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1965

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 8

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Christians im Reiche, die eine Aktivierung der Außenpolitik
möglich gemacht hätte.

Im fünften Kapitel wird die Entwicklung an den Universitäten
, besonders den Theologischen Fakultäten in den Jahren
15 89 bis 1591 beschrieben. Während Leipzig nur einen einzigen
wirklich reformierten Mann aufzuweisen hatte, steuerten die
Wittenberger Theologen eindeutig den reformierten Kurs und
zwar im Sinne eines strengen Calvinismus. Der Zusammenhang
mit streng calvinistischen Universitäten wird außer durch Disputationsthesen
durch einen Vergleich der Wittenberger Matrikel
mit der der Universität Heidelberg, der Hohen Schule und
des Pädagogiums Herborn und des Gymnasiums Illustre Zerbst
erwiesen. In einer Beilage (S. 211 ff.) werden Wittenberger
Studenten der Jahre 1589 bis 1592 zusammengestellt, die sich
an diesen Hochschulen nachweisen lassen.

Im sechsten Kapitel werden die Bemühungen des Landesherrn
um rechte Bildung und Lehre am Hofe gewürdigt. Die
Entwicklung der kurfürstlichen Bibliothek gilt hierfür als Maßstab
. Bezeichnend sei die Publikation des Gebetbuches, eines
„Katechismus" und des Gesangbuchs im Auftrage Christians.

Im siebenten Kapitel behandelt Verf. die Abschaffung des
Exorzismus bei der Kindertaufe. Christian ging hier nicht nur
mit seinem Beispiel voran, sondern er unterstüzte auch die
Maßnahmen in jeder Weise.

Schließlich geht das achte Kapitel ausführlich auf die sog.
Krell-Bibel ein, ein Bibelwerk, das die Krönung der Reformationstätigkeit
des Fürsten und seiner Mitarbeiter hätte werden
sollen, durch den Tod Christians aber nur bis zum zweiten
Chronikbuch gediehen ist.

Der Abschluß bringt eine Zusammenfassung der Maßnahmen
Christians L, deren Beurteilung durch deutsche reformierte
Theologen, ihre theologische und geistesgeschichtliche
Einordnung; es wird auf Probleme hingedeutet, die sich bei
einer weiteren Entwicklung hätten ergeben müssen, und schließlich
folgt eine Wertung dieser „Zweiten Reformation" und ihres
Mißlingens.

Schon der Inhalt der Arbeit zeigt, wie gründlich Verf. zu
Werke gegangen ist. Er hat nichts Wesentliches ausgelassen.
Bewundernswert ist die gewissenhafte Ausnutzung der gedruckten
Quellen und des Archivmaterials. Hier wurde keine
Mühe gescheut. Was die Tatsachen betrifft, steht Verf. — so
weit das überhaupt möglich ist — auf sicherem Boden. Eine
Reihe von Fehlern, die die Forschung bisher tradierte, konnte
ausgemerzt werden. Zahlreiche scharfsinnige Einzelbeobachtun-
gen erhöhen den Genuß des Lesens. Die große Liste der verwendeten
Sekundärliteratur umfaßt die neuesten einschlägigen
Veröffentlichungen. Die zahlreichen Anmerkungen spiegeln die
Akribie, mit der gearbeitet wurde.

Es ist Verf. gelungen, ein Stück Geschichte zu erfassen,
wenigstens in den durch die Quellenlage bedingten Grenzen.

Da es die gestellte Aufgabe erforderte, hat der Profanhistoriker
sich auch in die notwendigen theologischen Probleme
eingearbeitet. Allerdings taucht die Frage auf, ob seine Stellungnahme
für die „Zweite Reformation" aus der verwendeten
theologischen Literatur herzuleiten oder das Ergebnis eigener
Vorentscheidung ist. Jedenfalls führt ihn seine Sicht, die sich
mit der der Verfasser der Krell-Bibel deckt (vgl. S. 170 f. und
187 f.), zu Ergebnissen, die nicht die einzige Deutungsmöglichkeit
der vortrefflich herausgearbeiteten Tatsachen sind. Hier
liegt der entscheidende Einwand gegen die ausgezeichnete
Arbeit.

Mag Verf. zugestimmt werden, der — im Gegensatz zu
Leopold von Ranke — Krell nicht nur von politischen Antrieben
bestimmt sein lassen will, so fehlt doch ein durchschlagender
Beweis dafür, daß der Kanzler derart theologisch engagiert
war, wie behauptet wird. Auch reichen die Belege nicht hin,
Krell wirklich als strengen Calvinisten zu erweisen. Ebenfalls
muß bezweifelt werden, ob Christian I. in der Weise, wie
es dargestellt ist, als bewußter Förderer der Calvinisierung
angesehen werden darf. Das beigebrachte Material muß diese
Auffassung nicht belegen, auch wenn die damals nötige Vertuschungstechnik
in Rechnung gestellt wird. Die Meinung kann
nicht als widerlegt angesehen werden, daß die Motive des Kurfürsten
vornehmlich politischer Natur waren. Sein Bestreben,
den Einfluß der lutherischen Geistlichkeit zurückzudrängen, die
ihre Verbündeten bezeichnenderweise in den Ständen und im
Volke fand, läßt sich ebenso verständlich machen, wenn es Christian
lediglich um die Durchsetzung eines reinen Staatkirchen-
tums gegangen ist. Gerade dann wird der Widerstand des Adels,
der sich nicht nur in Sachsen gegen absolutistische Tendenzen
wehrte, verständlich. Nicht nur in bezue auf den Kurfürsten und
seinen Kanzler, sondern auch bei vielen anderen erwähnten Persönlichkeiten
müßte wohl noch geklärt werden, ob ihre Stellung
oder Maßnahmen tatsächlich als „reformiert" oder „calvini-
stisch" zu definieren sind. Vieles läßt sich auch als philippistisch
deuten oder als Ausfluß eines weichen Luthertums. Daß die
Grenzen hier fließend sind, ist selbstverständlich. Aber von „Re-
formiertentum" sollte doch erst dann gesprochen werden, wenn
dieses durch die entsprechenden Merkmale eindeutig gekennzeichnet
ist.

Anfechtbar ist wohl auch die Schlußwertung, die den Lutheranern
vorwirft, die „protestantische Politik" der Ära Krell
nicht unterstützt zu haben. Das Beispiel Johann Casimirs und
dessen utopische Politik beweisen nicht unbedingt die Berechtigung
dieses Vorwurfes. Vor allem aber muß gesehen werden,
daß das Christentum keine Ideologie bietet, die im politischen
Machtkampf Verwendung finden könnte. Es ist in der Arbeit
sehr gut beobachtet, wie wenige offenbar wirklich aus Glaubenstreue
damals zum Luthertum standen. Doch entspricht diesen
auf der Gegenseite die geringe Zahl der wirklich
Treuen (vgl. S. 164 f.). Die meisten vertraten jeweils eine
Auffassung, die gerade opportun schien. Doch müssen Theologen
nicht als Theologen ernst genommen und gewürdigt werden
, auch wenn es wenige sind, die um der — mindestens
vermeintlich — erkannten Wahrheit willen sich einer anderen
Meinung widersetzen? Daß das Scheitern der — wie
Verf. sagt — reformierten Bemühungen zur geistigen Isolierung
und damit Sterilität in Sachsen geführt habe, wird
schließlich widerlegt durch den kraftvollen lutherischen Einsatz
einer späteren Generation in der Abwehr der durch
August den Starken geförderten Gegenreformation. Könnte man
nicht die Opposition gegen die Unternehmungen in der Regierungszeit
Christians I. als erste Bewährungsprobe dieses evangelischen
Glaubens auffassen, der sich allerdings um Wahrung dessen
bemühte, was er der Ersten Reformation verdankte?

Von den wenigen Druckfehlern sei am Schluß nur auf zwei gravierende
aufmerksam gemacht: Wo ist Anm. 15, S. 92? Bezieht sich die
Einigung nicht auf die oberdeutschen Städte (S. 154)?

Leipzig Ingclraut Ludolphy

Barrois, Georges A.: Calvin and the Genevans (Theology Today
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[Calvin, Johannes:] Akademische Feier der Universität Bern 2u seinem
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