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Ausgabe:

1965

Spalte:

456-458

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Winklhofer, Alois

Titel/Untertitel:

Über die Kirche 1965

Rezensent:

Peters, Albrecht

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 6

456

Kemp, Peter: Die göttliche Krankheit im Sein (NZSTh 6, 1964
S. 360—375).

Schweitzer, Carl G.: Geist bei Hegel und Heiliger Geist (NZSTh 6,

1964 S. 318—328).
S t a 11 m a c h, Josef: Das Absolute und die Dialektik bei Cusanus im

Vergleich zu Hegel (Schol. 39, 1964 S. 495—509).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Ueberhorst, Karl Ulrich: Die Theologie Rudolf Rocholls. Eine
Untersuchung zum Universalismus der göttlichen Heilsveranstaltung.
Berlin-Hamburg: Luth. Verlagshaus 1963. 228 S. gr. 8° = Arbeiten
z. Geschichte u. Theologie d. Luthertums, hrsg. v. W. Maurer, K. H.
Rengstorf, E. Sommerlath, E. Wilkens u. W. Zimmermann. Bd. XI.
Kart. DM 24.80.

Rudolf Rocholl (1822—1905) hätte längst eine so gründliche
und liebevolle Würdigung verdient, wie sie in der hier
angezeigten, in Münster als Dissertation vorgelegten Untersuchung
unternommen wird. Der Verfasser hat das reiche Schrifttum
und zahlreiche Dokumente aus dem handschriftlichen Nachlaß
Rocholls benutzt.

In einer theologischen Besinnung klärt U. einführend die
Frage, warum der eigenwillige Theologe Rocholl, dessen Theologie
zunächst zu einer richtigen historischen Einordnung auffordert
, auch theologisches Interesse in Anspruch nehmen darf.
In Verbindung der drei Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses
sieht er den von Nicolai und Oetinger stark beeinflußten
Beitrag Rocholls zu einem „theologischen Realismus". Der Verf.
möchte sich durch die geschichtliche Einordnung, bei der er auf
die Klärung des Verhältnisses Rocholls zu Hegel und der philosophischen
Romantik leider verzichtet, den Weg zu einer
Prüfung der Rochollschen Theologie am Maßstab der Heiligen
Schrift bahnen.Die Darstellung der Theologie Rocholls nach der
„Lokalmethode", ausgehend von einer Lebensskizze, ist dem
Verfasser sehr gut gelungen. Es war berechtigt, Rocholls Nicolaistudien
näher zu erläutern. Leider, so möchte man sagen, war
Nicolai der erste lutherische Theologe, den Rocholl genauer
studierte. Er verstand Nicolai nicht vom „sola fide" Luthers her,
sondern von seiner Polemik gegen die spiritualistische Theologie
, die Nicolai im „Reformiertentum" sah. Rocholls Theologie
war schon fertig, ehe er überhaupt mit Nicolai seine Theologie
entwickelte. In Oetingers Theologie zog Rocholl das Geistleib-
lichkeitsprinzip an. Ist Rocholl auch in hohem Maße Eklektiker,
so lernt man durch Ueberhorst doch seinen eigenen spekulativen,
besonders geschichtsphilosophischen Beitrag kennen. In dieser
Besprechung verbietet es sich, diesen auch nur im Grundriß zu
schildern. Unvollständig scheint mir das sonst klare Referat über
Rocholls Theologie bei der Wiedergabe der Abendmahlslehre
Rocholls zu sein. Ich vermisse 1.) den Aufweis der Beziehung
zwischen Abendmahlsanschauung und Kirchenbegriff und die
theologiegeschichtlichen Parallelen, Scheibel, Löhe, Delitzsch,
besonders Schoeberlein. Was bedeutet es 2.), wenn Rocholl
meint, daß G. Perrone richtig urteile: „Die Lutheraner stimmen
mit den Katholiken im Bekenntnis der wirklichen Gegenwart
des Leibes und Blutes des Herrn in der Eucharistie überein"
(Einsame Wege, Neue Folge, 401)? Doch führt dieses erstaunliche
, theologiegeschichtlicher Deutung zweifellos dringend bedürftige
Urteil, das U. nicht anführt, uns schon zur theologischen
Kritik an Rocholl. — Mag man schon fragen, ob Ueberhorsts
theologiegeschichtliche Einordnung wirklich genügt, so muß
man zweifeln, daß der Verfasser überhaupt etwas Wesentliches
zur Kritik an Rocholl sagen möchte. Dazu einige Bemerkungen
, die zeigen sollen, wo die Rochollsche Theologie zur kritischen
Auseinandersetzung unbedingt herausfordert: Rocholls
Theologie ist durch und durch apologetisch orientiert. „Das
vernunftmäßige Postulat der Menschenwelt ist unterwegs auf
Vermittlung hin". „Die Anerkennung des Mittlers ist die Erfüllung
des logischen Postulats der Völkerwelt" (so auch der Verfasser
, 95 f.). Diese apologetische Theologie erwächst aus einer
Anthropologie (85 f.), von der aus, ohne daß das Analogieproblem
jemals gründlich angegangen würde (99, bes. 120 f.),
die Gottesfrage beantwortet wird. Die Anthropologie wird
nachträglich theologisch begründet. Der Satz: „Der Mensch ist

das in geschöpflicher Weise, was Gott als der Schöpfer ist" wirkt
sich nicht mehr als Korrektiv aus. Damit hängt es auch zusammen
, daß Sünde und Kreuz, Wort und Predigt eine geringe
Rolle 6pielen, Christologie als Rekapitulation und Abendmahl
aber überbetont werden. Der Verf. stellt nur anmerkungsweise
(S. 135) fest: „Rocholl wendet sich gegen die Rechtfertigungslehre
als Materialprinzip der Dogmatik." Nur zweimal findet
er die Rechtfertigung als forensischen Akt bei Rocholl erwähnt
! Schade, daß der Verf. diese Beobachtung nicht zum Ausgangspunkt
einer kritischen Würdigung nimmt. Nur ein Theologe
, der über die für das Sakrament konstitutive Bedeutung
des Wortes kaum etwas zu sagen hatte, konnte wohl eine so
phantastische Äußerung wie diese tun: „Der ohne den Genuß
des Nachtmahles Sterbende muß sich der Leiblichkeit des Herrn
noch assimilieren,während der in der Eucharistie gespeiste Sterbende
sofort nach dem Tode dem Leibe Christi ähnlich ist"
(191). Der Verf. fühlt sich durch ein solches Urteil auch befremdet
. Aber er scheint R. zuzugestehen, daß die Rechtfertigungslehre
als Formalprinzip der Kirchenlehre das Altarsakrament
entwerte und das Leibliche somit gering einschätze.
Rocholls Verständnis der Rechtfertigung ist zu widersprechen!
Seine natürliche Theologie ist völlig zu entbehren für das Verständnis
des „Proprium" des Sakraments. Besonders Rocholls
Deutung der Konfessionen verrät eine enorme Ferne von Luther
(bes. 202 f.). Wie bei Löhe findet man auch bei R. den theologisch
unhaltbaren Satz: „So ist die evangelische Kirche die Mitte
der Konfessionen". Man hat den Eindruck, daß R. auf dem
Boden des „völlig gesicherten Schriftinhalts" seine Theosophie
als neuen Konfessionalismus aufbauen will. Die persönliche
Lebensentscheidung Rocholls imponiert, nicht wegen des Anschlusses
an die Breslauer Altlutheraner, sondern wegen der
vorbildlichen Einsicht in das Wesen der staatsfreien Kirche. Hier
hat sich Rocholls „Universalismus" nicht als synthesefreudiges
Prinzip durchgesetzt. Unsere Kritik an Rocholl, zugleich unsere
Frage an den Verfasser, ob ihr nicht hätte Raum gegeben
werden müssen, will nicht besagen, daß wir das Anliegen
Rocholls nicht richtig zu schätzen wüßten. Viel Brauchbares hat
Rocholl gegen die Sucht, Inhalt und Form, Natur und Geist aus-
einanderzureißen, gesagt. Der Verfasser bezeichnet diese Tendenz
als „theologischen Realidealismus". Der Apologet Rocholl
bewegt sich zwischen dem idealistischen und dem materialistischen
Feldlager. Es ist nicht zu verkennen, daß im theosophischen
Lager, zu dem sich Rocholl rechnete, auch davor gewarnt wurde,
sich die höhere Leiblichkeit in Analogie zur irdischen Leiblichkeit
zu denken (z. B. J. Hamberger). Jedoch in der Annahme, die
Gottebenbildlichkeit werde dem Menschen des neuen Seins
schlechthin und vorbehaltlos zugeschrieben, mit der These, das
Neue liege bereits im Alten und entwickle sich nun, ohne ernstlichen
Widerstand zu finden, bis zum Tage der Auferstehung,
verfielen die theosophischen Denker letzten Endes dem Immanenzdenken
ihrer Zeit, dem sie nur ein heilsgeschichtliches
Gewand gaben. Es ist das Verdienst der klaren Übersicht des
Verfassers, daß beim Leser solche kritischen Erwägungen nicht
ausbleiben können.

Strasbourg Friedrich Wilhelm Kantzenbach

Winklhofe r, Alois: Über die Kirche. Das Geheimnis Christi in
derWelt. Frankfurt/Main: J.Knecht [1963]. 350S. 8°. Lw. DM 16.80.

Der Passauer Dogmatiker Alois Winklhofer sucht in dieser
flüssig geschriebenen Darstellung die Einsichten der modernen
katholischen Theologie über das „Mysterium Kirche" einem
„breiteren theologisch interessierten Publikum" nahezubringen
(S. 9) und sie zugleich in die überkommene kirchliche Schau
hineinzustellen. Nach einer knappen Einführung in das Thema
(S. 11—27) entfaltet er das katholische Kirchenverständnis unter
den Stichworten: Gemeinde der Erlösten (S. 28—67), das neue
Gottesvolk (S. 68—91), die neue Menschheit (S. 92—117), die
Braut des Lammes (S. 118-132), Leib Christi (S. 13 3-164).
Hierdurch möchte er den Leser, von außen kommend, immer
näher an das Herz des Kirchenbegriffes heranführen, welches
nach der Enzyklika Mystici Corporis im paulinischen Begriff des
Leibes Christi seine adäquateste Bezeichnung fand (vgl. S. 20.