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Ausgabe:

1965

Spalte:

465-467

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Böcher, Otto

Titel/Untertitel:

Die alte Synagoge zu Worms 1965

Rezensent:

Böcher, Otto

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465

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 6

466

Sie spricht deshalb in erster Linie einen fachlich auf die
Kanonistik eingestellten Leserkreis an. Trotzdem lassen sich
aus ihr aber auch Gedanken von allgemeinerer Natur herausholen
, welche für Leser dieser Zeitschrift von Interesse sein
können.

Als in den Jahren nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert
der Codex Juris Canonici von 1917 als neues Gesetzbuch
der katholischen Kirche geschaffen wurde, bewegten sich die mit
der Gesetzgebung betrauten Theologen und Juristen auf Neuland.
An die Stelle des mittelalterlichen, aus den Vorlesungen Gratians
herausgewachsenen, durch systematisch geordnete Papstgesetze
verschiedener Epochen ergänzten Corpus Juris Canonici sollte
ein modernes Gesetzbuch treten. Es mußte deshalb äußerlich in
vielem der Technik der staatlichen Gesetzgebung angeglichen
werden, wie sie seit dem 19. Jahrhundert, beginnend mit dem
Code Napoleon, üblich geworden war.

Es ist erklärlich, daß bei diesem ersten Versuch, der im
ganzen — was ausdrücklich ausgesprochen werden soll — ein imponierendes
Gesetzgebungswerk zustande gebracht hat, manche
Fehler in der Systematik des Codex unterlaufen mußten. Deshalb
lag es nahe, sie im Zusammenhang mit der von Papst Johannes
XXIII. geforderten Modernisierung des kirchlichen Rechts aufzuzeigen
und so im Zuge der Reform eine bessere und klarere
Systematik herbeizuführen. Denn die Form beeinflußte den Inhalt
des Gesetzes, wie der Verfasser mit Recht hervorhebt. Es ist z. B.
nicht gleichgültig, ob ein Rechtssatz mit gleichem Wortlaut unter
die normae generales eingereiht ist, oder ob er sich im Zusammenhang
mit der gesetzlichen Regelung eines speziellen Gegenstandes
findet. Je nach dem ist seine Reichweite eine ganz andere.

Über diese rein formalen Fragen hinaus spiegelt die Abhandlung
aber auch einige erhebliche Wandlungen wieder, die
im Rechtsdenken der katholischen Kirche in den Jahrzehnten
seit dem Inkrafttreten des Codex eingetreten sind. So wird,
um einige besonders aktuelle Beispiele zu nennen, auf die Notwendigkeit
des Ausbaues der Rechtsstellung der Laien und des
Rechts der Konzilien, insbesondere des Ökumenischen Konzils,
und der Bischofskonferenzen hingewiesen. Interessant ist auch
der Gedanke, daß juristische Personen, wie Klöster, Universitäten
usw., ini Zukunft nicht mehr „Pfarrer" sein sollten, was
das geltende kirchliche Recht zuläßt. Das hat zur Folge, daß sie

sich durch einen ihnen nahestehenden Kleriker, etwa einen
Ordensangehörigen oder einen Theologieprofessor, als „Vikar"
vertreten lassen müssen. Die Abhandlung vertritt die Auffassung
, daß der Pfarrer selbst Priester sein müsse, sonst liege
ein Verstoß gegen das Strukturprinzip der Haupt-Leib-Einheit
der Kirche vor. Sollte dieser Gedanke sich durchsetzen, 6o
würde wiederum ein Stück mittelalterlicher Verrechtlichung der
Kirche in Fortfall kommen. — Zur Frage der Mischehe bringt die
Abhandlung über das Juristisch-Technische hinaus keine weiteren
Anregungen von materiellrechtlicher Natur.

Erlangen Hans L i e r ra a n n

Dalhoff, Erich: Synode und Kirchenleitung in der Evangelischen
Kirche im Rheinland (ZevKR 11, 1964 S. 89—110).

Frank, Johann: Zur Rechtswirksamkeit der kirchlichen Ruhens-
vorschriften (ZevKR 11, 1965 S. 280—307).

Grundmann, Siegfried: Verfassungsrecht in der Kirche des Evangeliums
(ZevKR 11, 1964 S. 9—64).

Grundmann, Walter: Sacerdotium und Ministerium (ZSavRG 80,

1963 S. 236—260).

Hageneder, Othmar: Studien zur Dekretale „Vergentis" (X. V,

7, 10) (ZSavRG 80, 1963 S. 138—173).
Heckel, Martin: Parität (Erster Teil) (ZSavRG 80, 1963 S. 261

—420).

Hofmeister, Philipp: Gefreite Abteien und Prälaturen (ZSavRG
81, 1964 S. 127—248).

Huizing, Petrus: Actus excludens substantiale matrimonii. Crisis
doctrinae et Codicis (Gregorianum 45, 1964 S. 761—794).

Köttgen, Arnold: Soziale Arbeit in Kirche, Staat und Gesellschaft;
zugleich Anzeige zweier ausgewählter Stellungnahmen in einem
Verfassungsstreit (ZevKR 11, 1965 S. 225—280).

Mora, Mihäly: Zur Rechtsgeschichte des außerordentlichen Eheprozesses
(ZSavRG 81, 1964 S. 249—263).

Muus, Hans-Peter: Kirchengut und öffentliche Sachen (ZevKR 11,

1964 S. 123—138).

Strigl, Richard: Für und wider eine sogenannte negative Totalsimulation
(MThZ 15, 1964 S. 205—215).

Weber, Werner: Zur staatskirchenrechtlichen Bedeutung des Recht»
der öffentlichen Sachen (ZevKR 11, 1964 S. 111—123).

Wen dt, Günther: Kirchenleitung und Synode (ZevKR 11, 1964
S. 65—88).

Z a 1 b a, Marcellinus: Circa ordinem rectum in usu matrimonii Pius XI
et Pius XII quid tradiderint (Gregorianum 45, 1964 S. 795—815).

Referate über theologische Dissertationen in Maschinenschrift

B ö c h e r, Otto: Die Alte Synagoge zu Worms. Phil. Diss. Mainz
1960. 154 S., 79 Abb.1.

Die Wormser Synagoge, 1938/1942 zerstört und 1959—1961 in
der alten Form wieder aufgebaut, ist die älteste Synagoge Deutschlands
und darüber hinaus Mitteleuropas überhaupt. Eine monographische Behandlung
dieses ehrwürdigen Gotteshauses hatte daher notwendigerweise
eine doppelte Aufgabe zu erfüllen: die Einordnung des Bauwerks
und seiner Ausstattung in die deutsche Kunstgeschichte und die Darstellung
seiner Geschichte im Zusammenhang der Schicksale des rheinischen
Judentums. Beides versucht die vorliegende Arbeit, die unter der
Leitung der Professoren F. Arens und E. L. Rapp entstanden ist und
1958 als Inauguraldissertation von der Philosophischen Fakultät der
Universität Mainz angenommen wurde.

Nach einem einleitenden Kapitel über den Zustand des Wormser
Synagogenkomplexes in der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit
wird die Entwicklung von der antiken zur mittelalterlichen Synagoge
skizziert. Was etwa die Synagoge von Worms und ihre verschwundenen
Seitenstücke in Mainz, Speyer, Köln und Frankfurt mit den Synagogen
der antiken Diaspora verbindet, sind nicht Raumtypus und Schmuckformen
, sondern nur die sich aus Liturgie und Geisteshaltung ergebenden
, durch Talmud und Mischna dem abendländischen Judentum vermittelten
Charakteristika: in der Mitte des Raumes der Almemor für
Lehr- und Predigtzwecke, an der Jerusalem zugekehrten Wand der
Aron — der Sdirank für die Torarollen — und der Widerstreit zwischen
zentraler (Almemor) und longitudinaler (Aron) Tendenz des Raumes.

Der erste Hauptteil der Abhandlung schildert an Hand der Bau-

') Im Druck erschienen in Worms: Stadtbibliothek 1960 (Der
Wormsgau, Beih. 18).

inschriften, anderer schriftlicher Zeugnisse und des kunstgeschichtlichen
Befundes, stets im Vergleich mit gleichzeitigen christlichen Bauwerken
des wormsisdi-pfälzischen Kunstbereichs und mit anderen Synagogen
Mitteleuropas sowie unter Verwendung der Ergebnisse dreier Grabungen
, die Baugeschichte der Wormser Synagoge. Im ständigen
Wechsel von Zerstörung und Wiederaufbau spiegelt sie getreulich die
Geschichte einer der ältesten und bedeutendsten deutschen Judengemeinden
im Auf und Ab von Verfolgung und Neubeginn.

Die erste, urkundlich gesicherte steinerne Synagoge in Worms
wurde im Jahre 1034 n. Chr. durch Jakob ben David und seine Gattin
Rahel gestiftet; an sie erinnern zwei hebräische Inschriften und einige
ergrabene Fundamentreste. Nach schweren Beschädigungen dieses Gebäudes
im Ersten und Zweiten Kreuzzug (1096 und 1146 n.Chr.) kam
es zu einem Neubau, der im Jahre 1174/75 n. Chr. eingeweiht wurde;
als nachmalige Männersynagoge blieb er bis 193 8 im wesentlichen unverändert
. Der zweischiffige, dreijochige Raum, dessen sechs Kreuzgratgewölbe
auf zwei hohen Säulen mit prächtigen Kapitellen ruhen, darf
mit seinen Sitznischen und mit dem reichgegliederten Nordportal zu
den besten Schöpfungen der Wormser Dombauschule gerechnet werden.
Im lahre 1185/86 n.Chr. entstand die romanische Badeanlage (Mikwe);
an die Nordseite der Synagoge von 1174/75 n. Chr. wurde 1212/13 n.
Chr. die Frauenschule angefügt, vermutlich das früheste Beispiel einer
einstützigen Halle in Deutschland. Nach den Zerstörungen im Pestjahr
1348/49 n. Chr. erfolgte der Wiederaufbau in gotischen Formen; die
Bautätigkeit der Renaissance, ausgelöst durch den Pogrom des Jahres
1615 n.Chr., steuerte eine Vorhalle und die 1623/24 n. Chr. vollendete
Raschi-Jeschiba bei. Nach der Stadtzerstörung durch die Franzosen im
Jahre 1689, die auch die Synagoge nicht verschonte, erfolgte ein neuerlicher
Wiederaufbau, dem die Synagoge ihre weithin barocke (1938/42
großenteils vernichtete) Ausstattung verdankte.