Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1965

Spalte:

513-516

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cerfaux, Lucien

Titel/Untertitel:

Le chrétien dans la théologie paulinienne 1965

Rezensent:

Wilckens, Ulrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

513

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

514

ses Briefes noch nach der Zahl und dem Zusammenhang der erkennbaren
Formen des altlateinischen Textes. Er untersucht nur
die im Untertitel gekennzeichneten Einzelfragen und leistet
darum nur eine nützliche, aber zu keinem Gesamtresultat
führende Vorarbeit.

Das 1. Kapitel fragt erneut nach dem oft und sehr verschieden
beantworteten Verhältnis zwischen den griechisch-latei-
nrischcn Bilinguen D E F G der Paulusbriefe und besonders ihren
lateinischen Texten. Es ergibt sich erneut, daß E als Abschrift
von D auszuscheiden hat, daß F und G auf einen gemeinsamen
Ahnen zurückgehen müssen und daß auch hinter diesem gemeinsamen
Ahnen und D ein weiterer nur zu rekonstruierender gemeinsamer
Text steht, und T. zeigt durch sorgfältige Prüfung
der Übersetzungsvarianten, nach welchen Gesichtspunkten man
diesen gemeinsamen Text mit einiger Wahrscheinlichkeit rekonstruieren
kann, wobei sich die lateinische Seite von D als bester,
wenn auch nicht als immer ursprünglicher Zeuge erweist. Aufgrund
dieser Untersuchungen bietet T. dann auf S. 5 5—61 den
rekonstruierten Text dieser hypothetischen gemeinsamen Urform
von d f g mit einem Apparat, der bequem das Nachschlagen der
Begründungen für die einzelne Textwahl ermöglicht.

Das 2. Kapitel hätte ruhig auf eine Anmerkung reduziert
werden können; denn es bietet nur den Nachweis, daß der von
H. Vogels (Das Corpus Paulinum des Ambrosiaster, Bonner
Biblische Beiträge 1 3, 1957) wieder hergestellte Paulustext
dieses Kommentars sich als richtig hergestellt erweisen läßt.

Das 3. Kapitel greift die viel diskutierte Frage nach dem
von Pelagius benutzten Bibeltext neu auf und weist überzeugend
nach, daß es (entgegen der für den Kommentartext maßgeblichen
Ausgabe von A. Souter) möglich ist, diesen Bibeltext aufgrund
der Argumente des Kommentars selber und aufgrund
einer seiner Handschriften ziemlich sicher wiederherzustellen,
und auch hier wird auf S. 109—115 eine durch einen Apparat
begründete Rekonstruktion dieses Textes für den 1. Timotheusbrief
geboten. In die Auseinandersetzung zwischen K. Th. Schäfer
(Der Paulustext des Pelagius, Studiorum Paulinorum Coragressus
Internationalis Catholicus 1961, = Analecta Biblica 18, 1963,
45 3 ff.) und desen Schüler H.J.Frede (Vetus Latina . . ., hrsg.
von der Erzabtei Beuron, Bd. 24, Epistula ad Ephesios, 1. Lief. 1,
1962, 35*ff.) greift T. ein, indem er sich auf die Seite Schäfers
stellt und die Annahme verteidigt, daß Pelagius einen lateinischen
Paulustext benutze, der als die letzte Etappe zwischen dem
,,westlichen Text" und der Vulgata bezeichnet werden kann.
Das alles ist recht einleuchtend, und die Rekonstruktion der
beiden altlateinischen Textformen des 1. Timotheusbriefes ist
sehr dankenswert. Man vermißt dann aber sehr, daß nun
zwischen den beiden rekonstruierten Texten oder auch zwischen
ihnen beiden und dem Text des Ambrosiaster (nach Vogels)
keinerlei Vergleich angestellt und nicht einmal der Wortlaut der
zwei bzw. drei Texte unter- oder nebeneinander abgedruckt
wird, so daß man wenigstens bequem selber Vergleiche anstellen
könnte. Das hätte keine große Mühe bedeutet und den
Wert der Arbeit erheblich erhöht. So endet die Untersuchung
ohne ein wirklich greifbares Resultat und bleibt eine bloße Vorarbeit
.

Marburg/Lahn Werner Georg K ii m m e 1

C e r f 3 u x, L.: Le Chretien dans la theologie paulinienne. Paris: Les
Editions du Cerf 1962. 539 S. 8° = Lectio Divina, 33. NF 25.50.
Nach seiner paulinischen Ekklesiologie (La theologie de
l'Eglise suivant saint Paul, zuerst erschienen 1942) und seiner
Christologie (Le Christ dans la theologie de Saint Paul, zuerst
erschienen 1951) läßt der gelehrte Verfasser nun eine zusammenfassende
Darstellung der paulinischen Anthropologie folgen. Zwei
Anliegen leiten ihn; 1. ein theologisches: Die christliche Anthropologie
, wie sie aus den Briefen des Paulus zu erheben ist, gründet
wesentlich in dem Heilswerk Christi, das wiederum als die
heilsgeschichtliche Vollendung des universalen Heilsplanes Gottes
zu begreifen ist. Darum ist ihre Darstellung nur in einem
umfassenden Durchgang durch das Ganze der paulinischen Theologie
zu gewinnen. Das 2. Anliegen ist ein historisches: ,,Notre
ambition etait de retrouver, grfice aux lettres de saint Paul, les

premieres pulsations de la vie theologique, ä ce moment privilegie
oü la revelation se traduisait dans la langue de la civilisation
greco-romaine." (S. 495) Es ist in der Sicht des Verf.'s für die
ganze Geschichte des Urchristentums von entscheidender Bedeutung
gewesen, daß der große Heidenmissionar, durch dessen
Missionswerk die Ausbreitung des Christentums allererst ökumenischen
Horizont bekommen hat, einerseits von Haus aus ein
in pharisäischer Tradition geschulter Jude war, der so die ersten
christlichen Grundüberlieferungen in ihrem durchaus jüdischen
Vorstellungshorizont vollauf aufgenommen hat, andererseits aber
als Diasporajude ebenso von Haus aus weitreichenden Zugang
zur geistig-religiösen Welt des Hellenismus hatte. Beides stellte
er in den Dienst seines apostolischen Wirkens. Nach dem göttlichen
Heilsplan gilt das Christusevangelium aller Welt. Paulus
war als der gesondert berufene Heidenapostel dazu bestimmt,
den ersten und für die ganze folgende Kirchengeschichte grundlegenden
Überschritt des Christusevangeliums in die Ökumene
zu vollziehen.

Geschichtlich gesehen, läßt sich dieser Überschritt aus den
paulinischen Briefen noch in seinen verschiedenen Phasen erkennen
: Die Thess. zeigen 1) noch deutlich den Ausgang von
dem „Enthusiasmus" der urgemeindlichen Naherwartung; alle
theologischen Aussagen empfangen von ihr her ihre Orientierung
. Die vier großen Hauptbriefe 6etzen dann 2) die vielfältigen
Erfahrungen des Völkerapostels im hellenistischen Raum der von
ihm gegründeten Gemeinden und ihre erste theologisch-gedankliche
Bewältigung voraus: die Korintherbriefe die kritische Einbeziehung
besonders der philosophischen Tradition in das Glaubensbewußtsein
— (die Erörterung des Paulus in 1 Kor 1 f. versteht
Verf. in diesem Sinne, leider ohne die religionsgeschichtlichen
Aspekte gerade dieses Abschnittes, wie sie in der neueren
Forschung aufgezeigt sind, zu diskutieren); Gl. und Rom. zeigen
dann, wie Paulus 6ich von dieser neu gewonnenen hellenistischchristlichen
Position aus mit dem „Judaismus" radikaler Judenchristen
auseinanderzusetzen hatte. Schließlich spiegeln 3) die
„Gefangenschaftsbriefe" (Verf. will in ausführlicher Erörterung
die paulinische Authentizität von Kol/Eph. erweisen, vgl. bes. S.
472 ff.) die letzte Phase der theologischen Entwicklung des Paulus
, in der sich das christliche Denken nun unmittelbar auf das
„Geheimnis" des Heilsplanes Gottes als solches richtet, der dem
Christusgeschehen und aller christlichen Verkündigungsgeschichte
zugrundeliegt: „Ne convenait-il pas ä 1' Apotre des Gentils,
apres avoir assure leur liberte vis-ä-vis de la Loi juive et
determine leur Statut dans Y Eglise universelle, de proclamer
maintenant, dans un testament spirituel, sa vision du nouveau
Israel de Dieu et de l'unite de tout le cosmos, anges compris,
enfin retablie par la mediation du Christ?" (S. 499)

Grundlegend war von Anfang an und durchgehend die Auferstehung
Christi. War diese aber in ältester Zeit ganz als escha-
tologisches Geschehen erfahren und verstanden worden: als Erhebung
des Gekreuzigten zu universaler Herrschaft in endzeitlichem
Leben, die in seiner nahen Parusie bald offenbar werden
wird, so ist diese Zusammenschau von Auferstehung und Parusie
doch schon bald aufgelöst worden, und es eröffnete sich für das
christliche Bewußtsein die christliche Gegenwart in der Kirche als
eine neue „christliche Zeit", die in der Auferstehung Christi
gründe und bis zum Ende eine heilsgeschichtlich gewichtige Ausdehnung
haben werde, eine Zeit schon „realisierter Eschatologie"
(bes. S. 497). Entsprechend wandelte sich nun auch das Christsein
als solches. War in jener ältesten Zeit die eschatologische
Hoffnung der alles Leben beherrschende Aspekt, so daß durch
ihn zumal auch alle christliche Ethik ihre Prägung empfing, so
wurde später die vielfache Geisterfahrung zur zentralen Direktion
christlichen Lebens, und neben die endzeitliche Hoffnung
trat die Erfahrung gegenwärtiger Teilhabe an Tod und Auferstehung
Christi. Daraus wiederum entwickelten sich in verschiedenem
Grade die Weisen der Verwirklichung pneumatischer
Durchdringung des Christen: Die „Vollkommenen" gewinnen in
der „Weisheit", die zur emyreonig der Geheimnisse Gottes und
darin zu einem alle Zeit transzendierenden Gottes-Innescin befähigt
, die vierte „theologische Tugend" neben Glaube, Liebe
und Hoffnung hinzu (bes. S. 505).