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Ausgabe:

1965

Spalte:

516-518

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hahn, Ferdinand

Titel/Untertitel:

Das Verständnis der Mission im Neuen Testament 1965

Rezensent:

Schille, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

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Entsprechend ist die Untersuchung gegliedert. Nach einigen methodischen
Vorbemerkungen (S. 11—25) stellt Verf. in einem 1. Buch den
heilsgeschichtlichen Gesamtrahmen als solchen dar, in dem sich die
Entwicklung der paulinischen Theologie in den beschriebenen 3 Phasen
vollzieht (S. 27—140). Hier werden zunächst, orientiert am Aufriß des
Römerbriefes, die Menschheitsgeschichte ante Christum, dann die
Heilswirkung des Kommens Christi (seine Auferstehung, sein Tod, sein
Erdenwirken) und darauf die Universalaspekte der Heilsgeschichte als
solcher behandelt (Welt und Weltzeiten, Zeit der Kirche, Juden und
Heiden), um dann in einem 2. Teil die heilsgeschichtliche Bedeutung
der Berufung des Paulus, der apostolischen Mission im ganzen und
schließlich das Verhältnis von Verkündigung und Glaube zu beschreiben.
Nach dieser Grundlegung geht Verf. im 2. Buch zu der Darstellung der
Anfangsphase der paulinischen Theologie über (L'esperance chretienne
S. 141—215). Er beschreibt zunächst die paulinischen Aussagen über
die Endereignisse und behandelt dann die eschatologische Naherwartung
in ihrer Auswirkung auf die Theologie im ganzen, speziell auf die
ethischen Anweisungen. In gesonderten Kapiteln wird die Auferstehung
(bes. l.Thess 4, 13 ff. und 1. Kor 15) und die „ewige Bestimmung
" der Christen (bes. 2. Kor 4,7—5,10) zum Thema erhoben.
Den größten Raum nimmt das 3. Buch über die christliche Gegenwart
ein (S. 217—428), die a) im Blick auf die Gabe des Geistes, b) die
Christusgemeinschaft der Christen und c) die Gabe der Gerechtigkeit
umschrieben wird. Führt das Kapitel über die Geistgabe (a) von den
Charismen zur pneumatischen Existenz der Christen, zur Behandlung der
Weisheit als der Tugend der geistbegabten Vernunft und vor allem
zur Struktur der Gabe des Geistes, charakterisiert in den Ausdrücken
to nvevfta er ffxlr und r^fieXq er rq> jirev/iati, so führt das folgende
Kapitel über die Christusgemeinschaft (b) von dem Dienstverhältnis
der Christen gegenüber Christus zu ihrer Teilhabe an der Sohnschaft
Christi, an seinem Tode und seiner Auferstehung, und zusammenfassend
zu der parallelen Aussagestruktur von fifieig er Xqiotcö und
Xotatö; er fipTr. Obwohl die Darstellung in diesen beiden Kapiteln
darauf hinausläuft, daß die Geistgabe und die Christusgemeinschaft in
der Erfahrung der Christen identisch sind, wird dodi im Sinne der
Trinitätslehre an der Unterscheidung der Wirksamkeit Christi und des
Geistes als zweier göttlicher Personen festgehalten, „unifee dans le
mystere de Dieu" (322 u. ö.). Eingehend wird zum Problem der Christusmystik
Stellung genommen (S. 324 ff.). Wichtig ist sodann (3) das ausführliche
Kapitel über die „Gabe der Gerechtigkeit" (S. 343 ff.), in dem
zunächst gezeigt wird, daß die Rechtfertigungslehre, wie sie nur in Gal
und Rö vorliegt, geschichtlich gesehen, eine theologische Frucht erst
der antijudaistischen Auseinandersetzungen des Paulus ist, als solche
aber nicht (wie bei Wrede u. A.) als bloße Kampflehre an den Rand
der paulinischen Theologie gehört — der Römerbrief ist „un manifeste
plus qu' un ecrit de controverse" (S. 370) —, sondern ihre Wurzel in
der Christusgemeinschaft hat. Das ist richtig und will beachtet sein.
Schade nur, daß die beiläufigen konfessionell-polemischen Bemerkungen
des Verf.'s gegen eine rein forensische Rechtfertigungslehre der Protestanten
(vgl. z.B. S. 218. 390 u. ö.) diese nur in recht verzerrter Gestalt
im Blick hat! — Das 4. Buch schließlich ist überschrieben: „Le
Chretien en face du mystere de Dieu" (S. 429 ff.). Hier wird zunächst
die Erkenntnis des Geheimnisses Gottes nach Kol./Eph. besahrieben,
um dann abschließend Argumente darzulegen, die für die Authentizität
besonders des Epheserbriefes (als einer „derniere Synthese" der paulinischen
Theologie) sprechen sollen. Eine vorzügliche „conclusion generale
" (S. 495 ff.) schließt das umfangreiche und bedeutsame Werk ab.

Der Raum verbietet, detailliert Stellung zu nehmen. Es
seien nur zwei Bemerkungen im Blick auf das Ganze angefügt.
1) Wer — wie der Rezensent — die angestrebte Methode des
Verf.'s, die Geschichte des Paulus zu einer differenzierten Interpretation
seiner Theologie fruchtbar zu machen, bejaht, wird
zugleich um so nachdrücklicher bedauern, daß alle Aspekte traditionsgeschichtlicher
Betrachtungsweise so völlig fehlen. Aber
erst diese vermag die richtige Intention eines Buches wie des
vorliegenden wirklich zu erfüllen! Ihr Fehlen läßt es dagegen
(weithin unverdientermaßen!) als ein forschungsgeschichtlich anachronistisches
Werk erscheinen. Dies um so mehr, als 2) in
vieler Hinsicht im einzelnen überkommene Urteile aus konservativer
, noch nicht wirklich historisch-kritischer Tradition katholischer
Exegese dem kritischen Leser auf Schritt und Tritt störend
am Wege liegen. Das betrifft, um nur wenige Beispiele zu nennen
, etwa die diskussionslose Auswertung der Apostelgeschichte,
das Fehlen jeglicher Kritik in der Heranziehung synoptischer
Tradition, die selbstverständliche Voraussetzung einer ursprünglichen
traditionsgeschichtlichen Verwurzelung des Paulus in ur-
gemeindlich'-Jerusalemer Tradition; u. a. m. Hier wirkt sich
immer noch ein mangelnder wissenschaftlicher Kontakt zur
gegenwärtigen deutschen Forschungssituation aus, der sich übrigens
auch deutlich in der Literaturbenutzung zeigt. Verf. zitiert
überwiegend ältere deutsche Literatur; und. wo er solche aus
neuerer und neuester Zeit anfuhrt, ist deren Problemstellung in
seiner Untersuchung nicht einbezogen. Man kann jedoch das
großartige Buch nicht aus der Hand legen, ohne auch über diese
Grenzen hinweg dem Verf. für wesentliche Anregung, die er
dem Leser — zumal in seiner Gesamtkonzeption — bietet, gebührenden
Dank zu sagen.

Berlin Ulrich Wilckens

Hahn, Ferdinand: Das Verständnis der Mission im Neuen Testament.

Neukirchen: Neukirchener Verlag des Erziehungsverein« 1963. 168 S.
gr. 8° = Wissenschaftl. Monographien z. Alten u. Neuen Testament,
hrsg. v. G. Bornkamm u. G. v. Rad, 13. Bd. DM 14.50; Lw. DM 17.50.

Obgleich die Mission und Ausbreitung des ältesten Christentums
zu den wichtigsten Themen der ältesten Kirchengeschichte
gehört, sind, abgesehen vom Apostel-Problem, Einzelthemen
zur Sache seit den einschlägigen Arbeiten A. v. Harnacks, W. M.
Ramsays und zuletzt W. Bauers kaum noch bearbeitet worden.
Man hat dagegen in letzter Zeit mehrere missionstheologische
Gesamtdarstellungen veröffentlicht, unter denen die von
R. Liechtenhahn, D. Bosch und J. Jeremias hervortreten. Indem
der vorliegende Band die Fragestellungen von einem gemäßigt
kritischen Standpunkt aus zu lösen versucht, verspricht er, das
Gespräch im Sinne der Traditionskritik anzuregen. Tatsächlich
weichen seine Methode und sein Ergebnis nicht unerheblich von
dem konservativen Standpunkt und selbst von den Schlüssen von
J. Jermias ab. In z. T. minutiösen Einzeluntersuchungen, die einen
verwirrend vielgestaltigen Stoff im großen und ganzen in das
Geschichtsbild der Religionsgeschichtlichen Schule einzuordnen
suchen, entfaltet der Autor vor uns das Bild einer in mehrere
Gruppen zergliederten Urchristenheit. Daher bedauert man, daß
er gleich im Vorwort dieser fast unverändert abgedruckten Habilitationsschrift
den Ausfall „ausführlicher Einzelanalysen" ansagt
. Man kann gerade eben noch ahnen, daß die gattungs-
und traditionsgeschichtlichen Fragen offenbar außerordentlich
kompliziert sind, weil man mit missionslosen, bedingt missionierenden
und die Mission in unterschiedlichem Grade bejahenden
Gruppen rechnen muß. Aber die Untersuchung beschränkt sich,
auf die theologischen Vorfragen, so daß der Aufweis diverser
Einstellungen zur Mission im Vordergrund steht und der Band
die Form eines Abrisses der urchristlichen Missionsgeschichte gewinnt
. Bedauern wird man, daß der Autor die für die Missionstheologie
der ältesten Zeit so gewichtigen Fragen des Aposto-
lates, der Berufungstraditionen, der Beziehung von Taufe und
Mission, der Missionsmethode und der Redegattungen missionarischer
Provenienz im allgemeinen nicht berührt hat.

Einer Einleitung (S. 9—11) folgt ein Abriß über die Voraussetzungen
der urdiristlichen Mission (§ l): Die missionslosen, aber
universalen Züge im israelitisdien Glauben und die religiöse „Propaganda
" (nicht Mission!) des Judentums der Zeitenwende. Die Frage, ob
das derzeitige Heidentum missionsähnliche Propaganda geübt habe1,
wird nicht gestellt. § 2 (S. 19—36) über die Stellung Jesu zu den Heiden
entfaltet die These (S. 23), Jesu universale Haltung gegenüber den
Dirnen, Zöllnern und aus der Gemeinschaft ausgestoßenen Kranken
und Samaritanern habe die Vollmission vorbereitet. H. gelingt es auf
diese Weise, die nordgaliläischen Wundergeschiditen Matth. 8, 5 ff. und
Mark. 7, 24 ff. überzeugender als bisher einzuordnen. Wer mit J. Jeremias
die judäischen Logien und Missionsregeln Matth. 10, 5 f. 23 und
15,24 für ältestes Urgestein hält, wird von diesem Gegenvorschlag
Kenntnis nehmen müssen. Zu Fragen gibt der Exkurs über die Aussendungsreden
Anlaß, weil er mit der unsicheren Hypothese Q operiert.
Müßte nidit besser die Frage nach der (evt. gewandelten) Missionsmethode
gestellt werden? § 3 „Die Mission im ältesten Christentum"
(S. 37—74) entfaltet auf breitem Raum die historische These des Autors,
daß sich die Bejahung der Heidenmission erst allmählich durchgesetzt
habe. Der erste Missionar Petrus, dem der erste Absatz gilt, habe
nidit die einseitige Haltung der strengen Judenchristen geteilt, wurde
aber auch nie ein wirklicher Heidenmissionar. Für das partikularistisdie
Judendiristentum nimmt H. die These von J. Jeremias auf: Dort habe
man zwischen der Zeit der Sammlung Israels und einem göttlichen
Schlußakt der Herzurufung der Völker differenziert. Im Gegensatz dazu

*) Vgl. H. Greßmann, Heidnische Mission in der Werdezeit des
Christentums, ZMR 39/1924.