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Ausgabe:

1965

Spalte:

504-505

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Philipp, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Religiöse Strömungen unserer Gegenwart 1965

Rezensent:

Mann, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

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Bereiche (H., S. 151) und rundet seine Herrschaft um die negative
Halbschale der geordneten Welt ab. „Sein Wissen auch um diese
Seite des Ganzen schwingt mit, wenn ihm in zeitgenössischen
.. . hymnischen Texten Allwissenheit zugeschrieben wird" (Mo-
renz, Die Heraufkunft des transzendenten Gottes in Ägypten =
BSAW 109, 2 1964, S. 41). Daß der descensus ad inferos des
sieghaften Gottes lediglich befristete Wirkung hat, hängt nidit
zuletzt mit der ägyptischen Vorstellung zyklischer Zeit zusammen
. „Nur wo lineare Zeit dominiert, kann der descensus Endlösungen
herbeiführen" (ebd.). Aus diesen knappen Mitteilungen
wird zur Genüge hervorgehen, daß das Amduat über
Jenseitsvorstellungen, Heilserwartungen und Gottesbegriff des
zeitgenössischen Ägypten Bedeutendes auszusagen vermag.

Das alles hat Verf. dem Fachfremden vor allem in kurzen
Zusammenfassungen des Inhalts der einzelnen Fahrtstunden
mundgerecht gemacht, auf daß man das Wesentliche vom Beiläufigen
unterscheiden könne. Darüber soll nicht vergessen werden
, daß für den Forscher „der Teufel im Detail steckt" und H.
keine Mühe gescheut hat, den Hunderten von Details nachzugehen
, die uns im Amduat entgegentreten. Seine bis zur Erweiterung
unserer lexikalischen Kenntnis reichenden Bemühungen
um die Namen (oft = Funktionen) der beinahe tausend dämonischen
Schemen, die in Handlung und Szenerie dieses Jenseitsführers
verwoben sind, verdienen den besonderen Dank des Mitforschers
. Das Ergebnis wird man für Untersuchungen darüber
nutzen, wie sich in Ägypten ein (noch nicht übersehbares) Reich
von Dämonen abseits der großen Götter gebildet hat (Thema:
Vom Wesen ägyptischer Dämonen). Für die Kenntnis der „Höllenvorstellungen
" im Pharaonenreich aber und ihre mögliche
Weiterwirkung auf die klassische und vor allem christliche Antike
setzen die vorliegenden Untersuchungen geradezu den Ausgangspunkt
; Verf. und Rez. hoffen, solchen Zusammenhängen in absehbarer
Zeit gemeinsam nachzugehen. Ein Hinweis voraus:
S. Luria, Demokrit, Orphiker und Ägypten = Eos 51, 1961,
S. 21 ff. hat (ansprechend) vermutet, daß die dem Demokrit
zugeschriebene und dann gewiß polemisch-parodistische Schrift
mg! T(ov ev "Aidov (nb: es liegt eine Ellipse vor: „über die
[Dinge] im [Hause des] Hades") im Titel auf das „Amduat" zurückgehe
bzw. Bezug nehme.

Daß einiges offen bleibt, versteht sich bei Art und Überlieferungsweise
des Stoffes von selbst. So läßt sich vorderhand
nicht sicher sagen, wann das Buch als geschlossenes System entstanden
ist. Hat Verf. recht, wenn er in Nachfolge Sethes und
Schotts den Zeitraum des Möglichen auf eine kurze Spanne vor
der ersten erhaltenen Niederschrift einengt? In der religionssoziologischen
Frage, ob das Amduat zunächst ein Königstotentext
gewesen ist und erst später vom ägyptischen Privatmann in
Anspruch genommen wurde, hat sich H. jedenfalls früher für die
erstere Annahme erklärt (NAWG 1961, Nr. 5, S. 105 f.). Ich
möchte Zweifel an deren Richtigkeit nicht unterdrücken, da sich
im vorliegenden System keinerlei Bezug auf den König findet
(vgl. H. Grapow, ZÄS 72, 1936, S. 37 f.) und die „Demokratisierung
des Totenglaubens" am Ausgang des Alten Reiches prinzipielle
Wirkung gehabt haben dürfte. Aber die (fast!) völlige
Beschränkung des Amduat auf Königsgräber in der ältesten Phase
seiner Bezeugung kann ich vorläufig nicht befriedigend erklären2,
so daß ich im Falle dieses Jenseitsführers die Möglichkeit einer erneuten
Demokratisierung einräume, die in der späteren sozialen
Verbreitung des Textes sichtbar würde. Wie dem auch sei: Es
muß nochmals hervorgehoben werden, daß jeder weitere Schritt
in der Erforschung des bedeutenden Gegenstandes von H.'s vorzüglicher
Edition und seiner tiefdringenden, zur Klarheit führenden
geistigen Bewältigung ausgehen wird.

Basel und Leipzig Siegfried Morenz

'■) Sie könnte bei der in der vorstehenden Anmerkung angedeuteten
Diskussion eher erklärt werden, wenn sidi die Entstehung
des Textes im Mittleren Reich durch Untersuchungen zur Textgestalt
oder auch sachlich durch konsequenteres Heranziehen der Sargtexte
nahelegen sollte.

Philipp, Wolf gang: Religiöse Strömungen unserer Gegenwart. Heidelberg
: Quelle & Meyer 1963. 275 S. 8°. Hlw. DM 15.50.

Das Buch ist die Fortführung des Berichts, den H. Frick 192 3
zur religiösen Lage gab (Wissenschaft und Bildung 187). Es behandelt
also einen Zeitraum, in welchem allenthalben bedeutende
religiöse Neuerungen und Erneuerungen auftraten, es läßt
sich daher mit dem Vorgänger kaum vergleichen. Die Lektüre
des Buches vermittelt unter einem etwas ungewohnten Aspekt
ein Gesamtbild der geistigen Welt in unserer Zeit. Das Überraschende
dabei ist dies, daß die vielberufene Säkularisierung
sozusagen durchleuchtet wird, um die dahinter und darunter unverändert
gleichen religiösen Elemente sichtbar werden zu lassen.
Es gelingt dem Autor durchaus, auch beim modernen Atheismus
eine religiöse Grundtendenz aufzuzeigen, dabei verdient hervorgehoben
zu werden, daß der Verfasser die naheliegende Gefahr
des Prokustes-Schemas auszuschalten wußte.

Das Buch will ein Handbuch sein, das in äußerster Gedrängtheit
eine möglichst große Fülle von Einzelstoff so darbietet
, daß auch der Nichtfachmann leichten Zugang zu den
Gegenständen findet.

Philipp beginnt mit einer knappen Skizzierung des der Darstellung
zugrundeliegenden Religionsbegriffs: „Religion ist eine
umfassende Bewegung der gesamten Lebendigkeit des Menschen
— ein eigenartiges Sich-über-sich-selbst-Hinausrecken", ist der
„Drang, sich selbst zu ,transzendieren', sich über sich selbst
hinaus einem Letzten, Höchsten, Absoluten entgegenzusteigern"
(S. 11). Das ist keine theologische Kategorie und soll es auch
nicht sein. Der Verfasser beschränkt sich bewußt auf die historische
, phänomenologische und systematische Methode des
Untersuchens und Darstellens.

Ein erster Hauptteil befaßt sich mit dem Neuthomismus,
der begriffen wird als „Seinsglaube". Das „Große Haus des
Seins" verspricht dem unbehaust gewordenen Modernen eine
neue Geborgenheit in der Schönheit des katholischen Ordo. Eine
Fülle von religiöser Literatur bezeugt die Stärke dieser Bewegung
, angefangen bei „christlichen Bestsellern" (z. B. H. M.
Robinson, Der Kardinal) bis hin zu hoher Dichtung (z. B. Bloy,
Claudel, Greene, Schneider). Hier fällt besonders die umfassende
Sachkenntnis und Belesenheit des Autors ins Auge, der hunderte
von Verfassern und Werken treffsicher und einprägsam zu kennzeichnen
vermag.

Dem statischen Seinsglauben stellt sich entgegen der im
folgenden Abschnitt geschilderte dynamische Evolutionismus von
Teilhard de Chardin bis zu Ernst Bloch; dazu gehören die utopistischen
Zukunftsromane unserer Zeit. Ein weiterer religiöser
Bereich gehört der „Daseinsmystik" (Jaspers, Camus, Heidegger,
Benn, Rilke). Ein besonderer Abschnitt ist dem neueren Judentum
gewidmet, dem Zionismus, dem Antisemitismus, dem Staat
Israel und der Lage des heutigen Judentums in Deutschland.
Ausführlich behandelt Philipp sodann die Strömungen im
zeitgenössischen Protestantismus unter der Überschrift „Glaube
und Ideologie". Hier spricht ein Sachkenner erschöpfend über
die Fülle von Organisationen im evangelischen Bereich, bis hin
zu den „Evangelischen Franziskanertertiaren", wie über die
theologischen Auseinandersetzungen von Ritsehl bis zu Barth
und Tillich. Hier wird sich zwar jede Richtung für unzulänglich
gekennzeichnet erklären, ich muß aber gestehen: ich wüßte
nicht, wie man es im Rahmen einer gedrängten Übersicht besser
machen sollte. Auch Spezialfragen wie das Problem des „Historischen
Jesus" und die Entmythologisierung, ferner die Eschato-
logie und die Qumranforschung werden erörtert. Dazu kommt
ein weiterer Überblick über die religiöse Dichtung im neueren
Protestantismus. Ich halte die knappe und doch farbige Zusammenstellung
gerade dieser Komplexe für sehr nutzbringend
auch für den Theologen. Philipp dürfte hier einiges zu einer
neuen und durchaus wünschenswerten Nomenklatur beigetragen
haben. — Es folgt eine Schilderung der „kosmischen Frömmigkeit"
der Gegenwart, ferner des Okkultismus und des Atheismus; der
letzte Abschnitt schließlich ist den Neuaufbrüchen im Bereich
der Weltreligionen gewidmet.

In einer knappen Rezension könnte die um der Übersicht
willen vorgenommene Anführung von Philipps oft eigenwilligen