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Ausgabe:

1965

Spalte:

569-588

Autor/Hrsg.:

Vielhauer, Philipp

Titel/Untertitel:

Zur Frage der christologichen Hoheitstitel 1965

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 8

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setzende „Konzert der Wüste" würde Jesus wohl erlebt haben.
Der freundschaftliche Verkehr vieler Heiliger mit der Tierwelt
wird ebenfalls erwähnt (S. 91). Aber die Meinung Johannes von
Belsers (Johanneskommentar 1905, 61), Jesus habe nach Joh.
1, 40 dem Andreas und Johannes diesen Vorgang in seiner
„Herberge" erzählt (welche eine Höhle in der Wüste war), stößt
doch bei Holzmeister auf Bedenken. Abschließend bemerkt er,
daß diese kurze Markusnotiz vor unseren Augen ein Bild von
hoher Erhabenheit und doch von lieblicher Anmut zeichne, das

Bild des Einsamen, von den Menschen getrennten Gottessohnes,
welcher in der Vorbereitung auf sein Lehramt von einer Tierwelt
umgeben ist, welche ihn nicht hindert, laut Mk. 1,3 5 ununterbrochen
im Gebet mit dem Vater zu verkehren. So wird
Jesus der Prototypus für die späteren Heiligen, was seinen Verkehr
mit der Tierwelt betrifft. Selbsverständlich fehlt ein Hinweis
auf Franz von Assisi nicht (S. 91). Das in der protestantischen
Forschung betonte eschatologische Motiv tritt dabei völlig
zurück.

Zur Frage der christologischen Hoheitstitel*

Von Philipp V i e 1 h a u e r, Bonn

I. söhn und leidendem Gottesknecht, beides wohlbegründet. Dann
Die christologischen Anschauungen des Neuen Testaments, behandelt er (23-32: Abschn. 2) das Verhältnis von Menschen-

ihre geschichtliche Entstehung, Bedeutung und Entwicklung, ge- sohnvorsrellung und Verkündigung Jesu und anschließend (32

ben immer noch und immer neu zahlreiche ungelöste Rätsel auf. -53: Abschn. 3-5) die drei Spruchgruppen vom zukünftigen

deren Vorhandensein in der geräuschvollen Monomanie des Strei- Wirken, vom Erdenwirken und vom Leiden und Auferstehen

tes um den „historischen Jesus" vergessen zu sein scheint - sehr des Menschensohns. H. übernimmt hierbei die Konzeption des

zum Schaden der Theologie. Es ist daher zu begrüßen, daß der Buches von H. E. Tödt2, der seinerseits die Lösung R. Bultmanns

große und vielschichtige Fragenkomplex der neutestamentlichen aufnimmt und ausbaut (Umstellung der zweiten und dritten

Christologie in einer umfangreichen Monographie von Ferdinand Gruppe aus quellenkritischen Gründen): Unter den Worten vom

Hahn untersucht worden ist. Das Buch wurde unter dem Titel künftigen Menschensohn als ältester Gruppe sind einige authen-

„Anfänge christologischer Traditionen" 1961 von der Theolo- tische Jesusworte (Verkündigung des Menschensohns als von

gischen Fakultät Heidelberg als Dissertation angenommen. Seine Jesus selbst unterschiedenem Richter); der Rest und die beiden

jetzige Aufschrift entspricht dem faktischen Inhalt besser. Die anderen Gruppen sind Gemeindebildung. H. modifiziert die

Untersuchung will eine Vorarbeit zur Theologie des Markus- Tödt'sche Version dieser These Bultmanns nur in unwesent-

evangeliums'sein. Den Schlüssel dazu sollen von Mk rezipierte, liehen Einzelheiten, indem er z.B. nur Lk 12, 8 f.; 17,24. 26 f.

wesentlich in den „Hoheitstiteln" Jesu zum Ausdruck kommende (28) „und vielleicht 11, 30" für authentisch hält, während Tödt

christologische Traditionen liefern. „Da eine traditionsgeschicht- auch noch Lk 17,23; 12,30 als echte Jesusworte ansieht,

liehe Einordnung des dem Evangelisten vorliegenden Stoffes nur In der Beurteilung der zweiten und dritten Gruppe von

erreicht werden kann, wenn man sich nicht auf das Markusevan- Menschensohnworten bin ich mit Bultmann, Tödt und H. einig,

gelium beschränkt. . ., führte die Fragestellung zu den Problemen meine aber, daß auch die erste Gruppe insgesamt Gemeinde-

der Anfänge christologischer Traditionsbildung überhaupt" (10). bildung ist3. Da ich mich mit den von Tödt (und H.) gegen meine

Die eigentliche Absicht des Buches ist demnach die traditions- These erhobenen Einwänden bereits auseinandergesetzt habe4,

geschichtliche Erhellung des vormarkinischen Gebrauchs christo- kann im vorliegenden Zusammenhang darauf verzichtet werden,

logischer Titel. Exkurs I („D ie Anschauung vom stellvertretend

In fünf Paragraphen werden die Titel Menschensohn (l 3-5 3), leidenden Gottesknecht im ältesten Christentum"

Kyrios (67-125), Christos (1 3 3-225), Davidssohn (242-279) 54-66) wendet sich gegen die häufig, besonders von J. Jeremias, be-

und Gottessohn (280-333) abgehandelt, wobei jeweils (außer bei Iwuptete Kombination von Menschensohn und Gottesknecht und unter-

r> j i_ M i- i Vi i.i. t „ sucht die Frage, wieweit in den Aussagen über Jesu Leiden eine Bezug-

Davidssohn) zuerst die re lgionsgeschicht ichen Voraussetzungen , £ _,.* ^ .. , . n i . ^.u-~* u i™™..

, . rr i -r- i ■• j i i a i nähme auf die Gottesknechtsvorstellung von Jes 53 vorliegt. H. kommt

des betreffenden Titels erörtert und sodann die Anschauungen zu dem Ergebnis, „daß in aitester Tradition nur vereinzelt auf Jes 53

entwickelt werden, die nacheinander zuerst die palästinische Ur- Bezug genommen wurde" (63) und dieser nirgends auf Jesus zurückzu-

gemeinde, dann die hellenistisch-judenchristliche Gemeinde und führen sei. Die Deutung des Todes als Sühne basiere nicht auf Jes 53,

schließlich das hellenistische Heidenchristentum mit ihm verbun- sondern auf der „allgemein verbreiteten Sühnevorstellung des Spät-

den haben sollen. Fünf Exkurse (54-66. 126-132. 226-230. judentums" (56); Jes 53 habe erst sekundär eingewirkt.

231—241. 334—346) ergänzen und entlasten die jeweils voran- Entsprechend der Anlage von H.s Buch werden die Aussagen über

stehenden Paragraphen. Ein „Rückblick" (347-350) faßt die den Sühnetod Jesu nicht thematisch behandelt, sondern kommen hier

Ergebnisse zusammen. Ein „Anhang" (351-404) schildert die wie später (200-203) nur unter der Frage ihrer Abhängigkeit von

-■r „ , 1.1 ti 1 n . 1 . 1 • Jes 53 zur Sprache, weil sie mit keinem christologischen Titel genuin

Vorstellung vom eschatologischen Propheten. Beigegeben sind cm verknüpft sind. Das Ut ein großer Mangd des Buchcs, da cs sidl utn

Abkurzungsverzeichnis sowie Autoren-, Begriffs- und Stellen- ganz a]te diristologische Traditionen handelt, deren Eigenständigkeit

register (405—442)1. unbedingt hätte zur Geltung gebracht werden müssen. H. verzichtet

auch auf eine Kritik des von J. Jeremias beigebrachten vorchristlich-

II. jüdischen Materials (ThW V, 676—698), dessen Stichhaltigkeit jedoch

-7 ci kt _ .. . 1. .. u-u lj j j inzwischen M. Rcse überprüft hat, und zwar mit völlig negativem Er-

Zu § 1. Menscnensohn halt H. für den ältesten der , . 5 r • . •

Jesus beigelegten Titel. Er referiert zunächst (13—23: Abschn. l) _.' ... . , , . ,.

über die philologischen und religionsgeschichtlichen Probleme und . , Zu §.Z £ Y »P s. - Mit besonderem Interesse vertieft man

weist sowohl die auf Dan 7 basierende kollektive Deutung dieser s;*. 111. d'e Ausfuhrungen über Herkunft und Bedeutung der

r»o*„u £■• j- d u a„„ zi-u t-r„„~,-u f.;, A~Trr„ ii Kyncstitulatur (67—125), dieses seit W. Bousset und W. Foerster

Uestalt rur die Bilderreden des atn. Henoch und rur 4. hsra 13 ' . , . v . _ , , , , . . , TT

^■„••j 1 1 tu ~ „;___cj,„„ t„j„^^.™ „j„, am heftigsten umstrittene Problem der ntl. Christologie. H.

zurück als auch die lhese vorn einer schon im Judentum oder . .6 . . ,r . . , , „ T

1 11 u v 1 • t- 1« j_ nimmt einerseits „eine palästinische Vorgeschichte dieser Jesus-

doch von Jesus selbst vollzogenen Kombination von Menschen- . , , " v. , „.J5j / n 1 1 i_ •

.__ titulatur, andererseits einen „betrachthche(n) Umbruch beim

') Hahn, Ferdinand: Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte Übergang in die hellenistische Gemeindetradition" an (67) und

im frühen Christentum. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1963. _

442 S. gr. 8° = Forschungen z. Religion u. Literatur d. Alten u. Neuen

Testamentes, hrsg. von E. Käsemann und E. Würthwein, H. 83. Kart. ') H. E. Tödt, Der Menschensohn in der synoptischen Überliefe-

DM 28.— ; Lw. DM 32.—. rung, 1959.

') Um diesem Buch allseitig gerecht zu werden, wäre eine ins exe- 3) Zur Begründung s. P. Vielhauer. Gottesreich und Menschengetische
Detail gehende Auseinandersetzung nötig. Da eine solche hier söhn in der Verkündigung Jesu: Festschrift für G. Dehn, 1957, 51—79.
aus Raumgründen nicht möglich ist, verweise ich hierfür auf meinen 4) Jesus und der Menschensohn, ZThK 60, 1963, 133—177.
Beitrag „Ein Weg zur neutestamentlichen Christologie?" in der Diem- 5) M. Rese, Überprüfung einiger Thesen von Joachim Jeremias zum
Festschrift, Ev. Theol. 25, 1965, 24—72. Thema des Gottesknechtes im Judentum, ZThK 60, 1963, 21—41.