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Ausgabe:

1965

Spalte:

427-429

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sauer, Georg

Titel/Untertitel:

Die Sprüche Agurs 1965

Rezensent:

Osswald, Eva

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 6

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genannten „messianischen" Stücke müssen wohl mehr von den
Elementen der Königsideologie, des „Hofstils" gesehen werden
und beziehen von daher ihren Universalismus; wieweit 6ie
„eschatologisch" zu nennen sind, darüber könnte man lange
streiten; mir scheinen sie jedenfalls nicht über den Rahmen der
irdischen davidischen Dynastie hinauszuführen. Sowohl für das
Deuteronomium (S. 189) wie für die Priesterschrift (S. 209), die
mit der Auffassung der kritischen Orthodoxie als Reform- bzw.
Restaurationsprogramm in die Zeit Manasses und des Exils angesetzt
werden, wäre eine mehr abstufende traditionsgeschichtliche
Betrachtung zu fordern; für beide Dokumente ist eine allmähliche
Ausbildung wahrscheinlicher, wie sich in ihren Formen
nachweisen ließe. Auch zur Prophetendarstellung Vriezens
wäre manches zu sagen. So etwa, wenn in Ez 18 ein Ausdruck
des Individualismus Ezechiels gesehen wird, der zu 6einem
anderorts (Kap. 15, 16 usw.) auftretenden Kollektivismus im
Widerspruch stände, der nur durch eine komplizierte Persönlichkeit
zu begreifen sei (S. 203). Hier bieten doch formgeschichtliche
Maßstäbe und die Erkenntnis der vorliegenden Gattungen
Aufschlüsse, die diesen scheinbaren Widerspruch auflösen. Auch
bei Deuterojesaja (S. 204 ff.) sähe man gern die Formen berücksichtigt
, wie auch die Deutung der Konfessionen Jeremias auf
einen „äußerst gefühlsvollen Mann" (S. 193), obwohl verbreitet
, nicht zutreffend zu sein scheint. Hier wie auch sonst ist die
Prophetenschilderung Vriezens, die nur einen Baustein seiner
Gesamtdarstellung bildet, einfach Ausdruck der gegenwärtigen
Situation der Prophetenforschung, die eine Übergangssituation
ist und zu neuen Ufern erst auf dem Wege ist.

Im ganzen bietet das Werk für den niederländischen Leser
über die engeren Fachkreise heraus einen gründlichen, leicht
lesbaren und doch in die Tiefe gehenden, keinem Problem ausweichenden
und die Bindung an die Person eines jeden Darstellers
ausdrücklich betonenden (S. 16) Einblick in den vielfältigen
Verlauf der israelitischen Religionsgeschichte. In dem Ausdruck
„godsdienst" hat das Niederländische einen umfassenden
Begriff (der weder mit „Religion", noch „Glaube", noch
„Kultus" ausreichend wiedergegeben ist), der sowohl die äußeren
gottesdienstlichen Formen wie das innere Glaubensgeschehen
in sich begreift. Beides wird in der Darstellung berücksichtigt
und miteinander in Beziehung gesetzt, und dabei werden die
darin handelnd auftretenden Personen: Mose, Samuel, die Propheten
, in den Vordergrund gerückt.

Auch einige Abbildungen sind dem Band beigegeben.

Kiel Henning Graf Reventlow

Sauer, Georg: Die Sprüche Agurs. Untersuchungen zur Herkunft, Verbreitung
und Bedeutung einer biblischen Stilform unter besonderer
Berücksichtigung von Proverbia c. 30. Stuttgart: Kohlhammer [1963].
144 S. gr. 8° = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen
Testament, 5. Folge, hrsg. v. K. H. Rengstorf u. L. Rost, 4. Kart.
DM 19.-.

Bei der vorliegenden Monographie handelt es sich um die
wenig veränderte Habilitationsschrift des Verf.s, die 1961 von
der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen - Nürnberg angenommen wurde. Die sorgfältig durchgeführte
Untersuchung bietet viel mehr als ihr Haupttitel ahnen
läßt. Der Verf. schafft sich nämlich zunächst eine sehr breite
Ausgangsbasis, um dann auf S. 92—112 seine Auffassung von
Prov Kap. 30, das uniter dem Namen Agurs überliefert ist, darzulegen
.

Nachdem er einleitend den orientalischen Hintergrund des
Alten Testamentes aufgezeigt hat, wendet er sich zunächst allgemein
der Frage der Beziehungen zwischen Ugarit und dem
Alten Testament zu, wobei er sich weitgehend auf bereits vorliegende
Veröffentlichungen stützen kann. Von besonderem
Interesse sind die Hinweise auf briefliche Äußerungen von J.
Nougayrol (S. 11, Anm. 13), in denen bevorstehende Textausgaben
in Ugaritica V angekündigt werden, die mancherlei
Überraschungen bringen werden.

Im Folgenden bemüht sich der Verf., die Verwandtschaft
zwischen der ugaritischen und der alttestamentlichen Literatur
hinsichtlich des Gebrauchs der Zahlen nachzuweisen. Dabei geht

er zunächst, z. T. unter eingehender Erörterung von schwer zu
interpretierenden Textstellen, auf die Verwendung der einfachen
Zahl in Ugarit ein. Es läßt sich beobachten, daß, wie in allen
Kulturen, gewisse Zahlen von der Zahlensymbolik bevorzugt
werden. Neben der Drei und der Sieben spielt die Zahl 70, in
der die Potenzierung der Macht zum Ausdruck kommt und die
in der Regel mit der Welt der Götter in Verbindung gebracht
wird, eine große Rolle. Die Zahlenreihen, in denen der Symbolwert
in gesteigerter Form begegnet, sind ein beliebtes Stilmittel,
durch das man eine Erhöhung der Spannung, aber auch ruhige,
gleichmäßig wiederkehrende Sachverhalte zum Ausdruck bringen
kann, ohne daß eine exakte Zahlenangabe beabsichtigt ist.
Solche Zahlenreihen können mit eins beginnen und dienen dann
zur Darstellung eines auf ein Ziel zustrebenden Vorganges,
während die bei einer beliebigen Zahl einsetzenden Reihen den
ungefähren Verlauf einer Handlung andeuten sollen. Auf Grund
seiner Beobachtungen vermutet der Verf., daß in bestimmten
Fällen Zahlen, die wie Zehner aussehen, als Einer betrachtet
werden müssen. Es handelt sich um Wiederholungen von Zahlen
unter Hinzufügung eines emphatischen Lamed und eines enklitischen
Mem, wie es z. B. in Text 75 : II : 49—52 der Fall ist
(vgl. S. 56). Demnach sind die Worte ksb't. Isb'm. ahh. ym(gy)
wtmnt. ltmnym folgendermaßen zu übersetzen: „als seine sieben,
ja sieben Brüder kamen und die acht, ja die acht". Vgl. auch die
Texte 67 : V : 17—22; 51 : VII : 9—12. Nach diesen Erwägungen
erklärt der Verf. den Anfang des KRT-Epos, wo das einzige Beispiel
für eine mit Bruchzahlen gebildete Zahlenreihe vorliegt,
deren Verständnis große Schwierigkeiten bereitet hat. Rechenkunststücke
hält er mit Recht für gänzlich verfehlt, da die Ausdrucksweise
dazu dient, ein Ganzes in Teilen zu beschreiben, um
auf diese Weise den Hörer allmählich in ein unfaßbares Ereignis
einzuführen.

Von den Zahlenreihen ist der Zahlenspruch zu untercheiden,
in! dem die Zahlen zur Aufzählung von bemerkenswerten Sachverhalten
dienen, doch ist diese in der Weisheitsliteratur beliebte
Stilform in Ugarit bisher nur in einem epischen Text
(51 : III : 17—22) nachweisbar.

Ehe sich der Verf. mit dem israelitischen Material beschäftigt,
wird in einem kurzen Überblick herausgestellt, daß der Gebrauch der
Zahlen gegenüber der reichen Verwendung in Kanaan in der ägyptischen
Literatur auffallend zurücktritt, während die babylonisdi-akkadischen
Texte mehr Vergleichsmaterial bieten.

Nunmehr sind die Voraussetzungen für die Untersuchung von
Zahl, Zahlenreihe und Zahlenspruch in Israel geschaffen. Bezüglich
der Bedeutung der einfachen Zahl wird darauf hingewiesen, daß durch
die Zwei das Gleichgewicht, durch die Drei, vor allem im sakralen
Bereich, die Abgerundetheit und Ausgeglichenheit zum Ausdruck gebracht
werden soll. Die Vier bedeutet Vollkommenheit, während der
Fünf oft eine gewisse Tendenz zum Unangenehmen anhaftet. Die
aus drei und vier zusammengesetzte Sieben vertritt ebenfalls die Vollkommenheit
, und die Zehn soll das Gleiche im Sinne der Unüberbietbarkeit
ausdrücken. Die Zehner haben dieselbe Bedeutung wie die
Einer, nur in potenzierter Form.

Die Zahlenreihe, deren Gebrauch der Stufe zwischen primitiver
Kultur und exaktem mathematischem Denken angehört, verbindet das
Alte Testament eng mit dem kanaanäischen Kulturraum. Ebenso wie
die Einzelzahlen haben die verschiedenen Zahlenreihen ihre spezifische
Bedeutung. So betont eins-zwei Gültigkeit und Wirkungskraft, eins
bis drei Ausgeglichenheit und Vollkommenheit, wenn diese Reihe
nicht dazu dient, Handlungen zu dramatisieren. In den Ausführungen
über die beliebig beginnende Zahlenreihe verdient der Versuch Beachtung
, in Anlehnung an H. Gunkel (SAT 11, 2, 19232, S. XLVII) die
Worte tialTl D,T3'JB in Jes 7, 8b als absteigende Zahlenreihe „sechs oder
fünf" unter Annahme eines Mem encliticum aufzufassen. Gleichwohl
unterbricht dieser Vers den Zusammenhang.

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über Vorkommen und
Form des Zahlenspruches wird Prov Kap. 30 gesondert untersucht.
Während in V. 1 die Namen ugaritische bzw. arabische Beziehungen
vermuten lassen, gibt es zu den Versen 2—4 zahlreiche lexikalische und
grammatische Entsprechungen in den ugaritischen Texten. Die Verwandtschaft
wird jedoch besonders deutlich in den in V. 7 ff. enthaltenen
Zahlensprüchen. Nur für den Inhalt von V. 18 f. fehlt es bisher
noch an ugaritischem Vergleichsmaterial.

In der Zusammenfassung wird abschließend herausgestellt,
daß Zahlenreihe und Zahlenspruch in der Literatur Nordkanaans