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Ausgabe:

1965

Spalte:

552-553

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Vicedom, Georg F.

Titel/Untertitel:

Die missionarische Dimension der Gemeinde 1965

Rezensent:

Brinkel, Karl

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

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denken, während Rez. die fehlende Entmythologisierung der recht
archaischen Erzählung und ihre allegorische Deutung doch noch stärker
in Frage stellen würde. H. W. Wolff, der Ps. 2 christologisch versteht
und die „Aufgabe der Vergegenwärtigung und Veranschaulichung" beispielgebend
löst, zieht sich die u. E. unberechtigte Kritik zu, daß er
„die Spannung von Gericht und Gnade" gegenüber der heutigen gottlosen
Welt zu sehr abschwäche. — Bei Gollwitzers Bußtagspredigt (kurz
nach dem Pogrom 19381) wird „atemberaubende Aktualität" und der
„schmale Weg zwischen gebotener Vorsicht mit getarnter Andeutung
und bekennendem Wagnis" (371) sichtbar. In diesem Notfall kann
Verf. mit Recht von dem — sonst zu klerikalistischem Mißbrauch
neigenden — „Wächteramt der Kirche" sprechen. Ein Gleiches gilt von
der Wendung Niemöllers gegen „die Unredlichkeit eines politischen
Christentums ohne Christus und einer weltlichen Sicherung unter
.christlichen' Vorzeichen". Verf. fragt allerdings auch kritisch, ob „der
andere Weg eines ganzen Christusgehorsams in dieser Predigt eine nun
auch für den Politiker gangbare positive Gestalt gefunden hat" (beides
391); als ein solches zwischen Kirche und Politik positiv zu erörterndes
Problem weist er auf die „Realisierung der unbedingt erforderlichen
Abrüstung" hin (392). Dabei habe aber die Predigt „nicht in ein
.fremdes' Amt zu greifen, nicht selbstgewählte politische Ziele zu verfolgen
, wohl aber unabdingbar Gottes gnädigen und gebietenden
Willen über den Menschen auch im Bereich seiner politischen Entscheidungen
verkündigend geltend zu machen" (387). — Hamels Predigt
über l.Tim. 2, 1—6 erfährt u. a. die Würdigung, daß sie „in dem, was
sie an Überwindung von politischem Haß fordert, eindeutig in der
Linie des christlichen Glaubens" liege (408). Kritisch meint Verf., daß
nicht konkret genug beschrieben werde, wie das Gebet für die Obrigkeit
inhaltlich aussehen solle (411). Das ist u.E. ein unverdienter Einwand
, denn die Predigt gibt diesbezüglich — etwa S. 403 — durchaus
klare Hinweise. Auch hier müssen wieder einige überflüssige Bedenken
des Verf.s, wie sie schon bei der Besprechung Jacob auftraten, vermerkt
werden (Verf. übersieht und wiederholt übrigens den Irrtum
H.s, der S. 396 von Indonesien spricht, wo es sich nach dem Sachzusammenhang
nur um Indochina bzw. Vietnam handeln kann, vgl. 395
u. 4io). — Die Festpredigt von Symanowski zur 100-Jahr-Feier einer
Fabrik wird vom Verf. im ganzen zustimmend und mit beherzigenswerten
Überlegungen zum Verhältnis zwischen Arbeiterschaft und
Kirche kommentiert, — obwohl man — trotz aller Anerkennung ihres
dialogischen Charakters und ihrer z. T. unkonventionellen Sprache —
bei der Suche nach dem eigentlich Neuen oder Aufregenden dieser
Predigtart doch ein bißchen enttäuscht ist (es sei denn, man betrachtet
die vorbereitende Textbesprechung mit den Werkangehörigen als bedeutsames
Ereignis für sichl).

Den Schlußteil der ganzen Darstellung bilden die „Figuren
und Fragmente" (435—477); es sind kurze Predigtauszüge von
1 — 2 Seiten Länge, mit knappen, meist treffenden Kommentaren
dazu, auf die nun leider nicht mehr eingegangen werden
kann. Hier werden „Erläuterndes Erzählen", „Aktuelle Anknüpfung
", Dialektische Identifikation", „Persönliches Zeugnis
" u. a. m. veranschaulicht, und man findet weitere bekannte
Prediger der Gegenwart vertreten, wie etwa Goes, Thielicke,
Lilje, Lüthi, Gogarten, Iwand, Köberle, bis hin zu A. Knorr und
Pater Leppich (als Ausnahme). Dann folgen vier Stilproben für
„Barocke Drastik" (Konrad Dietrich), „Sprache Kanaans"
(Bengel), „Hofpredigerstil" (Kögel) und „Moderne Sachlichkeit"
(G. Hildemann). Daß danach noch ein „Wortspiel" von Luther
steht, wirkt deplaciert und wie ein bloßer Akt der Pietät; denn
sachlich hätte dies unter die vorhergehenden „Figuren" gehört.
Das Beispiel Hildemanm, aus einer Rundfunkansprache, zeigt gut
den vorläufigen Abschluß einer langen Entwicklung, ebenso wie
das diesbezügliche Urteil des Verf.s im letzten Satz, das eigentlich
die gesamte gegenwärtige Predigt charakterisieren könnte:
„Ein Stil, der nüchtern und ehrlich der heutigen Weltverflochtenheit
und Anonymität der Gemeinde Rechnung trägt, aber
schwerlich zu einer großen Leidenschaft in der Verkündigung
vorzustoßen in der Lage ist" (476).

Wenn sich hier und da ein spezieller Einwand gegen Feststellungen
des Verf.s ergab, dann liegt das nur in der Mannigfaltigkeit
der Sache und des Gesagten begründet, die natürlich
stets vermehrte Angriffsflächen bedeutet. Was das Allgemeine
betrifft, so wird man nach der Lektüre des Buches wieder die
leise Frage nicht ganz los, die angesichts der gegenwärtigen
evangelischen Verkündigung überhaupt zu stellen ist: Ob wirklich
das alleinige Recht der an den vorhergehenden einzelnen
Text gebundenen Predigt auf die Dauer so selbstverständlich
vertreten werden kann, wie es immer geschieht und auch vom

Rez. bisher bejaht wird? Die textlose (darum ehrliche, aber
keineswegs unbiblische) Themapredigt, für die es gute Beispiele
aus der Vergangenheit gibt, könnte ohne theologischen Substanzverlust
den Hörer und den Prediger vor viel trockener
oder gekünstelter Interpretation literarischer Quellen bewahren,
die steife Feierlichkeit der Kultrede beseitigen helfen und u. U.
die Chance neuer Unmittelbarkeit und Popularität für die Botschaft
der protestantischen Kanzel in sich tragen.. Wenigstens
als Ausnahme sollte sie heute schon (bzw. wieder) erwähnt und
zugestanden werden.

Man legt diese Veröffentlichung jedenfalls mit dem Eindruck
aus der Hand, daß sie zweifellos den Rang eines notwendigen
Studien- und Lehrbuches hat und mit ihrer Anschaulichkeit
eine bisher fehlende Ergänzung zu den bekannten Werken
der evangelischen Homiletik darstellt. Auch der Exeget und
Systematiker wird sich hier nicht auf den vermeintlich „sanften
Auen der praktischen Theologie" langweilen können, sondern
in der Aktualisierung seine eigenen Probleme wiederfinden. An
den Nichttheologen — für ihn soll lt. Vorwort das Buch ebenfalls
bestimmt sein — werden nicht geringe Ansprüche gestellt. Das
Erscheinen in der wertvollen Sammlung Dieterich und in einer —
man möchte sagen: — so „netten" Kleinausgabe ist sehr zu begrüßen
, weil dadurch viele Leser erreicht werden können. Vom
fachlichen Gesichtspunkt her wäre dennoch dem Verf., dem
Buch und dem Verlag zu wünschen, daß sich später einmal eine
größere Ausgabe ermöglichen läßt, — vielleicht noch mit Erweiterung
des Inhalts in der hier begonnenen Richtung einer
umfassenden kritischen Anthologie der evangelischen Predigt?!
An dankbaren Benutzern des Werkes wird es sicherlich nicht
fehlen.

Einige Corrigenda: S. 7: Datum der Niemöller-Predigt
nicht 1945, sondern 1954; S. 169: Syzygie (im Bultmann-Zitat), nicht
Sycigie; S. 274: Cottbus, nicht Kottbus! S. 439 u. 440: Artur Stephan
oder Arthur St.? S. 455 1. Joh. 4,7—21, nicht 1. Joh. 7—21; S. 462
dürfte es sich um eine Predigt über Jak. 1, 22 ff. (nicht 5, 7—11) handeln
; S. 464: die zitierte Predigt steht a.a.O., S. 99 ff., das Zitat
a.a.O., S. 103 (nicht 105 ff.); S. 523: Monatschrift f. Pastoraltheologie
, nicht Monatsschrift; S. 526: H. Reisser, nicht Raisser.

Berlin Ernst-Rüdiger Kiesow

V i c e d o m, Georg F.: Die missionarische Dimension der Gemeinde.

Berlin-Hamburg: Luth. Verlagshaus 1963. 67 S. 8° = Missionierende
Gemeinde, H. 7. Kart. DM 6.40

Man interpretiert heute gern die Wirklichkeit und den Aufbau
der christlichen Gemeinde mit den beiden Worten „Sammlung
" und „Sendung". Mit der „Sendung" der Gemeinde befaßt
sich dieses Heft des Neuendettelsauer Missionwissenschaftlers,
ohne indes die „Sammlung" der Gemeinde außer acht zu lassen.
Manches aus Vicedoms früherer Schrift „Missio Dei, Einführung
in eine Theologie der Mission" (Kaiser, München, 195 8) wird
hier in neuer Weise aufgenommen. Vom biblischen Zeugnis her
betont der Verfasser das in der Erwählung durch Gott und in
der Verbundenheit mit Jesus Christus gründende Anderssein
der christlichen Gemeinde gegenüber sonstigen, auch sonstigen
religiösen Gesellschaftsformen und die Notwendigkeit der Erleb-
barkeit dieses „neuen" Lebens der christlichen Gemeinde. In diesem
Zusammenhang erörtert er auch eine Reihe von Einzelfragen
christlichen Gemeindelebens wie Amt und Gemeinde, die Bedeutung
der Sakramente für das Leben der Gemeinde, die Geistesgaben
der Gemeinde usw., nicht ohne sich dabei gegen manche
Erscheinungen in den christlichen Gemeinden heute deutlich abzugrenzen
. Das Anderssein der christlichen Gemeinde macht
diese aber nicht weitabgewandt. In der Nachfolge Jesu setzt sich
vielmehr durch die Gemeinde die Sendung Christi in die Welt
fort. Lebendige Gemeinde zielt darauf, die Umwelt in ihr Leben
hineinzuziehen, und sie wird dort am stärksten auf ihre Umwelt
wirken, wo ihr neues Leben in seiner gemeinschaftsbestimmenden
Kraft erlebbar wird. Damit wendet sich Vicedom gegen eine
Mission nur durchs Wort. Das Zeugnis des Wortes muß durch
das Leben der Gemeinde glaubhaft ausgewiesen werden. In dieser
ihrer missionarischen Dimension gewinnt die Gemeinde auch
ihre Offenheit für andere Gemeinden und für größere kirchliche
Einheit sowie ihre prophetische und dienende Funktion an der