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Ausgabe:

1965

Spalte:

603-607

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Gründel, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Lehre von den Umständen der menschlichen Handlung im Mittelalter 1965

Rezensent:

Hödl, Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 8

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Gegenteil verkehren. Man kann sich vorstellen, daß er in solchen
Fällen am ehesten mit Widerspruch rechnen muß. Aber er tut
das, was er für seine Pflicht hält, mit Selbstverständlichkeit.

Johannes L e i p o 1 d t f

1. Augustinus, Aurelius: Das Handbüchlein. De Fide, Spe et Chari-
tate. Übertragen und erläut. von P. Simon. 2. Aufl. Paderborn:
Schöningh 1962. 13 5 S. 8° = Deutsche Augustinusausgabe, hrsg. von
C. J. Perl. DM 5.80; Lw. DM 7.80.

2 — Musik. De musica libri sex. Zum erstenmal in deutscher Sprache
von C. J. Perl. 3. Aufl. Paderborn: Schöningh 1962. XVI, 304 S.
8° = Deutsche Augustinus-Ausgabe, hrsg. v. C. J. Perl. DM 17.— ;
Lw. DM 20.—.

1. Die Übersetzung des Enchiridion durch Paul Simon wurde
zum erstenmal 1923 veröffentlicht; in der „Deutschen Augustinus
-Ausgabe" erschien sie 1948. Sie liegt jetzt in dritter, unveränderter
Auflage vor. Die Ausgabe von 1948 wurde von mir in
der ThLZ 1950, Nr. 2, Sp. 88 angezeigt. Da es sich bei der jetzigen
Neuauflage um einen unveränderten Nachdruck handelt,
sind meine damals geäußerten Desiderien nicht berücksichtigt.
Beigefügt ist ein Nachwort von C. J. Perl, dem Herausgeber der
gesamten Reihe, in dem u. a. auf neuere Literatur und besonders
auf die kommentierte Übersetzung von Joseph Bärbel in „Testi-
monia" (Düsseldorf 1960) hingewiesen wird.

2. Augustin hat mit der Niederschrift von „De musica" wahrscheinlich
im Jahr 387 in Cassiciacum begonnen; das 6. Buch ist
erst nach der Rückkehr nach Nordafrika vollendet worden. Bekanntlich
bereitet dieses Werk dem heutigen Leser manche
Schwierigkeiten, mit denen demzufolge auch eine Übertragung
zu ringen hat. Perl hat sich eine möglichst wörtliche Wiedergabe
zur Pflicht gemacht, sich aber im Satzbau und Rhythmus eine
gewisse Freiheit gegenüber dem Urtext vorbehalten, um die Verständlichkeit
zu erleichtern. Eine kleine Anzahl von Stellen ist
laut seiner eigenen Aussage trotzdem übrig geblieben, die sich
einer letzten Klärung entzogen haben (S. 281). Nach meinem
Eindruck dürfte die vorliegende Übersetzung im allgemeinen
das erstrebte Ziel erreicht haben. Auf S. 282—284 sind kurze
Hinweise auf die Forschung gegeben, die sich freilich nur wenig
mit dieser Augustin-Schrift beschäftigt hat. Einzelnen Stellen sind
erläuternde Anmerkungen beigefügt. Es ist ein zweifelloses Verdienst
dieser Ausgabe, den Zugang zu dieser schwierigen Schrift
zu erleichtern.

Erlangen Walther t. Loewenich

Elze, Martin: Der Begriff des Dogmas in der Alten Kirche (ZThK 61,

1964 S. 421—438).
H a 11 i n g e r, K.: Zur Edition der Benediktusregel (ThRv 61, 1965

Sp. 1-8).

Löf, L. J. van der: L'exegese exacte et objective des theophanies de
TAncien Testament dans le „De Trinitate" (Augustiniana 14, 1965
S. 485—499).

Ries, Julien: Jesus-Christ dans la religion de Mani. Quelques elements
d'une confrontation de Saint Augustin avec un hymnaire christo-
logique manicheen coptc (Augustiniana 14, 1965 S. 437—454).

Sauser, Ekkart: Väterkunde und Vätertheologie — Gedanken anläßlich
des neuen Buches von Hugo Rahner SJ (ZKTh 87, 1965
S. 203—206).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

C i ü n d e I , Johannes: Die Lehre von den Umständen der menschlichen
Handlung im Mittelalter. Münster/W.: Aschendorff [1963]. LI, 680 S.
gr. 8° = Beiträge z. Geschichte d. Philosophie u. Theologie d. Mittelalters
, Texte u. Untersuchungen, hrsg. v. M. Schmaus, Bd. XXXIX,
H. 5. Kart. DM 84.-.

Objekt (Aktmaterie), Umstände und Zweck bestimmen
und begründen nach der Moraltheologie die Sittlichkeit einer
Handlung. Die Umstände rechnen so zu den Moralprinzipien
(fontes moralitatis). Eine historische Untersuchung über die Lehre
von den Umständen ist darum die Geschichte eines Moralprinzips
. Von den vielfach verzweigten Ansätzen in der klassischen
Philosophie und Theologie bis zur differenzierten Ausgestaltung
der Lehre im 12. und 13. Jahrhundert hat Gründel in seiner

Dissertation die Entwicklung dieses Themas der Fundamental-
moral dargestellt. Die scholastische Literaturgeschichte allgemein
und die Moraltheologie im besonderen sind durch diese Studie
wesentlich bereichert worden.

1. Im 1. Abschnitt der Studie werden zunächst (Kapitel 1) die Ansätze
der Umstandslehre in der klassischen Rhetorik (§ 1), in der heidnisch
-christlichen Ethik (§ 2) und in der kirchlichen Bußdisziplin (§ 3)
sondiert. Das 2. und 3. Kapitel entfalten die Lehre von den Umständen
in den theologischen und kanonistischen Schriften des 12. Jahrhunderts
. Die namhaften Theologen aus der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts
(§ 4), Petrus Lombardus und die von ihm beeinflußten Denker,
(§ 5) und die Schule des Gilbert von Poitiers (§ 6) kommen zur Sprache
Magister Gratianus wird angeführt und die Glossen, Apparate und
Summen zu den Decreta Gratiani (§§ 7—9).

Im 2. Abschnitt wird die Geschichte der scholastischen Lehre von
den Circumstantiae bis zu Thomas v. Aquin und (in einem Ausblick)
darüber hinaus fortgeführt. Das 1. Kapitel sammelt die Lehraussagen
der Theologen aus dem Weltklerus: Petrus von Capua (§ 10), der unbekannte
Verfasser der Summa Bambergensis (§11), Stephan Langton
(§ 12), Robert Courson (§ 13), Gaufried von Poitiers und Guido von
Orchelles (§ 14) Wilhelm von Auxerre und seine Abbreviatoren (§ 1 5),
Wilhelm von Auvergne und Philipp der Kanzler (§ 16), der anonyme
Verfasser der Quaestiones Duacenses und Johannes Pagus (§ 17). Das
2. Kapitel vernimmt die Zeugnisse der Bußschriften (§ 18) und der
Bußsummen (§19). Im 3. Kapitel werden die Lehrmeinungen der Dominikanertheologen
vorgestellt: Hugo von St. Cher und seine Schule
(§ 20), Roland von Cremona und Guerricus von St. Quentin (§ 21), die
Oxforder Theologen Richard Fishacre, Simon von Hinton und Robert
Kilwardby (§ 22), Albert d. G. (§ 23) und dessen zeitgenössische Ordensbrüder
, Petrus von Tarentasia, Hugo Ripelin von Straßburg und
Ulrich von Straßburg (§ 24). Das 4. Kapitel widmet sich den Franziskanertheologen
Alexander von Haies und Johannes von Rochelles
(§ 2 5), Odo Rigaldi und Wilhelm von Melitona (§ 26), Bonaventura
und Richardus Rufus de Cornubia (§ 27), Walter von Brügge (§ 28).
Das 5. Kapitel beinhaltet die Lehre des hl. Thomas (§ 29) und abschließende
, historische und systematische Überlegungen (§ 30). — Verzeichnisse
der Quellen und Literatur der angeführten Handschriften und
Autoren bilden den Rahmen dieser großangelegten Studie.

2. Der Umstandsbegriff hat in formaler Betrachtung seinen
ursprünglichen Ort in der klassischen Rhetorik, näherhin in der
Lehre von der Findung, Sammlung und Sichtung des Stoffes. Der
Begriff zeigt in 6einer vielfachen Aufgliederung die unterschiedliche
Artung eines Tatbestandes bzw. eines Sachverhaltes an.
Die Liste der einzelnen Umstände wurde erst in christlicher Zeit
fixiert. Der Katalog von sieben Umständen ,,Quis, quid . . ."
wurde im Anschluß an die griechische Peristasenlehre festgelegt.
Boethius hält unberechtigterweise Cicero für dessen Urheber. Der
Merkvers „Quis, quid, ubi ..." der ebenfalls Cicero zugeschrieben
wurde, taucht erst im Frühmittelalter auf. — Woher
bezieht Johannes von Salesbury, Metalogicus II c. 12 (PL 199,
869) den Merkvers?

Die ethische Bewandtnis der konkreten Umstände einer
Handlung hat zwar Aristoteles deutlich angesprochen, er verwendet
aber den Begriff nicht. Nemesius von Emesa, dessen
Werk De natura hominis unter dem Namen des Gregor von
Nyssa bekannt und einflußreich war, und Johannes Damascenus
haben die rhetorische Lehre von den Topoi für die Ethik fruchtbar
gemacht. In der frühkirchlichen Bußdisziplin wurde der praktischen
Bedeutung der Umstände zur Bewertung der sündigen
Tat, der Schuld, bzw. der Strafe immer schon Rechnung getragen.
Die moraltheologische, bußdisziplinäre und
rechtliche Bewandnis der Umstände bedingte eine weite,
verstreute Behandlung des Themas in der scholastischen Theologie
. In bewundernswerter Kleinarbeit geht Gründel den einzelnen
Belegstellen nach. Der unterschiedliche literarische Charakter
der Fundorte und die spezifische Denkform der einzelnen Autoren
ist für die jeweilige Bewertung der Umstände bestimmend.

In Abälards Gesinnungsethik haben die Umstände einer
Tat lediglich Bedeutung für die Strafverfolgung. Der größte
Moralphilosoph des 12. Jahrhunderts hat für die äußere Handlung
und die sie integrierenden Umstände wenig Sinn. Die
Folgezeit bemühte sich um eine Aufwertung dieser von Abälard
vernachlässigten Dimension des sittlichen Handelns. Die kanonische
Literatur des 12. Jahrhunderts, die unter einem sehr bemerkenswerten
Einfluß abälard'scher Gedanken stand, wertete
die Umstände als Schuld- und Strafermessensgründe. Im Rahmen