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1965

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 8

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Doch wird diese Tatsache reichlich aufgewogen durch die Mühewaltung
, die der Verfasser für die Literatur mit erklärenden
Hinweisen aufgewendet hat. Deutlich wird in der Gesamtdarstellung
herausgearbeitet, wie die soziale Frage in der Erwek-
kungsbewegung auf dem Kontinent und in der angelsächsischen
Welt geradezu entgegengesetzt aufgenommen wird. Äußere und
Innere Mission sind durch die Erweckungsbewegung erheblich
aktiviert und die ökumenische Entwicklung gefördert worden,
bis in die Gegenwart hinein. Hier hat der „spontane Aufbruch
der Gemeinde in die Welt hinaus" seinen Ursprung. Von der
ganzen Erweckungsbewegung gilt, wie Kurt Dietrich Schmidt
gezeigt hat, daß „das gesamte kirchliche Leben von heute ohne
sie überhaupt nicht vorstellbar" ist.

Die von Friedrich H e y e r vorgelegte neue evangelische
Veröffentlichung über „Die katholische Kirche von 1648 bis
1870" bemüht sich um eine evangelisch-katholische Aussöhnung
im Geschichtsbild und wird ein lebhaftes Interesse finden.
Hier wird der Versuch unternommen, den neueren Katholizismus
zwischen den von Trient bestimmten Anfängen und den
von Leo XIII. ermöglichten Beziehungen zur modernen Welt
frei von protestantischen Vorurteilen des 19. Jh.s und der
Jahrhundertwende sachlicher zu betrachten. Dabei sind die
selbstkritischen Arbeiten katholischer Wissenschaftler berücksichtigt
worden. Eine bibliographische Vorbemerkung über den
Stand der Forschung führt in die Kapitel des Buches ein. Unter
„Papsttum und landesherrlicher Absolutismus" wird die Umklammerung
der Kurie durch die katholischen Mächte selbst
aufgezeigt. Die Entwicklung des Gallikanismus wird bis zum
Pontifikat Alexander VIII. geführt. Die Legazia Apostolica in
Sizilien, gewährt in der Ausnahmesituation des normannischen
Kampfes gegen die Araber, findet im 18. Jh. eine staatskirchliche
Interpretation durch die absolutistischen Herrscher. Die
Bemühungen um eine katholische Einigung der getrennten Kirchen
werden von ihren Ursprüngen und Motiven her bis zu den
LInionsplänen der Aufklärung verdeutlicht. Das Kapitel „Die
Apostolate der Orden" bringt die Caritas, die Missionen,
Priesterbildung in Seminaren, Laienaktivität, christliche Volksschule
, historische Forschung (Mauriner), Askese (La Trappe)
und Auflösung des Jesuitenordens. Unter „Strömungen in Theologie
und Frömmigkeit" werden zusammengefaßt: der Jansenismus
, der Quietismus („Guida spirituale"), die katholische
Barockfrömmigkeit (Wunderglaube) und die katholische Aufklärung
. Es folgen untergliederte Kapitel über die katholische
Erneuerung unter den Antrieben der Romantik und der Restauration
, der Triumpf des Ultramontanismus im Pontifikat Pius IX.,
die katholische Kirche in der angelsächsischen Welt und nach-
tridentinische Unionsbemühungen um die östlichen Kirchen. In
der gegenüber den anderen Lieferungen umfangreicheren Darstellung
des neueren Katholizismus ist der eigene kritische Maßstab
spürbar.

Die Lieferung „Amerika" (Bd. 4, Lfg. S.) eröffnet Peter
Kawerau mit einer „Kirchengeschichte Nordamerikas". Er
kennt Kanada und die Vereinigten Staaten und hat bereits ein
größeres Werk über „Amerika und die orientalischen Kirchen"
veröffentlicht. Sein Beitrag bringt in ständiger Fühlung mit dem
Stand der amerikanischen und kanadischen Forschung Grundzüge
der Kirchengeschichte von der Entdeckungszeit bis zur
Gegenwart. Nach einer treffenden Wesensbestimmung protestantischer
und katholischer Kirchengeschichtsschreibung Amerikas
, letztere beont die spanisch-katholischen Errungenschaften
der Neuen Welt und ihre zeitliche Priorität vor den britischprotestantischen
, wird die koloniale Periode beschrieben. In ihr
trat die katholische Mission im südlichen Amerika in Verbindung
mit der spanischen Kolonisation, im nördlichen Nordamerika
mit der französischen Kolonisation auf (Apostolischer
Vikar in Quebec); England dagegen in Nordamerika als antikatholische
, antispanische und antifranzösische Macht. Schon
1636 wurde Harvard College gegründet. Der Übergang der
Puritaner zum Kongregationalismus wurde eines der folgenreichsten
Ereignisse der amerikanischen Kirchengeschichte. Die
amerikanische Theologie mied im 19. Jh. zunächst Auseinandersetzungen
mit den Problemen der modernen Philosophie und

Naturwissenschaft. Der Fortschrittsglaube der Zeit und die
christliche Lehre von der Vorsehung Gottes vereinigten sich,
um Amerikas Aufstieg als das Werk Gottes hinzustellen. Nach
zahllosen Streiks wurde das Social gospel zum Programm erhoben
. Die Soziologie trat anstelle der Theologie; dagegen entstand
die fundamentalistische Bewegung. Heute schickt man sich
in kritischer Haltung an, den überkommenen Protestantismus
neu zu überprüfen. Auf Quellen- und Literaturhinweise ist viel
Mühe aufgewandt.

Eine Kirchengeschichte Mittel- und Südamerikas, eingeteilt
in die Bereiche „portugiesischer und spanischer Zunge", bringen
der zweite und dritte Beitrag und damit zum ersten Mal eine
Gesamtdarstellung in deutscher Sprache. Martin B e g r i c h gibt
im Abriß die Kirchengeschichte Brasiliens, darin die Kolonialzeit
bis zur Vertreibung der Jesuiten 1769 und den Beginn der
neuen Ära. Die Kirche sorgt für Frieden und Ausgleich auch
unter den verschiedenen Rassen und Volkstümern. Dabei
werden von dem Verfasser die kirchliche Organisation, das Verhältnis
zu den Eingeborenen wie auch zu den Negersklaven, die
von den Jesuiten eingerichteten Reduktionen, die Änderung der
kirchlichen Lage nach der Lösung von Portugal, Staat und
Kirche in der Gegenwart sowie die Entwicklung der evangelischen
Gemeindegründungen deutscher Herkunft und eigener
brasilianischer berücksichtigt; schließlich Synoden deutschen Ursprungs
bis zur Gegenwart und die evangelischen Einwanderergemeinden
bis zum zweiten Weltkrieg. Die „Evang. Kirche
Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien" wurde in den Lutherischen
Weltbund und in die Ökumene aufgenommen.

In seiner Kirchengeschichte Südamerikas spanischer Zunge
behandelt Manfred Jacobs das Zeitalter der spanischen
Staatsmission und Kolonialpolitik, die Zeit der Bildung der
heutigen Nationalstaaten und die Integration Südamerikas in
die Weltkirche und Weltpolitik. Aus diesem Prozeß erwachsen
die Geschichte der römisch-katholischen Kirche im 20. Jh. wie
auch die Geschichte des südamerikanischen Protestantismus. An
katholischen Monographien, die missions-, Ordens- oder territorialgeschichtlich
orientiert sind, mangelt es nicht. Die Arbeit
von M. Jacobs erweist, wie sehr dieses Gebiet der südamerikanischen
Kirchengeschichte eine neue Aufarbeitung, auch von
Seiten der evangelisch orientierten Wissenschaft verlangt, zumal
Südamerika gegenwärtig für die evangelischen Kirchen mit
seinen großen evangelisatorischen Ergebnissen und weiten Möglichkeiten
immer deutlicher hervortritt. Aus der Pluralität der
protestantischen Missionen und der Geschlossenheit der römisch
-katholischen Kirche ergeben sich für M. Jacobs Fragenkreise
wie: das ökumenische Problem, Überprüfung des Verhältnisses
zur römisch-katholischen Kirche, neue Stellung des
Protestantiismus gegenüber der Säkularisation, Anpassung der
reformatorisch geprägten Kirchen an die Sprachwandlungen (bedeutsam
an Bibelübersetzung, Katechismus und Predigt), dringende
Überholunjg des Konservatismus und Nationalismus
vieler (besonders dt.) Auswanderergemeinden.

Kiel Walter Göbell

Benz, Ernst: Europa und die Veränderung der religiösen Weltlage
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