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Ausgabe:

1965

Spalte:

446-447

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Duthilleul, Pierre

Titel/Untertitel:

L' évangélisation des Slaves 1965

Rezensent:

Döpmann, Hans-Dieter

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 6

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Germaniae Historica, ein sehr bedeutender Anteil zukommt.
Überdies ist, wie gerade Grundmann kürzlich gezeigt hat1, dem
Mittelalter das Häresie-Problem schon durch die Exegese des
Paulus-Wortes „Oportet et haereses esse" (l.Kor. 11,19) zwar
immer präsent gewesen, doch hat es die Häresie nur als ein von
Gott zugelassenes Übel gesehen, dessen Sinn darin bestand,
Gelegenheit zur besseren Erklärung der Wahrheit und zur Bewährung
der Rechtgläubigen zu geben. So heben sich die häretischen
Bewegungen, seit mit dem 11. und vor allem dem
12. Jahrhundert der „religiöse Eigensinn aus Ungenügen an der
Kirche", der „Drang, auf eigenen Wegen christlich zu leben",
weitere Kreise — aus allen Ständen — erfaßt, als eine in sich
freilich keineswegs einheitliche Größe von der offiziellen Kirche
ab; sie sind aber, obwohl von der Kirche zum Teil auch bewußt
abgestoßen, aus den gleichen sittlichen Bedürfnissen erwachsen,
wie die religiösen Bewegungen innerhalb der Kirche selbst.

Daher hat Grundmann, Verfasser eines bedeutsamen Buches
über „Religiöse Bewegungen im Mittelalter" (1935, 19612), mit
gutem Grund die Ketzergeschichte vor den breiten Hintergrund
der religiösen und geistigen Bewegungen des Mittelalters gestellt
, auch wenn er diesen der Anlage seines Beitrags entsprechend
nicht den Raum geben konnte, den sie gleichzeitig für
das Hochmittelalter in Arno Borsts Beitrag zur Propyläenweltgeschichte
fanden. Damit ist zugleich gesagt, daß er die mittelalterlichen
Häretiker weder im positiven, noch im negativen
Sinne als Vorläufer der Reformation sieht; selbst die bis in die
Neuzeit überlebenden Waldenser sind ihm „die beständigste nur
den Weisungen der Evangelien folgende Sekte des Mittelalters".

Er erfaßt alles, was im Mittelalter mit dem Etikett der „Häresie
" versehen wurde, von den vereinzelten Häretikern des
Frankenreiches — wobei zu den Bonosianern in Bayern vielleicht
auf H. Zeiß, Zs. f. bayer. Landesgesch. 2, 1929, 354-356, zu
verweisen gewesen wäre — bis zu den letzten Ausläufern der
spiritualistischen Richtungen im Spätmittelalter. Er charakterisiert
die relative Unbekümmertheit des 9. Jahrhunderts gegenüber
der gelehrten Irrlehre am Beispiel des Johannes Scottus,
dessen Schriften erst 1210 verurteilt wurden, und die geschärfte
Wachsamkeit späterer Zeit an den Ketzerprozessen Bernhards
von Clairvaux gegen Abaelard und Gilbertus Porretanus. Auch
die politischen Verflechtungen werden ins Auge gefaßt, wenn
Reformbewegungen und Gregorianismus Simonie und Laieninvestitur
als Häresie bekämpfen oder wenn gar im Spätmittelalter
der Ketzerprozeß zum politischen Kampfmittel der Parteien
wird. Im Mittelpunkt aber stehen naturgemäß, nachdem die aus
dem Ungenügen an der Amtskirche geborenen Bewegungen des
11. Jahrhunderts durch die Reformbewegung nochmals überwunden
wurden, die im Zeichen evangelischen Lebens und apostolischer
Armut auftretenden Strömungen des 12. Jahrhunderts,
von denen die aus dem Osten gekommenen Katharer mit ihrem
radikalen Dualismus schließlich eine Art „Gegenkirche" bildeten
und „eine heilsame Krise und Wandlung der Kirche" auslösten
; sie erlagen der kirchlichen Gegenwehr — in Predigt und
Ketzerkreuzzug — schließlich um so mehr, als die Kirche ihre,
wie am Beispiel der Waldenser, Humiliaten, Franziskaner und
Dominikaner gezeigt wird, zwiespältige Haltung gegenüber der
Armutsbewegung überwand und damit neue Kräfte gewann.
Über die Geschichte Joachims von Fiore und der Franziskaner-
spiritualen, die der Kirche neue Probleme schufen, aber auch
neue Kräfte zuführten, über Wiclif, Hus und die Hussiten, deren
„Sekte" sich sogar als „eine Art Volks- und Landeskirche" behaupten
konnte, ohne freilich das Gefüge der mittelalterlichen
Papstkirche zu durchbrechen, kommt Grundmann dann zum Endpunkt
der mittelalterlichen Ketzergeschichte, zu Luther, dessen
Häresie zum Glauben einer eigenen Kirche wurde.

Nie auf Deutschland allein beschränkt, sondern das gesamte
Abendland und bei der Darstellung der Katharer auch den griechischen
Osten einbeziehend, fußt Grundmanns Darstellung auf
jahrzehntelangen eigenen Forschungen; sie verbindet in einer

') H. Grundmann, Oportet et haereses esse. Das Problem der
Ketzerei im Spiegel der mittelalterlichen Bibelexegese, Arch. f. Kult.
Gesch. 45, 1963, 129—164.

nur bei dieser Kennerschaft möglichen Weise größtmögliche
Kürze mit äußerster Präzision und Reichhaltigkeit des Details.
Die Fußnoten, nicht nur auf die Literatur, sondern immer wieder
auch unmittelbar auf die Quellen verweisend, geben wertvollen
Aufschluß über den Stand der Forschung. Dabei zeigt sich
Grundmann bei allem liebevollen Einfühlungsvermögen, das
auch in den schwärmerischen Bewegungen noch den Willen zu
eigener Verwirklichung des Christentums zu würdigen versteht,
getragen von jener Nüchternheit und Sachbezogenheit, die den
Historiker vor Überspitzungen jeder Art zu bewahren vermag.
Sein Beitrag wird daher dem Fachmann als Ausgangspunkt
weiterer Arbeit sowie dem Studierenden und jedem Gebildeten
als ebenso fesselnde wie umsichtige Einführung dienen können.

Tübingen HeinzLöwe

Dnthilleul, P.: L'cvangclisation des slaves. Cyrille et Methode.
Tournai: Desclee & Cie [1963]. V, 201 S. gr. 8° = Bibliotheque de
Theologie, Serie IV, Histoire de la Theologie, sous la direction de
G. Jouassard, M. Richard, R. Aubert, Vol. 5. Kart. bfr. 200.—.

Zur 1100-Jahrfeier des Beginns der Slavenmission von
Kyrill und Method erschien diese katholische Arbeit, in der, ähnlich
dem Werk von Fr. Grivec1, ein zusammenfassender Überblick
über die Slavenmission geboten und das gesamte Quellenmaterial
erneut gründlich überarbeitet wird. Verf. geht von der
Feststellung aus, daß nur wenige der erhaltenen Quellen als
historisch zuverlässig gelten können. Das Leben von Kyrill und
Method ist uns nur in der Darstellung hagiographischer Legenden
bekannt, und folglich gründet sich unsere Kenntnis ihres Lebenswerkes
weithin auf das Vertrauen, das wir diesen Legenden beimessen
. Allerdings werden eine Reihe wichtiger Aussagen durch
zuverlässigere Dokumente bekräftigt. So leitet Verf. seine Untersuchung
mit einer eingehenden Besprechung der wichtigsten
Quellen ein, wobei er betont zwischen den eigentlich historischen
Dokumenten (Documents proprement dits) und den hagiographi-
schen Legenden unterscheidet. Bei ersteren greift er erneut die
Frage nach der Authentizität der uns nur durch Vita Methodii
c. 8 bekannten Bulle „Gloria in excelsis" von Papst Hadrian II.
an die Fürsten Rostislav, Svjatopluk und Kocel auf, die er im
Gegensatz zu den neueren Arbeiten von Dvornik und Grivec
bezweifelt: Sollte dieses Schriftstück wirklich existiert haben,
dann sei es wohl verlorengegangen und vom Verfasser der Vita
Methodii nach eigenen Vorstellungen unter Benutzung der Bulle
„Industriae tuae" von Johannes VIII. rekonstruiert worden. Dagegen
könne das Schreiben „Quia de zelo fidei" von Papst
Stephan V. keineswegs als Ganzes in Frage gestellt werden, wohl
aber sei die Passage über Bischof Wiching später interpoliert
worden. Während Verf. bei den Legenden besonders der Vita
Constantini größeren Wert beimißt, sieht er in der Vita
Clementis in erster Linie ein antilateinisches, polemisches Werk,
in dem Method als Verteidiger der durch die Einführung des
Filioque bedrohten Orthodoxie erscheint.

Das Wirken der beiden Slavenlehrer wird in gjnem breiten
Rahmen entfaltet. Unter weitgehender Berücksicntigung aller
zeitgechichtlichen Zusammenhänge werden ihre Jugendzeit und
die Anfänge ihres Wirkens behandelt. Während Kyrills Sendung
zu den Arabern und zu den Chazaren lebte Method zurückgezogen
auf dem bithynischen Olymp, den er vermutlich nicht vor
dem Beginn der Slavenmission verließ. Im Zusammenhang mit
Kyrills Auffindung der Klemensreliquien in Cherson ist ein
ganzes Kapitel den Legenden vom Martyrium des Klemens gewidmet
, die entstanden, nachdem ihn erstmals Rufinus als „Märtyrer
" bezeichnete. Als dann im 6. Jhdt. die Kunde von seinem
Martyrium nach Cherson gelangte und dahingehend erweitert
wurde, daß er dort begraben sei, habe man wahrscheinlich ein
bei Cherson befindliches Grab mit dieser Legende in Verbindung
gebracht. Von den dort gefundenen Reliquien wurde Kyrill
allerdings vermutlich nur ein Teil überlassen.

Es folgt ein Überblick über die Siedlungsgebiete der slavi-
schen Stämme im 7. Jhdt. und, an Hand der verfügbaren Quellen,
eine Darstellung der slavischen Religion, die, wie Verf. meint,

') Konstantin und Method. Lehrer der Slaven. Wiesbaden 1960.