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Ausgabe:

1965

Spalte:

489-496

Autor/Hrsg.:

Westermann, Claus

Titel/Untertitel:

Sinn und Grenze religionsgeschichtlicher Parallelen 1965

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489

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 7

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die Kirche als Leib Christi — das muß man doch nach 1. Kor. 10,
16 f. zusammensehen. Also ist dieser Christus sacerdos nicht nur
auf dem Altar, sondern auch in seiner Sakramentsgemeinde
gegenwärtig. Er ist von seinen Brüdern nicht mehr zu trennen
(Hebr. 2, 11—15). Er will Hoherpriester sein in der vollendeten
und nicht rückgängig zu machenden Solidarität mit uns Schwachen
(Hebr. 4, 15 f.). „So lebe denn nicht mehr ich, sondern
Christus lebt in mir" (Gal. 2, 20). Es ist wohl keine Fälschung,
wenn man leicht variiert: So bete denn nicht nur ich, sondern
Christus in mir. So übt denn auch Christus das Amt der Fürbitte
,,in" seiner Kirche. So stimmen wir zu, wenn Thurian sagt

— diesen Passus haben wir in dem vorhin gegebenen Zitat ausgelassen
und holen ihn nun nach —: „Die Eucharistie ... ist die
Teilnahme der Kirche an der Fürbitte des Sohnes / beim Vater
im Heiligen Geiste / um die Zuwendung des Heils an alle Menschen
/ und um das Kommen des Reiches Gottes in Herrlichkeit
."

Wir versperren uns den Zugang zu diesen Einsichten, indem
wir immer im Cooperationsschema denken. Geschieht dies, dann
sind wir sofort in Werkerei geraten — womöglich samt dem
ganzen „Drachenschwanz", der sich an die — falsch verstandene

— Messe anhängt". Christus und wir ? Nein. Erst recht nicht:
wir statt Christus (was von niemandem behauptet wird). Aber

22) Luther, AS II 2, 6.

Christus in uns und nicht ohne uns — das ergibt sich mit Notwendigkeit
da, wo man weiß, daß wir mit Christus im Sakrament
„ein Küche" werden. Daß Christus dabei immer der Gebende
bleibt und nichts von uns empfangen kann, ist außer
Frage. Er bleibt immer auch unser Gegenüber: gerade darum ist
es so wichtig, daß man die sakramentale Einwohnung Christi
nicht ausschließlich personal versteht! Das Sakrament ist seine
Gabe. Wir sind und bleiben aufs Empfangen angewiesen. Aber
er nimmt uns, kraft seiner Einwohnung in uns, in sein eigenes
Priestertum auf. Bitten wir doch in seinem Namen.

Das ist — leider — nicht das Ganze der katholischen Lehre
in dieser Sache. Wir zitieren noch einmal Jungmann23: Die Messe
„ist das Opfer Christi, aber es ist zugleich das Opfer der Kirche,
das sie mit ihm zusammen darbringt"; bis hierher möchte man
vielleicht bei freundlicher Interpretation noch gehen; aber dann
heißt es weiter: „ja, es ist zum Unterschied vom Kreuzesopfer
vor allem das Opfer der Kirche" — „die Identität mit dem
Kreuzesopfer" dürfe nicht „überspannt" werden. Hier müssen
wir widersprechen. Aber es scheint doch, daß die Gesprächsmöglichkeiten
zwischen den Kirchen in dieser Sache, von der
Schrift her gesehen, günstiger 6ind, als es in manchem polemischen
Lehrbuch von hüben und drüben zu lesen steht.

') a. a. O., S. 117.

Sinn und Grenze religion

Von Claus Weste

Die Bedeutung religionsgeschichtlicher Parallelen für die Erklärung
biblischer Texte1 liegt in der Möglichkeit, durch das
Vergleichen zweier oder mehrerer ähnlicher Texte das Verständnis
zu klären oder zu präzisieren. Sie liegt nicht darin, die
.Originalität' biblischer Texte oder Zusammenhänge zu beweisen
oder zu bestreiten. Sie liegt nicht darin, Werturteile über biblische
und außerbiblische Texte zu begründen.

Die Grenze religionsgeschichtlicher Parallelen liegt in der
Tatsache, daß die biblischen Texte uns als Teile eines Kanons
begegnen, die verglichenen Texte aber allermeist außerhalb jeglicher
kanonischer Bindung und Zusammenfassung. Das bedeutet
für die biblischen Texte eine sehr ausgeprägte traditionsgeschichtliche
Ausgangssituation, die, wie man sie auch beurteilen
mag, jedenfalls berücksichtigt werden muß. Die Zugehörigkeit
dieser Texte zu einem Kanon bedeutet die Bindung an eine
kontinuierliche Geschichte, deren Kontinuität von ihrem Endpunkt
her — in mehreren Stadien — konzipiert ist. Es läßt sich
niemals ganz davon absehen, daß es in der Bibel im Ganzen um
eine bestimmte Geschichte geht, die ,Geschichte Gottes mit
seinem Volk', die als solche in ihrer unlösbaren Verflechtung
mit der Profangeschichte den Charakter des Einmaligen und Kontingenten
hat. Es läßt sich auch nicht davon absehen, daß durch
den Kanon die Texte des Alten Testamentes mit denen des
Neuen Testamentes wiederum kontinuierlich von der Kanonisierung
bis in die Gegenwart weiter tradiert worden sind in einer
weiterbestehenden Gemeinschaft und insofern in einer anderen
Weise in die Gegenwart ragen als Texte aus vor Jahrtausenden
vergangenen Religionen, die zumeist erst in der Neuzeit wieder
zugänglich geworden sind.

Fragt man nun nach Sinn und Grenze religionsgeschichtlicher
Verglcichung im Zusammenhang des Bemühens um das Verstehen
alttestamentlicher Texte, dann zeigt sich sofort, daß hier die
methodischen Grundlagen noch zu erarbeiten sind. Sieht man
zurück in die Geschichte der Auslegung2, so zeigt sich auf der
einen Seite ein merkwürdiges und beunruhigendes Schwanken im
Blick auf die Frage der hermeneurischen Relevanz solchen Vergleichens
bzw. des Hcranziehens außerbiblischer Texte zur Er-

') Ich beschränke mich dabei, meinem Fach entsprechend, auf das
Alte Testament. Jedoch meine ich, daß die Aufgabe im Neuen Testament
wesentlich die gleiche ist.

"') Hierzu H.-J. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung
des Alten Testaments, 1956.

geschichtlicher Parallelen

mann, Heidelberg

klärung der Bibel, auf der anderen Seite eine mindestens ebenso
große Unsicherheit bei der Frage, wie solches Vergleichen
durchzuführen sei. Sie zeigt sich z. B. darin, daß das beim Vorgang
des Vergleichens sich fast von selbst einstellende Werten,
soweit ich sehe, niemals in der alttestamentlichen Arbeit grundsätzlich
bestimmt und eingegrenzt worden ist. Es genügt, dafür
auf die Tatsache hinzuweisen, daß im Babel-Bibel-Streit die uns
heute unfaßliche Verwahrlosung, die aus jeder Seite der Streitschrift
,Die große Täuschung' von Friedrich Delitzsch spricht,
nicht zu einer methodischen Klärung und Besinnung geführt
hat.

Auf die veränderte Situation, in der wir heute diese Frage
stellen, habe ich in meinem Aufsatz ,Das Verhältnis des Jahweglaubens
zu den außerisraelitischen Religionen''1 aufmerksam gemacht
. Hier will ich nur auf einen Gesichtspunkt zur Methode
des Vergleichens hinweisen, der jetzt vielleicht allgemeine,
jedenfalls weitgehende Zustimmung finden kann: Ein dem
Verstehen biblischer Texte dienendes Vergleichen
muß von phänomenologisch faßbaren
Ganzheiten herkommen und auf sie
zielen.

Dieser Gesichtspunkt bedeutet eine Abgrenzung und eine
Absage nach zwei Seiten hin: a) Das nur punktuelle Vergleichen
ist dann nicht mehr sinnvoll. Ein punktuelles Suchen und Finden
von Parallelen, das sich z. B. beschränkt auf das isolierte Einzelphänomen
wie den geflügelten Engel, einen Gewittergott, die
Formulierung eines Fluches, eine Seligpreisung, ein Gottesprädikat
, Begriffe wie Liebe zu Gott oder Bund usw. kann in dieser
Isolierung dem Verstehen biblischer Texte wenig dienen. Die
bloße Feststellung, daß es so etwas auch in einer anderen Religion
gibt — oder nicht gibt —, hat in sich kaum hermeneurischen
Wert; solch ein punktuelles Vergleichen kann sehr leicht zu Fehlurteilen
führen. Die Gefahr von Fehlurteilen wird noch größer,
wenn darüber hinaus eine Herleitung des isolierten Phänomens
hier aus dem isolierten Phänomen dort versucht wird.

Wenn das noch nötig erscheint, kann dafür eine eindeutige
Begründung gegeben werden. Der aus dem reformatorischen
Schriftverständnis erwachsene Grundsatz der Exegese einer biblischen
Aussage aus ihrem Zusammenhang heraus muß auch für

') Forschung am Alten Testament, Gesammelte Studien, Theolog.
Bücherei 24, S. 1 89—218.