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Ausgabe:

1965

Spalte:

508-512

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kilian, Rudolf

Titel/Untertitel:

Literarkritische und formgeschichtliche Untersuchung des Heiligkeitsgesetzes 1965

Rezensent:

Reventlow, Henning

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

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Auffassung zu sein. Aus II Sam 24 folgert der Verf., daß die Bestimmung
des Ortes, an dem der Tempel zu bauen war, allein
Jahwe oblag, daß er ihn nach II Sam 24 festgelegt hatte und daß
David oder Salomo daran nichts hätten ändern können. Jedoch
geht II Sam 24 nach seiner Entstehungsgeschichte dem Tempelbau
nicht voraus, sondern folgt ihm nach und legitimiert die gewählte
Stätte durch eine Altar- und Kulthöhenätiologie. Denn die Stätte
lag zwar fest — aber nicht durch eine Bestimmung Jahwes, sondern
infolge ihrer älteren Verwendung als kanaanäische Kultstätte
. Grundlegend war nicht eine Offenbarung, sondern das
religionsgeschichtliche Gesetz von der Kontinuität der Kultstätten
. Davon darf eine theologische Würdigung nicht absehen.

Mit jener Grundhaltung hängt es wohl auch zusammen, daß
der Verf. die Texte theologisch unterschiedslos wertet. Nicht
wenige von ihnen gehören aber einer höfisch-sakralen Theologie
an, die man weder in ihrer praktischen Bedeutung überschätzen
noch theologisch besonders hoch werten sollte. Ihre tendenziöse
Art zeigt sich sehr deutlich an der Verherrlichung Davids, des
Moabiterschlächters und Pferdelähmers (II Sam 8, 2. 4), und der
Nichtachtung des der synkretistischen Haltung beschuldigten großen
Staatsmannes Salomo. So müßte man bei den Texten erwägen,
wie weit sie ernstzunehmen und wie weit sie zum theologischen
Müll zu rechnen sind.

Sowohl die genannte als auch die exilisch-nachexilische escha-
tologische Theologie hat zu der übersteigerten Schätzung Jerusalems
geführt, der der Verf. wieder erlegen ist. Kann es wirklich
sein, daß „Jahwes Stadt eine Ausnahme unter den Hauptstädten
der Umwelt und ihren Reichsgöttertempeln bildete, geleitet
von der Geschichtslenkung des Gottes Israel"? Dieser Ansicht
muß ich entschieden widersprechen. Jerusalem bildet keine
Ausnahme, sondern ist eine von vielen Haupt- und Tempelstädten
. Sie ist in keinem anderen Maße von der „Geschichtslenkung
" Gottes „geleitet", als er das Geschick aller Völker und
Menschen bestimmt. Nur eine höchst bedenkliche nationale und
später eine konventikelhafte Theologie in Israel hat dies anders
gesehen. Den Propheten dagegen galt Jerusalem letztlich nicht
mehr als andere Städte, weil ihnen nicht der Offenbarungsort,
sondern der sich offenbarende Gott wichtig war. Darum haben
sie niemals gezögert, der Stadt und ihren Einwohnern den Untergang
durch das göttliche Gericht anzukündigen. Nein, die Hybris
der höfisch-sakralen oder der konventikelhaften Überheblichkeit
mit ihrem kultisch-nationalen Dogma, ihrer theokratischen Illusion
oder ihrer eschatologischen Spekulation bildet keine tragfähige
theologische Grundläge. Zumindest das Berufungserlebnis
Ezechiels zeigt, daß Offenbarung und Heil nicht mit Zion- Jerusalem
verknüpft sind, sondern daß der Glaubende die Nähe seines
Gottes überall erfahren kann.

Erlangen Georg Fohrer

Sanders, Jim Alvin, Prof.: Suffcring As Divine Discipline in the Old

Testament and Post-Biblical Judaism. Rochester/N. Y.: Colgate

Rochester Divinity School [1955]. V, 135 S. gr. 8° = Colgate
Rochester Divinity School Bulletin XXVIII.

Durch die Schuld des Rez. wird diese Studie über „das
Leiden als göttliche Züchtigung im AT und nachbiblischem
Judentum" leider sehr verspätet angezeigt, und dies, obwohl das
Thema wie die klare und gründliche Bearbeitung größtes Interesse
verdient. Ausgangspunkt ist die 94 mal im AT bezeugte
Wurzel "lOi und das 51 mal vorkommende davon abgeleitete
Substantiv 10<w Auch das gelegentlich parallel damit auftretende

Verb HD1 Hi und das als prägnanter aus ^OTO npb verkürzter
Ausdruck verstandene np_b werden kurz berührt.

Nach einer kurzen Einleitung werden in Kap. 2 alle Vorkommen
, getrennt nach Propheten, Pentateuch und historischen
Büchern, Psalmen und Weisheitsliteratur kurz exegetisch untersucht
und ausgewertet. Dabei ergibt sich, daß Hi 12, 18 und
Prov. 7, 22 zur Wurzel iat< gehören, während die Hoseastellen
nur mit Vorbehalt gedeutet werden können, da der Textzusammenhang
zu schlecht überliefert sei. Als Grundbedeutung
von ergibt sich: „eine Lektion beibringen". Dies kann in
dreierlei Form geschehen: 1, durch die Erfahrung des Leidens,

2. durch Annahme einer Wortbelehrung, die das Leiden vermeiden
läßt, 3. durch Beobachtung anderer Leidender, sei es
einer Einzelperson, einer Gruppe oder eines Volkes oder durch
Betrachtung der Werke Gottes. Während der Lehrer der Lektion
Gott oder ein Mensch sein kann, ist mit Ausnahme von Hi 40, 2
immer der Mensch der Empfänger dieser Unterweisung oder
Züchtigung. Eine Sonderstellung nehmen die 14 Vorkommen in
den Proverbien ein, in denen ein allgemeiner Ausdruck für
Erziehung, Unterricht mit dem Ziel der Weisheit ist. Eine auf
dem Weg des Leidens erfahrene Lektion ist immer durch vorausgegangene
gottwidrige Handlung oder Haltung bedingt. Das
sind ein Drittel der Vorkommen des Verbs. Die frühesten Vorkommen
dieses Gedankens finden sich bei Zephanja und Jeremia.
Das Substantiv begegnet in allen Teilen des AT, als Zurechtweisung
eines Volkes aber verständlicherweise nicht in der
eigentlichen Weisheitsliteratur. Ein weiteres Kapitel versucht
dann den Nachweis zu führen, daß für Jeremia der Begriff der
Zurechtweisung entscheidend sei, und zwar sowohl für das Selbstverständnis
seines eigenen Leidens wie für das Verständnis der
Heimsuchungen des Volkes. Das Ziel sei in beiden Fällen nicht
Vernichtung, sondern Besserung und Wiederannahme. Diese
feinsinnige Analyse der Verkündigung des Jeremia bringt dank
des Ausgehens von einem etwas ungewohnten und ungewöhnlichen
Gesichtspunkt eine oft überraschende Freilegung von
inneren Zusammenhängen, die das Anliegen des Propheten
lebendiger werden lassen. Damit ist dann auch der Boden vorbereitet
für das folgende Kapitel, das das Problem des Leidens
als göttlicher Zurechtweisung nun in systematischen Zusammenhängen
untersucht. Schließlich werden die Linien über das AT
hinaus in das nachbiblische Judentum bis zum Abschluß des Talmud
verfolgt und so aufgewiesen, wie eine gewisse Verhärtung
und dogmatische Festigung des ganzen Problemkreises eintritt.
Damit hat nun aber auch der Neutestamentier alles Material
beisammen, das nötig ist, um das nieutestamentliche Verständnis
des Leidens umfassend angehen zu können.

Eine gute kritische Literaturübersicht und ein Verzeichnis
der behandelten Bibelstellen schließen die nützliche Abhandlung
ab. Wenn man zum Schluß noch ein paar kritische Bemerkungen
machen darf, so etwa in der Hinsicht, daß das Bild des Jeremia
an Geschlossenheit gewonnen hätte, wenn der Begriff der Umkehr
, der ja bei Jeremia eine große Rolle spielt und auch in diesem
Zusammenhang spielen müßte, nachdem das Ziel der göttlichen
Züchtigung durch Leiden die Wiederaufnahme ist, stärker
herausgestellt worden wäre. Nützlich hätte es auch sein können,
wenn das Problem des Knechtes Gottes gerade auch den Knecht
Gottes Nebukadnezar berücksichtigt hätte, den Jeremia ja nicht
nur erwähnt, 6onderni als Völkerprophet auch als den hinstellt,
der Völker vernichtet und beherrscht. Vielleicht hätte auch über
die schwachen Andeutungen hinaus der geschichtlichen Entwicklung
des Problems etwas mehr Beachtung gezollt werden sollen.
Aber daß das Problem gesehen und in dieser übersichtlichen
Weise vorgetragen worden ist, verdient Dank.

Erlangen Leonhard Rost

Kilian, Rudolf: Literarkritisdie und formgeschichtliche Untersuchung
des Heiligkeitsgesetzes. Bonn: Peter Hanstein 1963. XVI, 186 S. 8°
= Bonner Biblische Beiträge, hrsg. v. F. Nötscher u. K. Th. Schäfer,
19. DM 24.—.

In die Reihe neuer Beiträge zu den literarischen Problemen
des Pentateuchs, die nach einer längeren Periode weitgehender
Ermüdung der alttestamentlidhen Forschung auf diesem Gebiet
in den letzten Jahren wieder zu erscheinen beginnen, reiht
sich mit der Tübinger Preisschrift und kath.-theol. Dissertation
Kilians eine weitere Untersuchung ein, die es sich zum
Ziel gesetzt hat, Aufbau und Entstehung des Heiligkeitsgesetzes
(Lev 17—26) als eines scheinbar abseitigen, als eines der drei
uns erhaltenen Beispiele israelitischer Rechtsbücher in Wirklichkeit
aber ganz zentralen Abschnittes des Alten Testaments zu
erhellen. Der vorliegende Druck stellt die gekürzte und überarbeitete
Form der maschinenschriftlichen Fassung dar, die dem
Rezensenten schon vorgelegen hat; überarbeitet worden ist vor
allem die Behandlung von Kap. 26.