Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1965

Spalte:

443-444

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Dorotheus Gazaeus, Oeuvres spirituelles 1965

Rezensent:

Altendorf, Hans-Dietrich

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

443

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 6

444

Die Überschrift des zweiten Kapitels: „Christologie asyme-
trique" (17—49) nimmt einen von Florovsky geprägten und
auch auf den Kirchenvater angewandten Begriff auf. An Hand
der von der nachchalkedonensischen Entwicklung herauskristallisierten
Spezialbegriffe, ferner einzelner Daten des Lebens Jesu
(Schrei am Kreuz, Tod, Verklärung) und ihrer Ausdeutung
durch den Damaskener wird nachgewiesen, wie stets dem göttlichen
Prinzip innerhalb der Zweinaturenkonzeption die „Priorität
" zuerkannt wird, dh. aber hier nicht das Ausgleichsprinzip
des „Scholastikers" konsequent verfolgt, sondern die „Asymmetrie
" in Kauf genommen wird. Die Christologie kulminiert
nämlich in dem Transfigurationskonzept, mit dem denn auch
dieses Kapitel abschließt, dessen Schlußzeilen kühn die Ansicht
bekunden, es könne auch für die Klärung der Probleme moderner
Christologie einen Beitrag leisten. — Wieso die Autorin
solche Hoffnung hegen kann, erklärt das dritte Kapitel (50—63)
„Christologie de la tradition". Linter Ablehnung des Vorwurfes,
Johannes von Damaskus sei Enzyklopädist oder reiner Kompilator
, wird 6eine „Originalität" darin gesehen, „de transmettre
fidelement la connaissance du Christ des origines" (62). Der
Prozeß der Ausreifung und Vertiefung des christologischen
Dogma6 von Chalkedon als Selbstbesinnung der Kirche findet
in Johannes Damascenus „une expression plus pleine, plus totale
de sa premiere vision" (51). Eben weil er immer die Gottheit
in Christus betont, befindet sich Johannes innerhalb jener
Tradition, die auf die Offenbarung Christi im Evangelium
zurückführt (59): er ist darin dogmatische Autorität, weil unter
den Vätern der „kirchlichste" (62). Vor allem steht seine
Christologie im engsten Kontakt mit jenem inneren Leben der
Kirche, das sich in Predigt und Hymnus manifestiert. Das wird
in dem Schlußkapitel entwickelt, das den bezeichnenden Titel:
„La contemplation du Christ" (64—103) trägt. Es bringt Predigtbeispiele
, z. T. ganz, z. T. in abgekürzter, in auf die christologischen
Stellen sich konzentrierender Gestalt. Dazu sind entsprechend
dem liturgischen Zyklus, zu dem die jeweilige Predigt
gehört, Hymnen ausgewählt, wobei es die Autorin entsprechend
obiger Grundposition für unwesentlich hält, ob solcher Hymnus
nun Johannes von Damaskus oder Johannes monachos zuzuschreiben
ist (64). Dadurch wird zugleich dem Leser unmißverständlich
deutlich gemacht, als Exponent welcher Kirche Johannes
von Damaskus Künder des christologischen „Ursprungs"
ist — die griechisch-orthodoxe!

Es ist eigentlich schade, daß die kluge Verfasserin mit dieser
Grundposition ihre Untersuchung belastet hat. In allen
Einzelfragen beweist sie ihre Orientiertheit mit den Forschungsproblemen
und der wissenschaftlichen Sekundärliteratur, und
manche kritische Bemerkung zur allgemein dogmengeschichtlichen
Darstellung (Harnack, Seeberg) würde man ihr sonst
leichter abnehmen.

Göttingen CarlAndrcstn

Dorothee de Gaza: Oeuvres spirituelles. Introduction, Texte Grec,
Traduction et Notes par L. R e g n a u 1 t et J. de P r e v i 11 e.
Paris: Les Editions du Cerf 1963. 575 S. 8° = Sources Chretiennes,
92. NF 42.—.

Diese Ausgabe der geistlichen Schriften des Klostervorstehers
Dorotheus, der um die Mitte des 6. Jahrhunderts in der
Nähe des südpalästinensischen Gaza wirkte, begrüßt man mit
Freude: unter den vielen Gaben, die uns die so tatkräftig geleitete
Sammlung der Sources Chretiennes in rascher Folge vorlegt
, ist sie besonders willkommen. Die Texte waren bisher
meist nur in alten Ausgaben vorhanden, die kein Bild der Überlieferung
boten. Jetzt besitzen wir sie in einer handlichen
und zuverlässigen Edition und Übersetzung. Es sind: zwei
spätere Vorreden, die Lebensbeschreibung seines Schülers
Dositheus (wenigstens mittelbar auf Dorotheus zurückgehend),
17 „Didaskalien", 16 Briefe und eine Sentenzensammlung. Der
Text beruht auf 9 ausgewählten Handschriften; die Didaskalien
6ind in der im Pariser Codex Coislinianus 260 gebotenen
Reihenfolge gegeben (einer anderen als der in Mignes
Abdruck!). Die gesamte handschriftliche Bezeugung wird von
der in Aussicht gestellten abschließenden kritischen Ausgabe

verarbeitet werden; soweit sich aus dem vorliegenden kritischen
Apparat ersehen läßt, ist der Text recht sicher überliefert
, und man wird nicht mit wesentlichen Veränderungen
zu rechnen haben. Man fragt sich freilich, weshalb man nicht
die umgekehrte Reihenfolge eingeschlagen und der großen Ausgabe
eine kleine ohne Apparat hat folgen lassen; diese würde
dann merklich billiger sein, und weitere Leserkreise könnten
sie sich leisten. Denn der Inhalt ist außerordentlich wertvoll:
frühere Jahrhunderte wußten, welche Schätze aszetischer und
allgemein christlicher Weisheit im Werke dieses Mönchsklassikers
verborgen 6ind; die nicht wenigen Ausgaben und Übersetzungen
bezeugen es.

Wir werden in die Welt des palästinensischen Mönchtums
der justinianischen Zeit geführt: Dorotheus lebt zunächst im
Kloster des Seridos, in dem die eigentlichen geistlichen
Herrscher die beiden „Alten" Barsanuph und Johannes waren,
von dem aus er eine reiche seelsorgerliche Tätigkeit ausübte,
die ihren Niederschlag in unserem Schriftenkorpus fand, das
sein Denken und Tun eindrucksvoll und lebendig widerspiegelt
(über Entstehung, Umfang und Überlieferung der
Sammlung unterrichten die Herausgeber in der Einleitung;
möglicherweise wird sich der Nachlaß noch vermehren lassen).
Dorotheus lebt ganz in der Atmosphäre der ägyptischen Mönchsväter
, die er häufig anführt, aber auch die geistlichen Erkenntnisse
von Männern wie Gregor von Nyssa und Evagrius
Pontikus werden für die mönchische Frömmigkeit fruchtbar
gemacht. Die Gedanken kreisen um Demut, Liebe, Gehorsam,
Seelenbeobachtung und -führung (in der Psychologie ist nicht
wenig stoisches Gut verwertet); eine Fülle feiner Betrachtungen
wird dargeboten, in denen sich tiefer christlicher Ernst
und unablässiges Streben nach Vervollkommnung und Überwindung
noch anhaftender Mängel kundtun. Das Leben des
Einzelnen ist andauernder Selbstprüfung unterworfen. Leicht
ließe sich aus den Traktaten eine Reihe trefflicher Aussprüche
und Formulierungen zusammenstellen, doch man vertiefe
sich selbst in den Unterricht, den ein erfahrener Seelsorger
seinen Mönchen spendet. Der umsichtigen Edition der Herausgeber
sollte eine besinnliche Lektüre auf Seiten der Leser
folgen. Viel Vergessenes wäre schon wieder entdeckt, wenn
die christliche Theologie sorgsamer auf die Erfahrungen der
Väter achten würde.

Die Texte sind mit einer fortlaufenden Paragrapheneinteilung
versehen, Zitate, Quellen, Anspielungen, Parallelen sind gewissenhaft
nachgewiesen, die ausführlichen Register sind genau. Die Einleitung
über die Doctrine spirituelle hätte knapper ausfallen können. Zu
Didaskalie 16 sei bemerkt: das dort von Dorotheus erläuterte Tro-
paion, — dem Worte von Gregor von Nazianz zugrunde liegen und
das Petrides rekonstruiert hat, — findet sich in mehreren Handschriften
in einem Wortlaut, der Petrides' Rekonstruktionsversuch fast völlig
bestätigt (O.Strunk in: Late Classical and Mediaeval Studies in
Honor of A. M. Friend, Jr. [Princeton 1955] 83). — S. 468, § 172, Z. 1
ist natürlich zu lesen: Ivcö/icr.

Möchte der wertvolle Band seine ernsthaften Leser finden.

Tübingen Hans-Dietridi Altendorf

Gastaldell i, Ferruccio: Osservazioni per un profilo letterario di
San Gregorio Magno (Salesianum 26, 1964 S. 441—462).

St ei die, Basilius: „Ich war krank, und ihr habt mich besucht"
(Mt 25, 36). II, 1 Das alte Mönchtum und die Krankheit (Erbe und
Auftrag 41, 1965 S. 36—46).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, hrsg. von K. D.
Schmidt u. E.Wolf, Band 2, Lfg. G (l.Teil): Ketzergeschichte
des Mittelalters. Von Herbert Grundmann. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht [1963]. IV, 66 S. gr. 8°. Kart. DM 8.80.

Der Gedanke, die Ketzergeschichte des Mittelalters nicht
in den einzelnen, chronologisch geordneten Lieferungen des
Handbuches aufgehen zu lassen, sondern sie gesondert zu behandeln
, rechtfertigt sich schon durch die reiche Ernte, die die
jüngere Forschung auf diesem Gebiete eingebracht hat und an
der H. Grundmann, dem derzeitigen Präsidenten der Monumenta