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Ausgabe:

1965

Spalte:

527-529

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Klamroth, Erich

Titel/Untertitel:

Der Gedanke der ewigen Schöpfung bei Nikolaj Berdiajew 1965

Rezensent:

Roessler, Roman

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

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Müller, Gotthold: Missionarisch-ökumenische Laien-Aktivität im
16. Jahrhundert. Zum 400. Todestag von Hans Ungnad, Freiherr
von Sonneck und Weißenwolf (DtPfrBl 65, 1965 S. 10—12).

Neuser, Wilhelm H.: Die Erwählungslehre im Heidelberger Katechismus
(ZKG 75, 1964 S. 309—326).

Pöhlmann, Horst Georg: Iustificatio iniusti. Die Rechtfertigungslehre
der Konkordienformel (Lutherischer Rundblick 13, 1965 S. 15
-23).

S 6 1 y o m, Jenö: Zur Überlieferung des Gebetes Manasse. Zugleich
ein Beitrag zur Geschichte der Siebenbürger Katechismusausgaben
(ZKG 75, 1964 S. 339—346).

S t r o h m, Th.: Zwischen Apokalyptik und Liberalität. Zur Geisteslage
des deutschen Protestantismus (MPTh 54, 1965 S. 1—18).

Vinay, Valdo: La chiesa nella polemica fra il cardinale Sadoleto e
Giovanni Calvino alla luce del movimento ecumenico dei nostri
giorni (Protestantesimo 19, 1964 S. 193—213).

W y n e k e n, Karl H.: Calvin and Anabaptism (Concordia Theological
Monthly 36, 1965 S. 18-29).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

K I a m r o t h, Erich, Lic. theol.: Der Gedanke der ewigen Schöpfung
bei Nikolai Berdiajew. Ein umfassender Überblick über das Werk
dieses großen Russen des 20. Jahrhunderts. Hamburg: Reich 1963.
118 S. gr. 8° = Theologische Forschung, hrsg. v. H.-W. Bartsch, F.
Buri, G. Harbsmeier, D. Georgi, u. J. M. Robinson, XXIX. Kart.
DM 10.-.

Man kann Berdiajew nur verstehen und voll würdigen,
wenn man seinen Zusammenhang mit der russischen Geistesgeschichte
und insbesondere sein Hervorgehen aus der sog. russischen
Kulturrenaissance des beginnenden 20. Jahrhunderts berücksichtigt
. Diesem Erfordernis wird diese neue Arbeit über
B. nicht gerecht. Bereits aus der Einleitung, in der Aussagen
B.'s über die Öffnung der russischen Seele zur Apokalyptik,
zum Unendlichen und über das Streben des russischen Denkens
nach „Ganzheitlichkeit" beziehungslos aneinandergereiht werden,
drängt sich der Eindruck auf, daß Verf. mit der russischen
Geistesgeschichte nur wenig vertraut ist. Das erste meint den
russischen Maximalismus, während letzteres die von den Slawo-
philen gegenüber der rationalistischen Zersplitterung westlichen
Denkens erhobene Forderung nach „Ganzheitlichkeit" (celost-
nost') der philosophischen Sinngebung ist.

Da Verf. offenbar des Russischen nicht mächtig ist, stützt
er sich ausschließlich auf Übersetzungen B.'s. Sicherlich kann
hierbei eine gewisse Vollständigkeit erreicht werden, doch
bleiben wesentliche (besonders Früh-) Werke, die nicht übersetzt
sind, unberücksichtigt. Schwerwiegender ist jedoch, daß Verf.
notwendig auf die Interpretationsweise angewiesen ist, die nun
einmal jeder Übersetzung, wenigstens bis zu einem gewissen
Grade, anhaftet. Verdächtig stimmt in diesem Zusammenhang,
daß in der Aufgliederung der Berdiajew'schen Gedanken neben
dem Kapitel „Schöpfertum" ein Kapitel „Das Schaffen" figuriert.
Hat Verf. nicht feststellen können, daß B. nur immer von einem
einzigen Begriff „tvorcestvo" handelt, der in den Übersetzungen
mal mit „Schöpfertum", mal mit „Schaffen" wiedergegeben
wird?

Verf. macht es sich zur Aufgabe festzustellen, welche
Idee B. ursprünglich bei seiner Konzeption leitet (S. 12). B.s
komplexes Denken bewegt sich in konzentrischen Kreisen, derart
, daß man seine Philosophie von den verschiedensten
Aspekten aus aufrollen kann, auch von der Idee des Schöpfertums
aus. Mit einem Begriff ist sogleich die Fülle aller anderen
Begriffe und Vorstellungen gegeben. Aber die grundlegende
Intuition, der Mittelpunkt aller konzentrischen Kreise, ist
zweifellos ein später in der Formel der „Objektivation" zum
Ausdruck kommendes Weltgefühl, dessen Komponenten einerseits
eine sich aus pessimistischer Kultur- und Gesellschaftskritik
ergebende ethische Wertung, andererseits eine optimistische
, die „Urrealität" des Geistes heraufbeschörende metaphysische
Spekulation ist. Verf. kommt erst gegen Ende seiner Darstellung
, sozusagen nebenbei, zur Feststellung: Die von B.
herbeigesehnte schöpferische Epoche werde das Ende der
Objektivation sein (S. 84). So müßte also zur Interpretation des
Schöpfertums bei B. zunächst der ganze Komplex der „Objektivation
" klar und zusammenhängend herausgestellt sein.

Unter dem Begriff der „ewigen Schöpfung" versteht der
Verf. offensichtlich etwas anderes als B. Seiner Ansicht nach
„verträgt es sich in keiner Weise mit der Linie der ewigen
Schöpfung, daß B. dauernd von dieser Welt im Gegensatz zu
jener Welt spricht" (S. 95). Wenn wir die Behauptung von
dieser Unvereinbarkeit gelten lassen wollen, müssen wir angesichts
der für B. fundamentalen Entgegensetzung der beiden Aspekte
von „Welt" allerdings zum Schluß kommen, daß B. gar
nicht den Gedanken einer „ewigen Schöpfung" im Sinne des
Verf. vertritt. Bezeichnenderweise vermag Verf. keine Stelle anzugeben
, an der B. den Terminus gebraucht. Was Verf. darunter
versteht, geht aus seinen Bemerkungen über Jakob Böhme (von
dem er sich stark beeinflußt zeigt) hervor: Beim Görlitzer sei
kein Sprung vom höchsten Gott zur Kreatur. Bei der kontinuierlichen
Emanation von oben nach unten sei das erste Glied die
Engelschaft usw. „Hier kann man in nuce bereits den Gedanken
einer ewigen Schöpfung finden" (S. 22). — Für B. ist nun freilich
der Mensch mit seiner ihn auszeichnenden „ungeschaffenen"
Freiheit (s. unten) nicht in eine solche „kontinuierliche" Linie
gestellt. Mit seinem Schöpfertum eines „radikal Neuen" (zur
Überwindung dieser objektivierten Welt und Wiederherstellung
ihrer göttlichen Natur) bedeutet er einen Bruch in dieser Welt,
Diskontinuität.

Ein Hauptmangel des Buches ist die darin enthaltene Fiktion
von der Einheitlichkeit und kontinuierlichen Entwicklung des
Denkens bei B. Es wird nicht der entscheidende Wandel bei B.
beachtet, der im wesentlichen die Aufgabe des anfänglich von
ihm vertretenen Ontologismus und Substantialismus zugunsten
einer dynamisch-existentiellen Auffassung bedeutet, die in der
Formel „Primat der Freiheit vor dem Sein" ausgedrückt ist.
Nach dieser von B. immer mehr radikalisierten Auffassung ist
die Freiheit keine bereits vorgefundene Freiheit (im Gegensatz
zur Behauptung des Verf. S. 41), auch keine Freiheit, die von
Gott geschenkt oder determiniert wäre — sie ist durch nichts
determiniert, sie ist nicht irgendwo oder irgendwie vorhanden,
keinerlei ontologische Kategorie läßt sich auf sie anwenden. Der
Umbruch in B.'s Denken in den zwanziger Jahren hängt eng mit
der Übernahme von Böhmes Intuition vom „Ungrund" zusammen
; aber B. verlegt diesen, die Freiheit gebärenden Ungrund
im Unterschied zu Böhme außerhalb Gottes. Diesen Unterschied
sieht Verf. wohl, er kritisiert B. ständig deswegen, und
hier muß zweifellos die evangelische theologische Kritik ihre
Stimme erheben. Es ist zu berücksichtigen, daß B. Philosoph,
nicht Theologe ist, und daß er es abgelehnt hat, im Westen
fälschlich als Vertreter der kirchlich-orthodoxen Lehre zu gelten.
Uns scheint, daß Verf. dem Anliegen, das B. mit seiner Idee der
„ungeschaffenen Freiheit" vertritt, gründlicher hätte nachspüren
müssen, gerade angesichts der höchst aktuellen Versuche, das
Freiheitsproblem ebenfalls außerhalb Gottes — besser: gegen
Gott — zu lösen. Der evangelische Theologe hätte hier eine klare
Stellungnahme zur Möglichkeit einer jede seinsmäßige Kategorien
und Aussagen leugnenden dynamisch-existentiellen Philosophie
beziehen müssen. Es genügt nicht zu sagen: schon der Ursprung
menschlichen Schöpfertums in B.'s Konzeption sei — insofern
es der ungeschaffenen Freiheit entspringt — „mehr als
verdächtig" (S. 95).

Verf. sagt durchaus mit Recht, daß — nach B. — „Gott mit
dem Verleihen der Freiheit nichts zu tun hat" (S. 28). Wenn
er gleichzeitig „mit Erstaunen" den Satz B.'s zitiert, der Mensch
„habe die Freiheit von Gott nicht empfangen wollen", so deckt
er hier keinen Widerspruch auf, sondern zeigt nur ein übriges
Mal, daß er sich jenes Umbruchs in B.'s Denken nicht bewußt
ist. Dieser Satz stammt aus einem früheren Werk, in dem B. noch
nicht den Gedanken der Freiheit außer Gott vertritt. Diesen und
ähnliche vermeintliche Widersprüche und Ungereimtheiten hätte
Verf. klären können, wenn er die zeitliche Zuordnung der betreffenden
Aussagen B.'s — und übrigens auch das Gegeneinander
von metaphysischer Spekulation und ethischer Wertung bei B. —
berücksichtigt hätte. Es soll nicht geleugnet werden, daß es bei
B. erhebliche Schwierigkeiten und Widersprüche gibt. So weist
Verf. mit Recht darauf hin, daß es ihm nicht gelungen ist, Gott