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Ausgabe:

1965

Spalte:

501-503

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hornung, Erik

Titel/Untertitel:

Das Amduat 1965

Rezensent:

Morenz, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

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dieses Buches nur dringend empfehlen. Auch unser Geschichtsbild
ist in vielem revisionsbedürftig. Diese „Geschichte der
Kirche" ist — trotz unserer nicht verschwiegenen Bedenken gegen
ihren Grundansatz — als eine ökumenische Tat zu würdigen.
Freilich, der katholische Standort des Verfassers bleibt an jedem
Punkt der Darstellung sichtbar. Er blickt von diesem Standort
aus weit über die konfessionellen Grenzen hinaus, aber er verläßt
ihn keinen Augenblick. Das ist kein Vorwurf, sondern
eine Feststellung. Als Folge eines genuin katholischen
Denkens betrachten wir es, wenn auch bei Lortz alle Kritik
an der Kirche und ihren geschichtlichen Erscheinungsformen
letztlich in ihre Apologie einmündet, wenn die oft staunenswert
freimütige Kritik durch eine Antikritik immer wieder entschärft
wird. Der Wille zum „System der Mitte" und der horror vor der
(stets „häretischen") „Einseitigkeit" führen immer wieder dazu,
daß die Entscheidung für ein eindeutiges Ja oder Nein in ein Hin
und Her zwischen Ja und Nein umgebogen wird. Darin kann eine

tiefe Weisheit stecken. Das Leben und die Geschichte sind
komplex und lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Ein
abwägendes Sowohl-Als auch wird in vielen Fällen einem simplen
Entweder-Oder vorzuziehen sein. Sich darin zu üben, gehört zu
den wichtigsten Tugenden des echten Historikers. Aber zwingt
ihn das nicht zu einem überkonfessionellen Denken, das auch
über den universalen Katholizismus eines Lortz noch weit
hinausgeht? Das ist freilich ein Ziel, das die Kirchengeschichtsschreibung
beider Konfessionen noch nicht genügend verwirklicht
hat. Aber sie hat sich auf den Weg dazu gemacht. Das
Werk von Lortz gehört trotz seiner überzeugt katholischen Ausrichtung
zu den Wegbereitern einer überkonfessionellen Kirchengeschichtsschreibung
. Man kann nur wünschen, daß die hier vollzogene
Selbstbesinnung über Weg und Wesen der Kirche in den
kommenden, entscheidungsschweren Jahrzehnten auf evangelischer
und katholischer Seite kritische Nachfolge und fruchtbare
Weiterführung findet.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

H o r n u n g, Erik: Das Amduat. Die Schrift des verborgenen Raumes.
Hrsg. nach Texten aus den Gräbern des Neuen Reiches. 1.: Text. IL:
Übersetzung und Kommentar. Wiesbaden: Harrassowitz 1963. XIX S.,
206 autogr. S., 12 Falttaf. u. IX, 206 S. 4° = Ägyptologische Abhandlungen
, hrsg. v. W. Helck u. E. Otto, Bd. 7. Kart. DM 90.—.

Die Bereitschaft, das vorliegende Werk in einer theologischen
Zeitschrift anzuzeigen, ist mir nicht ganz leicht gefallen.
Das hat mit der Qualität der Arbeit oder ihrem Gegenstand nichts
zu tun. Denn die eine scheint mir ausgezeichnet zu sein, der andere
für den Theologen (also eben nicht nur für den Religionshistoriker
!) höchst bemerkenswert. Doch ausreichende Erfahrung
läßt mich fragen: Wer unter den Theologen, außer einigen
Alttestamentlern oder Neutestamentlern, liest denn auch nur die
kurze Anzeige der Bearbeitung einer ägyptischen Schrift mit zunächst
mysteriösem Titel? Um es ganz deutlich zu sagen: Von
einem hart beschäftigten Gemeindepfarrer wird da6 kein nüchtern
Denkender erwarten, aber wissenschaftliche Diener der Theologie
pflegen in dieser Hinsicht eine m. E. übertriebene Abstinenz zu
üben. Sowohl für die Herkunft des Christentums wie für die
Bestimmung seiner Besonderheit, für fremde Elemente wie für
eigenes Wesen also, ist aus der antiken Religionsgeschichte viel
zu lernen, und es sollte auf die Dauer kein Geheimnis bleiben,
daß die altägyptische Zivilisation zu diesem Bereich wesentlich
hinzugehört.

Genug der (todsicher erfolglosen) Jeremiade — worum geht
es? Verf., einer der fähigsten und gebildetesten in der jungen
Generation deutscher Ägyptologen (zugleich ein frischer, trefflicher
Stilist), hat einen erstrangigen Vertreter der altägyptischen
„Jenseitsführer" herausgegeben, übersetzt und kommentiert. Es
handelt sich um das sog. Amduat „[Buch von dem,] was in der
Unterwelt ist", das in den alten Textzeugen den Namen „Schrift
des verborgenen Raumes" trägt. Im ersten Bande legt H. den
Text vor, der uns zunächst in Königsgräbern des Neuen Reiches
seit Thutmosis I. (d.h. der frühen 18. Dynastie) bezeugt ist.
Dort wurde er anfänglich im braunroten Farbton eines alten
Papyrus an der Wand „abgerollt" (bis Amenophis III.), nach der
Amarnazeit dann in bemaltem Relief gegeben. Die Ausgabe, der
die (vollständigste und besterhaltene) Niederschrift im Grabe
Amenophis'Il. zugrunde gelegt ist und die die Varianten abseits
der üblichen orthographischen Freizügigkeit ägyptischer Schrift
in einen Apparat verweist, schafft zum ersten Male eine sichere
Textgrundlage. Davon soll hier nicht weiter gesprochen werden,
obwohl in der Edition eine geistige (und physische!) Pionierleistung
vorliegt, auf der zunächst H.'s zweiter Band (Übersetzung
und Kommentar) beruht und alle künftige Arbeit am
Gegenstand beruhen wird1. Von (innerlich oder sachlich) unzu-

') Vielleicht hat man an der Textgestalt weiterzuarbeiten. H.
Altcnmüllcr weist mich auf Möglichkeiten hin, die hier unerörtert
bleiben müssen; der Interessent muß eine Diskussion in den Fachorganen
abwarten.

reichend orientierten Fachleuten einst gering geachtet oder einfach
beiseite geschoben, stellt sich das Amduat heute als eine
Bild- und Textkomposition von großartiger Geschlossenheit und
Tiefe dar, die auf lange hinaus Faszination üben wird. Das Bilderbuch
hat die Nachtfahrt des Sonnengottes (Re) durch den Bereich
unter der Erde zum Gegenstand. Die Reise ist in die 12 Stundenstrecken
der Nacht eingeteilt, die der Gott des Tagesgestirns
von seinem Untergang im Westhorizont bis zu seinem Aufgang
im Osten zu passieren hat. Dabei reist er mit Gefolge in seiner
Barke, die teils zu Wasser, teils auf Sand gezogen wird. Überall
bringt er den Schemen, die in den (mit genauen Flächenangaben
versehenen) Stundenbereichen hausen, Licht und Leben. Sie begrüßen
ihn jubelnd und bejammern seinen Weiterzug. Es ist für
das ägyptische Existenzverständnis von höchster Bedeutung, daß
sich unter diesen Schemen auch der Leichnam des Sonnengottes
selbst befindet, der wie alles Gestaltete gestorben war, und es
kennzeichnet ein Herzstück ägyptischer Religionsgeschichte, daß
der Leichnam des Re mit dem Totenherrscher Osiris in eins gesetzt
wird. Dieser kardinale Vorgang vollzieht sich im Scheitelpunkt
des Unterweltweges, also der 6. Stunde, und erhält dadurch
zweifellos einen besonderen Akzent. Die Schemen werden
überdies durch den „Anruf" des vorüberziehenden Gottes nächtlich
neu belebt, worin wir die Rolle des göttlichen Schöpferwortes
in Ägypten erkennen können. In der 7. Stunde besteht
Re die Gefahr des Kampfes mit seinem ewigen Widersacher, der
Apophisschlange, den er und sein Gefolge in charakteristischer
Weise durch Zauber besiegen. In der 12. Stunde schließlich vollzieht
sich das Wunder der Verwandlung: Der alte, untergegangene
, nächtliche Gott, der in diesem Zustand Widderkopf
trug, gewinnt unter Durchgang durch den Leib einer Schlange die
Form des „Werdenden" (Chepre, bildlich: des Skarabäus) und
ist in dieser neuen Gestalt reif und imstande zum Ausbruch aus
dem geschlossenen Oval der „Duat" (Unterwelt), wobei ihn sein
Gefolge begleitet.

Ohne Mythos gesagt und z. T. zugleich unter Zuhilfenahme
anderen Materials interpretiert: Der Tote, der die Wände seines
Grabes (als „Duat") mit diesem „Amduat" ausgestattet hat,
sichert seiner Behausung auf diese Weise in ritueller Selbsthilfe
zunächst den heilvollen allnächtlichen Durchzug des Sonnengottes
und stellt sich darüber weit hinaus zugleich in dessen Gefolge
(vgl. bereits Pyr-Spruch 272). Der Gott wiederum nimmt
am Kreislauf der Dinge teil. Dabei ist er einerseits vom Todesschicksal
nicht frei, anderseits überwindet er es in einzigartiger
Kraft mittels seiner licht- und lebenspendenden Durchfahrt und
vor allem durch seinen allmorgendlichen Ausbruch in die Oberwelt
. So sind in ihm die Aspekte des todunterworfenen Naturwesens
und des unwiderstehlichen, weil transzendenten Gottes
verbunden. „Der Tod ist verschlungen in den Sieg" (1. Kor 15,
55; im Blick auf den Triumph über Apophis sei behutsam an
Hebr 2, 14 erinnert). Ferner: Insofern Re in die Unterwelt zieht,
hat er zwangsläufig Macht und Wissen auch in bezug auf jene
fremdesten, oft in eindrucksvoller1' Schauerlichkeit geschilderten