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Ausgabe:

1965

Spalte:

625 -629

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bohren, Rudolf

Titel/Untertitel:

Predigt und Gemeinde 1965

Rezensent:

Krause, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 8

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die Kirche und Gesellschaft gemeinsam in einen Emanzipationsprozeß
verstrickt sieht, läuft konsequenterweise auf eine „Theologie
der Gesellschaft" unter dem besonderen Gesichtspunkt
der Frage nach der Geschichte hinaus und verweist damit auf
Ansätze Trutz Rendtorffs2.

Auf die Kritik M.s an der „Kirchensoziologie" und an der
„Evangelischen Sozialethik" unserer Tage kann hier nur hingewiesen
werden. Die ganze Fülle der Gedanken dieses Bändchens
wünscht man sich in den nächsten Jahren ausführlicher behandelt
und diskutiert. Schon jetzt aber darf man in ihm einen sehr
treffsicheren Anstoß für die Selbstbesinnung der Kirche hinsichtlich
ihres theologischen Selbstverständnisses wie ihrer gesellschaftlichen
Wirksamkeit sehen.

Marburg/Lahn Walter Sohn

*) Trutz Rendtorff: Geschichte und Gesellschaft. In: F. Karrenberg
und W. Schweitzer (Hrsg.): Spannungsfelder der evangelischen
Soziallehre. Hamburg 1960, S. 154 ff.

A 1 b r e c h t, Paul: Kirche und Gesellschaft. Wichtige Probleme im
Bereich christlich-sozialen Denkens und Handelns (ZdZ 19, 1965
S. 99—104).

Antweiler, Anton: Moderne Industriestaaten und agrarische Entwicklungsländer
(ThGl 54, 1964 S. 358—362).

Backhaus, Gunther: Consumo, ergo sum? Wohlstandsgesellsdiaft
und Existenzfragen (DtPfrBl 65, 1965 S. 89—91).

C a r r i e r, Herve: Les Catholiques et la sociologie empirique (Gre-
gorianum 46, 1965 S. 66—82).

C o m b 1 i n, Jose: La Iglesia y el poder en la sociedad pluralista
(Teologia y Vida 4, 1964 S. 250—268).

Echternach, Helmut: Übergang zu matriarchalischen Lebensformen
? (Zeitwende XXXIV, 1963 S. 333-341).

Foerster, Heinrich: Die Struktur der Gemeinde und die Haus-
haltcrschaft (DtPfrBl 64, 1964 S. 489-493).

Greinacher, Norbert: Chronik der wichtigsten pastoralsoziologischen
Bemühungen im deutschen Sprachgebiet seit 1945 (Concili
um 1, 1965 S. 227—231).

Günther, Walther: Erneuerung und Sendung der Gemeinde (DtPfrBl
65, 1965 S. 36—39).

Houtart, Francois, und R e m y, Jean: Die Anwendung der Soziologie
in der pastoralen Praxis. Heutiger Stand (Concilium 1, 1965
S. 209—226).

Kerkhofs, Jan: Kirchliche Entwicklungshilfe (Concilium 1, 1965
S. 184—190).

König, Rene: Zukunftserwartungen. Ziele und Ansprüche in der
Gegenwartsgesellschaft. Erkenntnisse der Soziologie (Universitas 20,
1965 S. 59—68).

Luckmann, Thomas: Kirchlichkeit in der modernen Gesellschaft
(DtPfrBl 64, 1964 S. 457—459).

Oppen. Dietrich von: Die Isolierung des Pfarrers von der Gesellschaft
(ZdZ 19, 1965 S. 87—93).

Plachte, Kurt: Die Heile Welt des Menschen (PBI 104/1964 S. 615
—618).

Remy, Jean: Religionssoziologie in Belgien (Concilium 1, 1965 S. 231
-233).

Röpke, Wilhelm: Um das Ganze des Menschen und der Gesellschaft
in hochentwickelten Ländern (Universitas 18, 1963 S. 113—121).

Scarpati, Rosario: Die Pastoralsoziologie in Italien (Concilium 1,
1965 S. 240—242).

Starbuck, Robert B.: Die „diakonia" der Gemeinde in der industriellen
Welt (Die Zeichen der Zeit 16, 1962 S. 163—171).

S t ö h r, Martin: Die Kirche inmitten der gesellschaftlichen Probleme
der Welt (Die Zeichen der Zeit 16, 1962 S. 290—294).

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Bohren, Rudolf: Predigt und Gemeinde. Beiträge zur Praktischen
Theologie. Zürich/Stuttgart: Zwingli Verlag [1963]. 243 S. gr. 8°.
Lw. DM 22.50.

Von neun in schweizer und deutschen Zeitschriften veröffentlichten
Aufsätzen der Jahre 1952—62 behandeln fünf
Fragen der Predigt (Wort u. Kraft, Heilsgeschichte u. Pr., Gestalt
der Pr., K. Barths Predigtweise, Die Krise der Pr. als Frage
an die Exegese), vier Amt und Gemeinde (Die Hauskirche J.
Ch. Blumhardts, Das Pfarramt in der Sicht des Theologiestudenten
, Unsere Gemeinden — Gemeinde Jesu Christi?. Die Leitung der

Gemeinde); dazwischen steht der bisher unveröffentlichte Vortrag
„Seelsorge — Trost der Seele oder Ruf zum Reich". M;t
vielen Anregungen für eine Gestaltänderung der Predigt und
Gemeinde kehren trotz der verschiedenen Themen in allen Aufsätzen
dieselben Grundgedanken mit einer gewissen Monotonie
wieder. In ihnen liegt, unbeschadet der nur passim gestreiften
Liturgik und der gar nicht einbezogenen Katechetik, der Anspruch
, als „Beiträge zur Praktischen Theologie" gewürdigt
zu werden, die, leidenschaftlich und grundsätzlich vorgetragen,
eine in Umorientierung begriffene Disziplin treffen und daher
zur Auseinandersetzung herausfordern.

Kritik an der bestehenden Kirche, gewiß Pflicht der Praktischen
Theologie, bildet einen durchgängigen, oft schrillen
Grundtenor des Buches. B. trägt sie gerne in Worten von Außenseitern
(Lessing 13 ff., Sartre 29 f.), Katholiken (Bernanos 183,
Ledergerber 221) und Theologiestudenten (174 ff.) vor, deren
Kompetenz nicht immer überzeugt, zumeist aber formuliert
er mit spitzer Zunge selber.

Die Gemeinden der in Traditionalismus immer „wie in einem
Gips" erstarrenden Kirche (12) sind „in ihrer Kirchlichkeit sitzengeblieben
und darum geistlose" (189); sie dürfen im Gottesdienst, der
„zur bloßen Seelenbedienung degradiert" ist (190), nur „absitzen, zuhören
, auf Kommando singen, aufstehen, die Hände falten", werden
„andauernd als unmündige Kinder behandelt, die den Schnabel nicht
auftun dürfen"(l96 f.), und sind „tote Seelen" (29), „geistlich gesehen
sehr oft leere Blätter" (62). Die Predigt der Gnade ist „große Mode"
(20) und stopft „fort und fort Trost in die Hälse und Herzen der
Hörer" wie bei „Mastgänsen" (190); durch die Pflicht zu regelmäßiger
Predigt „plappert und klappert es dann auf vielen Kanzeln. Die Tibetaner
haben Gebetsmühlen und wir Predigtmühlen" (204). Wie die
Reformatoren „die Gemeindebildung abgelehnt" (227) und „das römisch
-katholische Priestertum nicht überwunden" haben, so leiteten sie
„die Entwicklung reaktionär auf . . . Monopolisierung des Predigtamtes
" (178 f.), „das verdammte Einmannsystem" (55), so daß das
Pfarramt heutiger Gestalt „fatal unbiblisch" ist und „gegen das Wirken
des Geistes und . . . die Mündigkeit der Gemeinde" steht (192-94).
Die Pfarrer, wegen humanistischer Bildung mit „denkbar schlechtesten
Voraussetzungen zum Predigtamt" ausgerüstet (68), werden von der
Kirche gut versorgt, die sich wie „keine weltliche Firma leisten könnte
. . . so viele unqualifizierte, untaugliche Arbeitskräfte in ihrem Betrieb
zu lassen!" (173); „servile Lakaien der Religion", treiben sie Seelsorge
„radikal enteschatologisiert . . . zutiefst hoffnungslos . . . (als) Verengung
auf das private Heil . . . Präparation aufs Jenseits . . . Sittenpolizei
. . . Rettung ohne Mitmenschlichkeit" (126-30))1.

Was auch immer an dieser pauschalen „Kritik" berechtigt
sein mag, es ist inhaltlich nicht neu, theologisch einfach unqualifiziert
und — verwunderlich in einem Buch, dem es zentral
um die Erweckung der „charismatischen Gemeinde" geht —
läßt „das beste Charisma", hier: die Liebe zur Kirche, nicht
mehr erkennen. Ist ihre Absicht, die Gewissen zu wecken, zumal
B. beunruhigt fragt, ob die heutige Exegese „nicht gewissenlos
geworden ist" und den Exegeten „Gewissensforschung" empfiehlt
(115 f.), so kann man sie kaum ernist nehmen, da er kurz zuvor
der gerade von diesen Theologen erneuerten Betonung des Gewissens
für die Hermeneutik „Solipsismus", Mystik und Eremi-
tentum vorgeworfen hat (108)2. Will die ermüdend bissige
„Kritik" im Stil des von B. sehr geschätzten Alten Testaments
Gericht predigen — und B. spricht vom Gericht als „Warnung an

') In gleichem Reportagestil werden eine Reihe zeitgenössischer
Theologen angeprangert: G. Wingren's Predigtlehre wirke wegen
Spiritualisierung der Wunderfrage als „theologisches Glasperlenspiel. . .
letztlich doketisch" (45); K. Barth scheint wegen Verdrängung des
Jüngsten Tages und Vergegenwärtigung der Eschatologie „ohne Naherwartung
, ohne Apokalyptik" und „Mangel an Dramatik" in seinen
letzten Predigten „einer neuen Einseitigkeit verfallen" (81—83); R.
Bultmann macht „aus Gottes großen Taten . .. ein existentialistisches
Kammerspiel" und verfällt mit den ihm folgenden Exegeten bis hin
zu W. Marxsen dem Urteil „verborgener Katholizismus" (103—106);
W. Trillhaas wird nach einer veralteten, längst durch Neubearbeitung
ersetzten Auflage und in Verzerrung seiner eigentlichen Intention zitiert
(136). Über die sachlich halt- und inhaltlosen Anwürfe gegen
W. Bernet (107 f.) vgl. ThLZ 89. 1964. 507.

J) Da in dem zehnseitigen, ca. dreihundert Begriffe nachweisenden
, aber unübersichtlich angelegten Sachregister „Gewissen" und
„Verantwortung" nicht vorgesehen sind, scheinen sie keine nennenswerte
Rolle zu spielen.