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1965

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

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die Summe eines größeren Entwurfs ist (einzig Franz Theunis erhob
mit seinen „Prolegomena zum Problem der Entmythologi-
sierung" „keineswegs den Anspruch, irgendeinen wesentlichen
Beitrag zu dieser Problematik zu liefern", S. 143), hier wiederzugeben
. Schon ein vollständiges Verzeichnis der Druckfehler
und Versehen würde zu weit führen. (Nur auf das völlig sinnentstellende
Fehlen der Wörter „das Kerygma" auf S. 236,
Z. 1 v. u. hinter „daß" sei pars pro toto hingewiesen). Ich beschränke
mich auf die Bekanntgabe der Thesen, die den einzelnen
Beiträgen mitunter zu entnehmen sind.

Enrico Castelli entdeckt in Bultmanns Entmythologisierungs-
programm den grundlegenden Fehler einer Gleichsetzung der
Realität eines übernatürlichen Ereignisses mit der Realität eines
natürlichen Ereignisses (S. 18). Allerdings bleibt bei dieser Entdeckung
Bultmanns zentrales Theologumenon vom bloßen Daß
des eschatologischen Ereignisses in seiner paradoxen Identität
mit einem historischen Ereignis unentdeckt. Viel Verständnis für
Bultmanns Anliegen verrät hingegen die Verteidigung der „Entmythologisierung
als Versuch der radikalen Vergeschichtlichung
des christlichen Glaubens" durch Franco Bianco, der auch Bultmanns
Verwendung der Existentiale Heideggers richtig auffaßt.

Renato Lazzarini vergleicht in einer interessanten Analyse
mit dem Titel „Menschliche Situation und ,Vor-Eschatologie'"
den Entwurf Bultmanns mit der status-Lehre der Scholastik,
indem er als Leitbegriff das fundamentalontologisch verstandene
Existential der Situation zugrunde legt. Insofern Bultmann das
Jetzt des Augenblicks als die Möglichkeit, der eschato-
logische Augenblick zu sein, begreift, unterscheidet er wie die
Scholastiker „Vor-Eschatologie" und „End-status" in theologisch
angemessener Weise. Nur Bultmanns Neigung zur Überspitzung
(bzw. Abschwächung), die aus dem eschatologischen Horizont
einen eschatologischen Besitz zu machen droht, unterscheidet ihn
von der mittelalterlichen Spekulation über den Menschen im
Wandel vom „Status viae" zum „Status termini".

Virgil Fagone versucht unter dem Titel „Geschichte und
Geheimnis" Martin Heidegges Spätwerk religiös fruchtbar zu
machen, indem er Heideggers Rede vom Seinsgeschick als offenen
ontologisdien Horizont für die „Möglichkeit eines direkten
göttlichen Eingriffs in die Welt" (S. 171) interpretiert. In diesem
Sinn wird die berühmte und (leider auch in der evangelischen
Theologie, aber bezeichnender Weise nicht von Bultmann) mißbrauchte
Stelle aus dem Humanismusbrief Heideggers (mit ihrer
Proklamation der Denkbarkeit des im Namen „Gott" Genannten
erst und nur aus der Wahrheit des Seins und dem
Wesen des Heiligen) verstanden als eine vorsichtige und ehrfurchtsvolle
„Annäherung des Seinshorizontes an den Namen
Gottes" (S. 170).

Johannes B. Lötz („Mythos—Logos—Mysterion") begreift
in einem philosophischen Beitrag zur Frage der Entmythologisie-
rung diese als einen Sonderfall der traditionellen christlichen
Hermeneutik, deren philosophischen Rahmen er durch eine Bestimmung
des Verhältnisses von Mythos, Logos und Mysterion
aufhellen will. Der Trias entsprechen als Stufen menschlicher
„Selbstverwirklichung" die Einbildungskraft, der Verstand und
die Vernunft. Der Logos hat seinen ontologisdien Ort zwischen
Mythos und Mysterion und ist als meson zwischen beiden diesen
analog. „Diese beiden kann er nie ganz einholen und deshalb
auch nicht ersetzen; doch hält er sich zu ihnen hin offen
und läßt sich von ihnen befruchten. Umgekehrt sind Mysterion
und .Mythos' auf den Logos angewiesen, insofern er sie durch
seine Bgrifflichkeit prägt, klärt und läutert" (S. 121). Im Rahmen
dieser Funktion hält Lötz eine Entmythologisierung und auch
Entmythisierung für möglich und notwendig.

Paul Ricoeur skizziert in besonderer Hinsicht auf den
Symbolkomplex des Bösen eine allgemeine hermeneutische Theorie
der Symbole, um diese Theorie dann zum philosophischen
Denken in Beziehung zu setzen: „Hermeneutik der Symbole und
philosophisches Denken". Dabei dürften die religionsphänome-
nologischen Ausführungen über das Verhältnis von Negativität
und Positivität des Bösen besonderes Interesse beanspruchen.

Äußerst lehrreich sind Hans-Georg Gadamers Bemerkungen

über „Verstehen und Spielen". Der Heidelberger Philosoph führt
Gedanken seines Buches „Wahrheit und Methode" weiter aus.
Im Spiel ist das Zueinander der ins Spiel Gebrachten ursprünglicher
als das subjektive Verhalten der Spielenden. Im Spielraum
der Sprache kommen Glauben und Verstehen so ins Spiel,
daß ihr Zueinander hermeneutisch nicht nur geregelt wird, sondern
zugleich alle methodische Regelung auch schon immer übertreffen
ist. „Das Wort, das uns trifft, hat uns schon immer übertroffen
" (S. 76).

Ebenfalls philosophische Besinnungen zu den hermeneuti-
schen Prinzipien und Voraussetzungen der Entmythologisierung
und der existentialen Interpretation bieten Helmut Fahrenbach
und Wilhelm Anz. Sie sind dem Leser aus früheren Veröffentlichungen
bekannt.

Reizvoll ist der von dem katholischen Theologen Henri
Bouillard vollzogene Vergleich des Anliegens Bultmanns mit
dessen Kritik durch Karl BaTth. Bouillard identifiziert sich mit
der von ihm referierten Kritik Barths nicht, sondern gibt jedem
der beiden großen evangelischen Theologen das Seine, indem
er sich selbst von ihnen das Seine nimmt. Man hat auf katholischer
Seite offensichtlich mehr Freiheit, unbefangen von Barth
und Bultmann zu lernen, als das in den Schulen der beiden
Lehrer der Fall zu sein scheint.

In der Schule Bultmanns wacht Hans Werner Bartsch über
die Reinheit der existentialen Interpretation innerhalb der Theologie
. Die von Ernst Fuchs versuchte existentiale Interpretation
des historischen Jesus verletzt ein Tabu und wird deshalb gerügt.
Ob sie deshalb auch schon verstanden ist, darf füglich bezweifelt
werden.

Rene Marie fragt: „Gibt es ein katholisches Problem der
Entmythologisierung?" Eigentlich nicht. Denn die im discursus
fidei seit den Tagen der Apostel sich „unaufhörlich neu vollziehende
Aufnahme der Gesamtheit des Glaubens, des Offenbarungsgutes
und besonders des Ganzen der Schrift durch die
Kirche, ihre Gläubigen und ihre Theologen" ist gleichsam ein
ständiger Prozeß der Entmythologisierung, der ein
Problem der Entmythologisierung im (typisch evangelischen)
Sinne Bultmanns gar nicht aufkommen läßt.

Während Alberto Caracciolo „Entmythologisierung und
zeitgenössisches Denken" untersucht, kommt die Vergangenheit
in Jean Danielous gelehrter kleiner Abhandlung über „Die Entmythologisierung
in der alexandrinischen Schule" zu ihrem
Recht. Von dem Programm, das der indische katholische Theologe
Raymond Panikkar als „Die Ummythologisierung in der Begegnung
des Christentums mit dem Hinduismus" anbietet, hatte
H. W. Bartsch bereits im Vorwort angekündigt, daß es den
evangelischen Theologen schockieren mag. Da der Rezensent das
Vorhaben nicht verstanden hat, ist er dem Schock entgangen.

Zum Schluß sei die neben dem Beitrag Bultmanns m. E.
interessanteste Abhandlung des Bandes angezeigt. Karl Kerenyi
handelt über „Theos und Mythos". Er erinnert daran, daß

a) theologia dem Wort und der Sache nach „ein Produkt entschieden
vorgenommener Entmythologisierung... in Griechenland
war" (S. 29);

b) das Wort theos von Haus aus kein Wort des Anrufs ist, so
daß derjenige, der 6 fteos sagt, Mythos und Kult hinter
sich zu lassen scheint;

c) theos im Griechischen Prädikatsbegriff ist, der selbstverständlich
mit dem anerkannten höchsten Wert
jeweils verbunden werden mußte.

Die Prädikation theos aber ist mythos im ursprünglichen
Wortsinn. „Theos ist mythos, insofern als durch diese Prädikation
ein Tatbestand ausgesprochen wird, der, wenn er
nicht zu Mythos geworden wäre, im Bereich des Arrheton . . .
hätte bleiben müssen" (S. 37). Der christliche Gebrauch des
Wortes theos findet demgegenüber sein Kriterium in der Interpretation
von Job. 1, 1 durch Joh. 1. 14.

Berlin Eberhard Jüngel

B a r t z, Wilhelm: Der Theologe in der dogmatischen Sicht von M. J.
Scheeben (TThZ 73, 1964 S. 65-81).