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Ausgabe:

1965

Spalte:

433-437

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hummel, Reinhart

Titel/Untertitel:

Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium 1965

Rezensent:

Trilling, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 6

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Sehr bemerkenswert ist u. a., daß der schwierige Vers 2, 22 sich
spielend von einem Sprichwort her erklärt, daß in reinerer
Form im Achiqar-Roman erhalten ist.

Die zweite neutestamentliche Abhandlung betrifft avv-
cuio&vjjoxetv. In erster Linie werden lexikographische Ergänzungen
zu den Verben mit avv- gegeben, dann folgt eine
Untersuchung des Wortes bei Nikolaos von Damaskos (Athen.
Deipn. 6, 249 b), und O. weist auf den militärischen Charakter
hin. Einiges davon ist bereits in die neueren neutestamentlichen
Lexika eingegangen.

Zwei Vergil-Studien folgen; die erste, ein 1930 gehaltener
Vortrag, ein Enkomion, das vor allem die Georgica feiert: sie
seien ein Bekenntnis der Liebe und des Glaubens „in der
tiefen Herzensangst der Zeiten". Hier spricht der Autor ebenso
als fpMöQCüfiouog wie in der Vorlesung des gleichen Jahres
über Vergil in seinem Verhältnis zu Cicero. Zur Sache selbst
Stellung zu nehmen (ob Vergil tatsächlich an zwei Stellen
auf Cicero anspielt), bin ich nicht kompetent. Das Ergebnis:
Vergil verabscheute Cicero. Der älteste Aufsatz zu Hirtius
(193 7) sucht die Stellung des Autors zwischen dem Bellum
Gallicum und dem Bellum Civile durch einige scharfsinnige
Folgerungen und schon bekannt gewordene Konjekturen
genauer zu präzisieren. Es folgt das schöne Enkomion auf
A. E. Housman (1938), den Cambridger Latinisten (1859—
—1936), ein echtes Stück dankbarer und ehrlicher Rhetorik.
„Horaz und Maecenas" (1939) sieht auf originelle Weise Horaz
von Maecanas her: ,,On peut dire que toute l'oeuvre d'Horace
gravite autour de lui" mit Ausnahme weniger an Augustus gerichteter
Stücke, der möglicherweise eifersüchtig darüber geworden
sei, daß sich der Dichter so viel mit Maecenas befaßte.
Von religionsgeschichtlichem Interesse ist die kleine Studie,
über die Annahme des Augustus-Titels durch Octavius (1944),
die durch die neueren Arbeiten von Alföldi zur kaiserlichen
Bildsymbolik noch ergänzt werden kann. Die Verbindung der
bekannten Notiz im Mon. Anc. mit Cass. Dio 5 3, 16 und Sueton
Aug 7 ergibt in größerem Zusammenhang, daß die Erinnerung
an einen keltischen Devotionsakt, der in die römische Art der
Frömmigkeit sehr gut paßte, dem Herrscherkult eine neue
Nuance gab: ein Devotionsakt, der zum Ausdruck brachte, daß
man bereit sei, mit und für Augustus zu sterben. Nach einem
kleinen kunstgeschichtlichen Ausflug in das Rathaus von
Lausanne beschäftigt sich der letzte Aufsatz mit Textfragen
zu Lucretius. Er stammt aus dem Museum Helv. von 1953 und
enthält u. a. einige kritische Bemerkungen zum Text von Diels.
Am interessantesten ist die Bewältigung der alten crux 6, 1135.

Wenn man immer wieder nach dem Wert solcher Sammlungen
verstreuter, oft an schwer zugänglichen Stellen zu findenden
Aufsätze gefragt wird, so ist eins sicher: sie haben nur
dann einen Wert, wenn die Aufsätze selbst und ihr Inhalt 6ie
rechtfertigen. Daß dies hier der Fall ist, ist der beste Dank,
der den Herausgebern in Lausanne gesagt werden kann.

Speyer Carl Schneider

Hammel, Reinhart: Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und
Judentum im Matthäusevangelium. München: Kaiser 1963. 167 S.
gr. 8° = Beiträge z. evang. Theologie, Theologische Abhandlungen,
hrsg. v. E.Wolf, Bd. 33. DM 11.-.

Es ist nicht ohne Reiz, zu sehen, daß zur Theologie des
Matthäusevangeliums mehrere Arbeiten etwa zu gleicher Zeit,
aber unabhängig voneinander, entstanden1. Das Thema lag
offensichtlich „in der Luft", nachdem vor allem H. Conzel-

') Vgl. dazu P. Nepper-Christensen, Das Matthäusevangelium,
ein judenchristliches Evangelium? Aarhus 1958; W. Trilling, Das Wahre
Israel. Studien zur Theologie de6 Matthäusevangeliums, 1. Aufl.,
Leipzig 1959 — jetzt 3., umgearbeitete Aufl., München 1964; G.
Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit. Untersuchung zur Theologie des
Matthäus, Göttingen 1962 (im WS 1958/59 als Habilitationsschrift
angenommen — vgl. zur „Gleichzeitigkeit" das. S. 15 f., Anm. 5); die
rezensierte Arbeit; etwas früher liegen die Arbeiten von G. Bornkamm
und seinen Schülern G. Barth und H. J. Held, die in dem Sammelband
vereinigt sind: Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium,
Neukirchen 1. Aufl. 1960 (2. Aufl. 1962).

mann für Lukas und W. Marxsen für Markus vorangegangen
waren. Der Reiz liegt darin, daß durch die voneinander unabhängig
geschehene Ausarbeitung einerseits die Übereinstimmung
im literar- und redaktionskritischen Verfahren auf weite Strecken
hin, andererseits die Verschiedenheit der theologischen Leitbilder
oder Ergebnisse deutlich zutage tritt. Beide Erscheinungen
haben ihren Wert für die neue Lage in der Erforschung des
ersten Evangeliums, ja sind sehr charakteristisch für sie. Die
behandelten Texte und Themen sind weithin die gleichen, ihre
Bewertung und theologische Einordnung ist zum Teil radikal
verschieden.

Hummel hat sich zum Ziel gesetzt, die Auseinandersetzung
zwischen Matthäus bzw. der hinter ihm stehenden Kirche und
dem Judentum, die das ganze Evangelium durchzieht, „in möglichst
umfassender Weise darzustellen" (Seite 9) und darin
etwas höchst Eigentümliches, wenn nicht das Charakteristische
der Theologie des Matthäus zu erfassen. „Die Gliederung
der Arbeit ist durch die Themenkreise bestimmt, die die Auseinandersetzung
zwischen Kirche und Judentum bei Matthäus
beherrschen: Gesetz, Tempel und Opferkult, Messianität Jesu
und schließlich die Existenz der Kirche und ihr Verhältnis zum
Judentum" (Seite 10). Vorangestellt ist diesen vier Stoffgruppen
eine kurze Darstellung der Kirche des Matthäus und des zeitgenössischen
Judentums, damit der geschichtliche Ort des
Matthäus „möglichst genau bestimmt" werde und um „der
Gefahr falscher Fragestellungen zu entgehen" (Seite 10). Dieser
methodische Ansatz birgt allerdings die Gefahr in sich, sich im
Zirkelschluß zu bewegen, da ja beides, Thematik und geschichtlicher
Ort, aus den gleichen Texten erschlossen werden muß
und eine kleine Ungenauigkeit in der Schilderung der geschichtlichen
Situation von verhängnisvollen Folgen für die
Beurteilung der Einzelthemen werden kann. Kann sich Hummel
auch einer weitgehenden Zustimmung in diesem ersten Teil
sicher sein, so gibt es doch auch problematische Behauptungen.
Dazu gehört vor allem, daß sich nach ihm die Kirche des Matthäus
noch nicht vom jüdischen Synagogenverband gelöst habe.
„Sie befindet sich im Stadium der Konsolidierung eines ausgeprägten
Eigenlebens, ohne sich jedoch vom jüdischen Verband zu
lösen" (Seite 33). Sie erkennt „die Lehrautorität des Rabbinats
im Prinzip an.. ." (Seite 32). Ohne auf das exegetische
Fundament einzugehen, erhebt sich die Frage, ob das nach
unseren anderen historischen Kenntnissen für die von Hummel
angenommene Abfassungszeit des Evangeliums (ca. 85 n. Chr.)
— selbst in Palästina — überhaupt denkbar ist.

Die Untersuchung über das Gesetz soll zeigen, „wie Matthäus
gegenüber dem Judentum argumentiert, in welchem Maße
er sich grundsätzlich von ihm getrennt und mit ihm verbunden
weiß und welches Ziel er mit der Auseinandersetzung verfolgt
" (Seite 36). Das geschieht an Hand einer Untersuchung
der Streitgespräche, die viele treffende Beobachtungen enthält
. Ein weiterer Abschnitt handelt von Gesetzesfragen als
einem innerkirchlichen Problem („Die Ausbildung einer christlichen
Halacha", „Die Ansätze eines christlichen Traditionsgedankens
", „Der Kampf gegen die Antinomisten"). Der
dritte Abschnitt beurteilt abschließend das matthäische Gesetzesverständnis
als „Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem
Antinomismus und dem Pharisäismus". Nach der einen Richtung
hin halte Matthäus an der unverbrüchlichen Geltung der Tora
fest, nach der anderen lehre er ihre Überbietung durch die
eschatologische Erfüllung durch Jesus. Zu dieser kompromißartigen
Bewertung hat Hummel die problematische, bisher kaum
irgendwo anerkannte Hypothese von G. Barth2 verführt, daß
aus dem ersten Evangelium eine „Front" (christlicher) Antinomisten
erkennbar sei. Wesentlich ist aber die Frage, was H.
unter eschatologischer Erfüllung versteht. Das ist nach ihm
lediglich eine neue, vollmächtige Auslegung des Gesetzes
, und zwar eine Auslegung nach dem Kanon des Liebesgebotes
, das damit auch zum „Maßstab für die Gültigkeit
einzelner Vorschriften des Gesetzes und der Tradition wird"

2) Vgl. Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium
S. 149—54.