericht vom Leidensweg Jesu zu lesen und zu verstehen ist"
(S. 25). Damit aber steht der Evangelist Markus in einer Tradition
, die jeder der vier Evangelisten in eigener Weise bietet:
Matthäus übernimmt die Aussage des Markus (Matth. 20, 28);
Lukas läßt Jesus beim letzten Mahl sagen: „Ich bin in eurer
Mitte wie ein Diener" (Luk. 22, 27), und der Evangelist Johannes
gestaltet dieses Wort zu seiner Fußwaschungsszene aus, die den
gleichen Zusammenhang von Hoheit und Dienst (Joh. 13, 3—5)
zeigt, wie er auch bei den anderen Evangelisten vorhanden ist,
bei Markus und Matthäus durch die Menschensohnbezeichnung,
bei Lukas durch die Fortsetzung 22, 28—32. Das aber ist für
das vorgegebene Ineinander des geschichtlichen Erscheinungsbildes
und des verkündigten Christus in den Evangelien beachtlich
.

Beim Einzug in Jerualem weist Lohse hin auf das in
Palästina öfters sich zeigende Bild vom Lehrer, der auf einem
Esel (reitet, und dessen Schülern, die zu Fuß neben ihm herziehen
, wobei es möglich ist, daß die Ankunft des berühmten
Lehrers Jesus ein gewisses Aufsehen erregt haben kann; jedoch
nicht daran habe der Gemeinde gelegen, sondern in der Darstellung
des Evangelisten Markus z. B. zeichnen sich in dem
Bilde des Einziehenden bereits die Züge des kommenden Herren
ab. Jedoch — kann man das vertraute Bild des reitenden Lehrers
und seiner ihn zu Fuß begleitenden Schüler mit dem einziehenden
Jesus so in eines setzen? Es ist doch ein anderes, ob ein
Lehrer so über Land reitet oder ob er in Jerusalem auf dem
Weg zum Tempel einzieht. Das gewohnte Bild bekommt ein
anderes Gewicht, u. z. nicht erst in der kerygmatischen Gestaltung
, sondern schon als geschichtliches Ereignis. Danach wäre
doch zu fragen, wenn man mit Lohse die Erzählung nicht einfach
als eine Legende verstehen will, die aus Sach 9, 9 heraus-
enrwickelt ist.

Fragt man mit Lohse nach der ältesten Überlieferung in der
Formulierung der Abendmahlsworte, so ergibt sich für das
Brotwort der interpretierende Zusatz „für euch gegeben" in
Luk. 22, 19 und — ohne diööjuevov — in 1. Kor. 11, 24. Jedoch,
auch Joh. 6, 35.48 und ein wenig anders 51 ist interpretierende
Wiedergabe des Brotwortes. Sie verdient umso mehr Beachtung,
als Brotwort und Kelchwort, durch die Hauptmahlzeit voneinander
getrennt, nicht durch einander erklärt werden können.
Sollte es dann nicht möglich sein, das Brotwort als Hinweis auf
das, was Jesus für die Seinen in seinem Kommen ist, zu verstehen
, während das Kelchwort am Schluß der Mahlzeit auf das
hinweist, was er durch seinen Tod den Seinen schafft? Die beiden
Worte durch einander auszulegen wird doch erst in dem Augenblick
sinnvoll, da sie einen Akt in doppelter Form aussagen
.

Bei der Erörterung der historischen Grundlage der
Gethsemaneszene, für die Lohse einen historischen Bericht leugnet
, muß doch beachtet werden, daß vor aller Gestaltung der
Szene als Glaubensaussage der in ihr festgehaltene Augenblick
steht, da es sich für Jesus entscheidet, ob er seinem Leiden durch
die Flucht — über den Ölberg in das Ostjordanland — noch ausweicht
oder ob er sich seinen Häschern und Gegnern stellt.

Daß der Lukasbericht über das Verhör Jesu vor dem
Synedrium von Markus abhängig und durch Kürzungen aus
Markus entstanden sei, also diesem gegenüber jünger, ist so
sicher nicht, wie das bei Lohse erscheint. Sieht man in Luk. 22, 69
eine von Lukas redigierte Einlage aus Markus, so steht
22, 66—68. 70. 71 als ein durchaus selbständiger Bericht neben
Markus. Wir würden durch den Passionsbericht hindurch zwei
Grundformen, die des Markus, der sich weitgehend Matthäus
anschließt, und die lukanisch-johanneische, die beide selbständig
ausgestalten, erkennen, die ihrerseits miteinander zu vergleichen
sind. Schließlich sei noch angemerkt, daß wir das „Du sagst es"
in Mark. 15,2 Par. nicht als bejahende Antwort verstehen
können; das betonte ob Xeyeig schiebt dem Redenden die
Verantwortung zu, während die Stellung des Antwortenden
mindestens offen bleibt.

In seinem Einleirungskapitel spricht Lohse bei Erörterung
des urchristlichen Bekenntnisses l.Kor. 15,3—5 von der „unlöslichen
Zusammengehörigkeit" und der „engsten Bezogen-
heit", in der das Sterben Jesu und seine Auferweckung gesehen
werden und so allein recht verstanden werden können (S. 13 f.).
In 6einer Darstellung des Passionsgeschehens macht er zwar
deutlich, wie das Ostergeschehen auf die Gestaltung des Leidens
und Sterbens einwirkt. Jedoch unerörtert bleibt die Frage, wie
bei den einzelnen Evangelisten in jeweils eigener Weise Passionsund
Ostererzählung auf einander bezogen sind und einander
durchleuchten, so daß in je verschiedener Weise das Verständnis
der Passion von der Ostererzählung und diese wieder von der
Gestaltung der Passion her in ihrem Verständnis des Oster-
geschehens bestimmt wird. Das würde freilich ein u. E. notwendiges
weiteres Kapitel über das Ostergeschehen im Zusammenhang
mit der Passionsdarstellung erfordern, wie es durch
die einzelnen Evangelisten vollzogen wird.

Eisenach Walter G r u n d ma n n

Anderson, Hugh: Jesus and Christian Origins. A Commentary on
Modern Viewpoints. New York: Oxford University Press 1964.
XIV, 386 S. 8°. Lw. $ 7.-.

__Das Buch vollzieht zum größeren Teil eine — jeweils mit

einer Berichterstattung verbundene — Auseinandersetzung mit
der neueren wissenschaftlichen Literatur zum Thema. In Kap. I
geht es um die (besonders durch Schweitzer und Barth vorbereitete
) Abwendung vom historischen Jesus in der Theologie
Bultmanns, einer Abwendung, die vor allem auf Bultmanns Indifferenz
gegen historische Ereignisse beruht (l3f. 29. 33 f.),
und um die damit verbundene Herausstellung eines Kerygmas1,

') Mit einer Neigung zu einer doketisdien Christologie. 51. 104.

315.