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Ausgabe:

1965

Spalte:

469-471

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Stadtland, Tjarko

Titel/Untertitel:

Eschatologie und Geschichte in der Theologie des jungen Karl Barth 1965

Rezensent:

Stadtland, Tjarko

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469

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 6

4701

über die Waldenserforschung seit A. W. Dieckhoff (1851). Als Angelpunkt
der Konzeption erscheint die Überzeugung von dem an Waldes
ergangenen und allen Befähigten geltenden Ruf Christi zur apostolischen
Predigt der heilsnotwendigen guten Werke; Anlaß ist der geistliche
Notstand des Christenvolkes, dem diese Predigt von den rechtmäßigen
Nachfolgern der Apostel vorenthalten wird. Die Amtslegitimi-
tät der Hierarchie bleibt unbestritten; rechter Glaube und Sakramente,
die von ihr gehütet werden, genügen aber nicht zur Erbauung der
Christenheit. Die neuen Prediger — vorwiegend Laien, aber auch
Mönche und Kleriker; ab etwa 1180 auch einige Frauen — führen
(predigen aber nicht) die vita apostolica, die ihr besonderer Heilsweg
ist, nicht aber primär zur Selbstheiligung, sondern als der Weg, der
durch Freiheit von irdischen Bindungen die ganze geforderte Hingabe
an den Predigtauftrag ermöglicht. Der Auftrag begründet die Lebensweise
, nicht umgekehrt. Der Name Pauperes spiritu (Mt. 5, 3), erklärt
durch die Selbstbezeichnung „Prediger", deutet auf das sorgenfreie
Leben (Mt. 6, 24 ff.), das die wie die Apostel ausgesandten Prediger
(Mt. 10 par.; Mk. 16, 15) zur Erfüllung des Auftrags befähigt. Der
Unterhalt wird nach neutestamentlicher Ordnung nicht durch Arbeit
erworben, sondern vom Hörer empfangen (Mt. 10, 10; 1. Kor. 9, 14),
als Recht, nicht als Almosen, wenngleich die Mahnung zu den Werken
der Barmherzigkeit (Mt. 25, 34 ff.) auch auf den Unterhalt der armen
Prediger gedeutet werden kann. — Der Berufsgedanke bestimmt auch
die Verfassung: Auftrag und entsprechende vita apostolica sind die
Norm; die Prediger unterstehen dem „Herrn der Apostel". Die Verfassung
ist anfangs weder „monarchisch" (gegen K. Müller) noch
„demokratisch"; die Autorität des Waldes ist die des Stifters und
Wahrers von Auftrag und Lebensform, sie ist nicht rechtlich zu fassen.
Die sich so ergebende Eigenständigkeit der wandernden Prediger ermöglicht
die Sonderentwicklungen im Lauf der ersten Jahrzehnte.

Die Gemeinschaft kämpft zunächst um ihre Anerkennung in der
römischen Kirche, 1179 auch (nicht ganz erfolglos) in Rom, später auf
der unteren Ebene. Da der Ruf Christi nicht preisgegeben wird
(Apg. 5,29), kommt es zur Exkommunikation (1184), die aber auf der
unteren Ebene erst sehr langsam wirksam wird. Die Periodenscheide
zwischen einem um seine Standschaft in der römischen Kirche kämpfenden
und einem sich selbständig konsolidierenden Waldenscrtum
liegt auf dem Übergang zur zweiten Generation Anfang des 13.Jhs.
Voran geht eine innere Krise: einzelne Gruppen entfernen sich in der
Berührung mit verwandten Bewegungen stärker kirchenkritischen Gepräges
von der ursprünglichen Konzeption und werden darum ausgeschieden
(Wiedertäufer, lombardische Arme). Anderseits ertragen einzelne
Gruppen die nun unübersehbare Exkommunikation nicht mehr
und lassen sich von der Heterodoxie gewisser Sonderlehren (z. B. der
Verwerfung der Suffragia mortuorum) überzeugen. Als Waldes 1206/07
(nicht 1217) stirbt und als durch Diego von Osma die Hoffnung auf
eine neue, entgegenkommende Haltung des Papstes geweckt wird, entsteht
eine Bewegung zur Rückkehr in die römische Obedienz (Katholische
Arme u. a.). Der Stamm der Gemeinschaft läßt sich auf diesen
Weg nicht ein und bildet nun festere Verfassungsinstitutionen aus, die
den charismatischen Charakter der ersten Generation verblassen lassen,
die wesentlichen Elemente der alten Konzeption aber bewahren. Die
schon vorher übliche gemeinsame Beratung wird zum jährlichen Institut
entwickelt; hier werden zwei die Aktion für je ein Jahr leitende
„Rektoren" gewählt. Ferner werden zum Vollzug der „fractio panis",
die sich im Verlauf der Trennung vom Leben der Parochien aus dem
Motiv des geistlichen Notstands ausgebildet hat, eigene „Diener" bestellt
; diese Ordnung ist aber widerruflidi und bedeutet nicht die Aufrichtung
einer konkurrierenden Hierarchie; die ministri werden aus
Novizen und Anhängern bestellt. Weigerte sich die römische Kirche
nicht, so würde man die Sakramente von ihr empfangen. — Unter der
versdiärften Verfolgung (Albigenserkrieg) verlagert sich das südwestfranzösische
Aktionszentrum nach Osten; die neue Lage führt zu
einem Einigungsversuch mit den 1205 abgespaltenen lombardischen
Armen, der wohl von der jetzt kompromißbereiteren Stammgenossen-
sdiaft ausgeht. Er scheitert daran, daß der in der Lombardei inzwischen
übernommene kirchenkritische „Donatismus" weiter verworfen wird,
worin sich noch einmal die grundsätzliche Kirchentreue des genuinen
Waldensertums zeigt; die Grenze freilich, die das Jurisdiktionsredit
der Hierarchie an dem um des Heiles des Nächsten willen bei der Seele
Seligkeit verpflichtenden Predigtauftrag Christi hat, bleibt unverrückt.

Stadtland, Tjarko: Eschatologie und Geschichte in der Theologie
des jungen Karl Barth. Diss. Göttingen 1963. VIII, 163 S.

Diese Göttinger Dissertation analysiert den Zeitraum von 19C9
bis 1931 („Fides quaerens intellectum") bei Barth. Die Einlei tug
(S. 1—7) zeigt den systematischen Ort der Diss.: die Arbeit muß vom
Thema her ein Beitrag zum Gesamt Verständnis des jungen Barth
werden. Aber auch eine permanente Auseinandersetzung mit Bultmann
(und dessen Schülern) ist mit dem Thema gegeben. Man hatte um Bultmanns
Abhängigkeit vom jungen Barth immer gewußt, hier aber wird
quellenmäßig belegt, daß Bultmanns hermeneutischer Ansatz, die Begründung
der paulinischen Theologie auf deren Anthropologie, das Ent-
mythologisierungsprogramm und das Verhältnis zum AT in Barths
Römerbrief von 1922 längst vorweggenommen sind. Zugespitzt gesagt:
Bultmann hat als Systematiker nie einen Satz gesagt, den Barth nicht
schon vor ihm gesagt hätte. Die Arbeit will also auch gegenwartsbezogen
sein und ein Stüde mithelfen an der Arbeit, die seit einigen
Jahren unter dem Schlagwort läuft: Rückbesinnung auf die eigene
jüngste Vergangenheit. — Dabei befindet sich Verf. in ständiger Auseinandersetzung
mit der kaum übersehbaren Fülle an Literatur über
den jungen Barth, wobei er sich besonders breit mit der katholischen
Literatur auseinandersetzt (v. Balthasar, Küng, Lambinet, Volk,
Fehr, Ries u. a.) und sie (z. B. die Thesen von v. Balthasar) an den
rechten Ort setzt.

Der erste Teil der Arbeit (S. 1—42) analysiert den Zeitraum von
1909 bis 1920 (1. Römerbrief Kommentar von 1919). Der Zeitraum
von 1909—1915 wird nur der Vollständigkeit halber mitgenommen:
Nachweis der Abhängigkeit von Schleiermacher, Herrmann usw. Um
1915 beginnt eine zweite Periode (S. 12—42); aus den nun zahlreicher
fließenden Arbeiten ergibt sich folgendes Bild: Eine glatte analogia
entis, Ablehnung des dualistischen Denkens, „Gnadenmonismus" und
Apokatastasis pantoon, effektive osiandrische Rechtfertigungslehre,
Introvertierung der Pneumatologie, erhebliche Verkürzung der Christo-
logie und: die Auflösung der Esdiatologie in Ethik. Eine eigentliche
Eschatologie fehlt! Das hängt damit zusammen, daß
Barth in dieser Zeit in einer bisher nichtgeahnten Weise von J. T. Bede
abhängig ist (und eben nicht von den Blumhardts, die er literarisch
kaum kannte!). Im Anschluß an Beck denkt Barth heilsgeschichtlich.
Dabei ist Barth natürlich stark an der Kontinuität aller Geschichte
interessiert. Auch das eschatologisdie nyn und der Glaube lösen sich
in Ethik auf und letztlich ist die Theologie nur ein Verstehens-
problem. Ein Vergleich dieser Theologie mit den letzten Bänden
der „Kirchlichen Dogmatik" ist aufschlußreich (S. 15 5—163 Anhang):
Auch in KD IV 3, 1.2 gibt es — wieder wegen der zugrundeliegenden
Ontologie — keine Eschatologie mehr (was R. Bohren für den letzten
Predigtband Barths schon nachgewiesen hatte!). Das hat aber wieder
seinen Grund in der Prädestinationslehre von KD II, 2 und der Rechtfertigungslehre
von KD IV, 1 (Küng!); in KD IV, 1 z.B. — wo Oslander
nicht vorkommt! — bringt Barth eine der Tendenz nach osiandrische
effektive Rechtfertigungslehre.

1920 ist das Jahr der Wende (Overbeckstudien) und des völligen
Brudis mit der bisherigen Theologie. Die Analyse des Zeitraums von
1920 bis 1931 bildet das Hauptinteresse des Verf.s (S. 43—154). Die
Analysen enden eigentlich mit dem Jahr 192 5, aber zum Nachweis bestimmter
Thesen werden die „Christliche Dogmatik", 1927 und „Fides
quaerens intellectum", 1931 noch mitanalysiert. Breiter Raum wird der
Analyse der der Theologie zugrundeliegenden Ontologie gewidmet
(S. 43—65, 91 ff., 104 ff. u. ö.). Aus den vielen Thesen nur einiges: das
hermeneutisdie Vorverständnis erweist sich als das bekannte Bultmann-
sdie: allgemeines, mitgebrachtes Vorverständnis, das für die Analyse
jedes Textes gilt, mögliche Korrektur in der Begegnung mit dem
Text. Dies Vorverständnis schlägt sich in statischer und dynamischer
Dialektik (bei Barth sc.) nieder. Piaton, Kant und Kierkegaard sind
die philosophischen Paten. Dabei weist Verf. anhand der Explikation
des Problems von „Glauben und Denken" nadi. daß Barths
Anselmianismus schon im Römerbrief-Kommentar von 1922 anliegt
. S. 65—80: Weltverständnis, Anthropologie, Sündenlehre und
„Jesus und die Sünde". S. 81—103 : Gotteslehre und Christologie: Gerade
in der Überbetonung des Finitum non capax infiniti (Gotteserkenntnis
gibt es nur aus der Zeit-Ewigkeits-Dialektik), im Insistieren auf der
„Todeslinie" (= nunc aeternum, nunc resurrectionis usw.) liegt die
Gefahr einer theologia naturalis und einer analogia entis. Der spätere
Angriff auf E. Brunner hat in der Theologie des „Dialektikers" Barth
noch keinen Anhaltspunkt und Grund. (1931 liegt eben schon wieder
ein Wendepunkt!). Entgegen den Intentionen wird anthropologisiert.
Daß die Christologie arg verkürzt wurde und die Soteriologie von der
Eschatologie verschlungen wurde, ist immer gesehen worden.

Bei der Erörterung des Problems der Gesdiidite (S. 104—119) weist
Verf. nach, daß die Abwertung aller Geschichte nicht nur in der Zeit-
Ewigkeits-Dialektik begründet ist, sondern mehr noch in der Übernahme
von Kants formalistischem Geschichtsbegriff. Von d a aus
kommt es zur Kritik des heilsgeschichtlichen Denkens (entscheidender
Bruch mit dem 1. Römerbrief Kommentar von 1919!), zur Kritik an Rö
9—11 und am „Neuluthertum". — Die Eschatologie (S. 120—154) ist
die Bedingung der Möglidikeit der theologischen Rede überhaupt. Nach
der Erörterung der Methodenfragen, die Barth sich 1924 („Auferstehung
der Toten") selber vorlegt, wird das eschatologisdie nyn (nunc
aeternitatis usw.) analysiert anhand der Belege im 2. Römerbrief-Kommentar
(1922). Der Glaube ist die „unmögliche Möglichkeit" des
Gleichzeitigseins mit dem Christusgeschehen. Ansätze zu einer futurischen
Eschatologie und einer Betonung der Nachzeitigkeit Gottes