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Ausgabe:

1965

Spalte:

22-24

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Slater, Robert Lawson

Titel/Untertitel:

World religions and world community 1965

Rezensent:

Kraemer, Hendrik

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 1

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Iegorcse ist. In der Darstellung des Uranos-Kronos-Mythos finden
sich eingehende Vergleiche der Hesiod-Fassung mit der
phönikischen (Ugarit) und der hethitisch-churritischen Fassung,
wobei Otto darauf hinauskommt, daß Hesiod den ursprünglicheren
Sinn festgehalten habe. Ein Hauptargument dafür sieht
Otto u. a. darin, daß aufs Ursprüngliche am Mythos hinweise,
was „im Kulte wiederkehrt" (S. 258): „Der Kultus zeigt die Ursprünglichkeit
und Echtheit des Mythos an". Dieser Aspekt verdient
bestimmt weitere Erwägung und Würdigung.

Aus Ottos Goethe-Aufsätzen erhellt, daß er wohl sein
Verständnis der Antike am unmittelbarsten bei Goethe begründet
fand. Mehrfach erwähnt er das Gedicht vom ephesischen
Goldschmied zur Begründung eines philosophisch geläuterten
Polytheismus.

Immer wieder muß man bei Walter F. Otto die große
Spannweite seines Denkens bewundern: er kann monistisch,
deistisch, polytheistisch und dann auch wieder atheistisch denken,
ohne freilich in plumpen Vulgärmatcrialismus zu verfallen.
Nietzsches Intuition vom großen Mittag und von der ewigen
Wiederkehr liegt ihm nahe; auch der frühe Hölderlin wird tief
begriffen, auch Winckelmann wird hoch gelobt. Freilich reimt
sich dies nun ganz und gar nicht zum späten Hölderlin, zu
welchem Otto offenbar kein Verhältnis hat und den er kaum
erwähnt.

Und auf der anderen Seite ist man überrascht über das Bild
Ottos von biblischer Religion, Judentum und Christentum. Da
ist sehr viel neunzehntes Jahrhundert; immer wieder kehrt der
Vorwurf des „Dogmatismus" und der unwürdigen Erniedrigung
des Menschen vor dem Göttlichen. Am problematischsten ist in
dieser Hinsicht der älteste der Aufsätze: „Das Weltgefühl des
klassischen Heidentums" aus dem Jahre 1920. „Die klassische
antike Kultur ist durchaus männlich und durchaus heidnisch. Die
neuzeitliche Kultur Europas ist weiblich und christlich" (M. u. W.
S. 21). Es wäre verfehlt, Bachofens große Schau, die neben
Nietzsches und Spenglers Ideen einem solchen Urteil zugrundeliegt
, einfach als verfehlt abzutun. Aber es gibt auch eine unzulängliche
und unzulässige Konsequenzenmacherei aus Bachofens
Ansätzen, und etwas von solcher terrible simplification liegt in
den zitierten Sätzen Ottos; doch ehrt es den Gelehrten, daß sich
diese Terminologie gerade in jener späteren Zeit nicht mehr
findet, in der sie für eine verheerende Ideologie Verwendung
fand.

In den Aufsätzen aus der zweiten Hälfte der vierziger und
der ersten der fünfziger Jahre findet sich manchmal eine größere
Weite und Aufgeschlossenheit gegenüber dem Christentum; es
war die Tübinger Zeit, in deren Anfang der Rezensent dankbar
den großen Gelehrten hat hören dürfen.

Dann aber der Epikuraufsatz, der letzte druckfertige: Zunächst
wird das epikureische Lehrgedicht des Lukrez über weite
Partien hin wörtlich in Übersetzung zitiert, nicht übrigens, was
Otto doch beabsichtigte, zum Ruhm des Dichters und des Philosophen
. Und das Ergebnis der Analyse: bei Epikur handle es sich
um die Wiederkunft der „leichtlebenden" Götter Homers! Hier
zeigt sich ein blinder Fleck bei Otto, der wohl darin seine Ursache
hat, daß bei ihm unzulänglich durchdacht ist: warum
denn wohl die klassische Religion in der Spätantike ihre Bindungskraft
verlor. Diese Frage ist nur zu beantworten, wenn
man, wie es Hans Jonas in seiner Untersuchung über die Gnosis
getan hat, dem grundsätzlichen Wandel im spätantiken Daseinsverständnis
gebührend Rechnung trägt. Eine existentiale Interpretation
liegt jedoch Walter F. Otto schon von ihren philosophischen
Voraussetzungen her fern, wie aus seinen häufigen
polemischen Bemerkungen gegen Heideggers Daseinsanalyse
hervorgeht. So ist Ottos Sicht des Endes der klassischen Religion
unzulänglich; man möchte sagen: er sieht die klassische Religion
m't eigentümlichem Optimismus als eine im Grund zeitlos gültige
Existenzmöglichkeit an. Und seiner unzulänglichen Schau des
Endes — auffällig ist im Widerspruch zu dem sonst so gepriesenen
Aspekt Nietzsches die immer wieder versuchte Einordnung
des Euripides zur reinen und unverfälschten Klassik —, 6einer
Kurzsichtigkeit gegenüber dem Ausgang entspricht eine immer

wieder zu beobachtende Geringachtung des Anfangs: das
Griechentum beginnt für Walter F. Otto im Grund mit der plötzlichen
Epiphanie der Götter vor und bei Homer, die mykenische
und kretische Kultur und Religion jedoch kommt nicht gebührend
zu ihrem Recht.

Soviel zu den Grenzen und Widersprüchen. Das Denken
Walter F. Ottos läßt sich nicht bequem auf einen Nenner bringen
. Auch die beiden vorliegenden Bände zeigen den Forscher
und Denker als einen Menschen mit seinem Widerspruch. Und
eben darin liegt auch der eigentümliche Reiz und besondere
Wert dieser Bücher. Man sieht dem Forscher in die Werkstatt
und schaut dem Menschen ins Herz. Und in all dem begegnet uns
ein großer Gelehrter, der auch der Nachwelt noch auf lange hinaus
ganz Wesentliches zu sagen hat, nicht zuletzt auch den
Theologen.

Saarbrücken Ulrich Mann

Slatcr, Robert Lawson: World Religions and World Community.

New York —London: Columbia University Press 1963. XIII, 299 S.
8° = Lectures on the History of Religions, sponsored by the
American Council of Learned Societies, N. S., 6. Lw. 45 s.

Der Verfasser dieses Buches ist ein Kanadier, der 16 Jahre
seines Lebens in Asien, besonders in Birma, gearbeitet hat, teilweise
im Missionsdienst, teilweise als Professor der Religionsphilosophie
an der Universität von Rangoon. Zurückgekehrt
nach Kanada hatte er den Lehrstuhl für Systematische Theologie
an der McGill University, Montreal, inne. Jetzt ist er Professor
der heutigen Weltreligionen in der Harvard Divinity School.
Gleichzeitig ist er der Direktor des „Centre for the study of
World Religions" (seit kurzem ist er zurückgetreten von diesen
Ämtern).

Das Buch wurde durch die Sektion für die Geschichte der
Religionen, einer Abteilung des „American Council of Learned
Socitics" herausgebracht.

Durch seine Erfahrungen und Kenntnisse und besonders
durch seine jetzige Stellung, die ihn in den Stand setzt, mit
wissenschaftlichen Vertretern der Weltreligionen fortwährend
in Kontakt zu sein und zusammenzuarbeiten, ist der Verfasser
besonders geeignet, ein Buch über Weltreligionen und Weltgemeinschaft
zu schreiben.

Aus dem Inhalt des Buches geht hervor, daß mit dem Wort
„world-community" (Weltgemeinschaft) im Titel gemeint ist
die Haltung gegenseitiger und weltweiter Verantwortung und
Verantwortlichkeit in der heutigen pluralistischen und divergierenden
Welt der Völker, Weltgemeinschaft dann als notwendige
Vorbedingung einer erhofften einheitlichen Weltordnung und
des Weltfriedens. Die Grundfrage, die das Buch durchzieht, ist
nun, inwieweit in den verschiedenen Weltreligionen Kräfte zu
finden sind, die diese für den Fortbestand der Menschheit unentbehrliche
Haltung fördern oder ihr entgegenwirken.

Im ersten Kapitel wird darum eine allgemeine Übersicht
über die vorhandenen Meinungen geboten. Auf der einen Seite
stehen diejenigen, die die Religion als eine nach ihrer Art dynamische
und einheitsstiftende Macht sehen, die, wohl verstanden,
die Menschen verbinden soll und so berufen ist, einen positiven
Beitrag zu leisten für die Vertretung und das Wachstum wahrhaftiger
Weltgemeinschaft. Auf der anderen Seite findet man die Skeptiker
oder Verneiner dieser Einschätzung der Religion. Sie verweisen
auf die unleugbare Tatsache, daß in der Geschichte und
auch heute die Religion eine trennende Macht ist, auf die man
wenig oder keine Hoffunng setzen kann.

Der Verfasser anerkennt diese in den zwei entgegengesetzten
Standpunkten erscheinende Ambivalenz. Das gibt ihm aber
den Anstoß, die heutige religiöse Weltlage zu sondieren und
mehr Klarheit zu bekommen über die Frage, inwieweit in den
erwachten Religionen Kräfte wirksam sind, die Gegensätzlichkeit
oder Gemeinschaftssinn hervorrufen, besonders auch darum, weil
in der heutigen Weltlage die großen Weltreligionen ein neues
Gefühl der Verantwortlichkeit für die Förderung von Weltgemeinschaft
und Weltfrieden offenbaren.

Verschieden sind die Meinungen in diesem Zusammenhang
darüber, ob es für ein effektives Wirksamwerden der religiösen