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Ausgabe:

1965

Spalte:

392-393

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hillerdal, Gunnar

Titel/Untertitel:

Kirche und Sozialethik 1965

Rezensent:

Rendtorff, Trutz

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 5

392

„endgültig gescheitert" erwiesen habe (96). — Der zweite Gedankengang
befaßt sich mit der Geschichte des Tyrannenmordes
von J. von Salybury und Thomas v. Aquin bis zu dem Gutachten
des katholischen Moraltheologen R. Angermair zum
Remerprozeß 1953 (97—107). — Im dritten Abschnitt wird zunächst
etwas ausführlicher über Luthers Stellung zum Problem
des Widerstandes berichtet, dann ganz kurz über J. Gerhard,
F. J. Stahl und E. Berggrav (107-115); dem folgt ein Kurzbericht
über die reformierten Anschauungen von Calvin bis
K. Barth. M. bekennt sich, am Schluß zu W. Künneths Grundanschauung
der besonderen Verantwortung derer, die „an
hervorgehobener Stelle im Staat stehen" (120), vergaß aber
wohl, Künneth ausdrücklich zu zitieren.

IV. „Kirche und Kriegsdienst": Ein ganz kurzer
Hinweis darauf, daß die „Einstellung der Kirchen zur Welt
überhaupt" ihre Stellung zum Kriegsproblem bestimmt (122),
leitet die durchgehend historische, aber keineswegs von Werturteilen
freie Darstellung ein. Das NT gibt keine Antwort auf
die Frage, „wie und unter welchen Bedingungen nun gerade
der Christ zur Teilnahme am Krieg berufen sein könnte" (125):
ist die Frage überhaupt so zu formulieren? Vorkonstantinische
Zeit mit ihrer bekannten Ablehnung des Kriegsdienstes von
Christen — die berüchtigte prompte Wendung seit Konstantin:
Synode von Arles (314) droht Deserteuren mit Exkommunikation
. Augustins und Thomas von Aquins Lehre vom „gerechten
Krieg" — bis hin zu katholischen Pazifisten und zu
Pius XII.: das sind alles notwendigerweise nur sehr kurze summarische
Darstellungen. Bei Luther wird hervorgehoben, daß
der Krieg für ihn vor allem „ein Mittel" war, „das Gott gebraucht
, um wieder die Frage nach sich selbst zu erwecken"
(146 f): spricht man da nicht ausführlicher von Luthers Gotteslehre
im Zusammenhang mit seiner theologia crucis und seiner
Geschichtsanschauung, scheint dieser Gedanke doch sehr mißverständlich
zu sein; könnte er nicht einen Pietisten dazu verleiten
, für einen Krieg zu danken, weil dadurch „der Mensch
immer wieder vor die Gottesfrage gestellt wird" (147)? Natürlich
meint es M. nicht so — aber seine Ausführungen haben ein
gefährliches Gefälle in dieser Richtung. Aus dem Gedanken, daß
nach Luther „Gott selbst Kriege führt", folgert M.: „Den Kriegsdienst
verweigern, hieße somit, dem Wirken Gottes sich in
Selbstmächtigkeit entziehen wollen" (147). Die dazu gehörige
Anmerkung verweist auf Luthers Schrift „Ob Kriegsleute...",
wo an dieser Stelle freilich nur der Obergedanke, nicht M.s
Schlußfolgerung ausgedrückt ist. Denn von der Möglichkeit einer
Verweigerung ist erst später in dieser Schrift die Rede, nämlich
WA 19,656 (= Cl. 3, 345), wo Luther auf die Frage eingeht:
„Wie wenn mein herr vnrecht hette zu kriegen? Antwort: Wenn
du weist gewis / das er vnrecht hat / so soltu Got mehr furchten
vnd gehorchen denn menschen Acto. 4. vnd solt nicht kriegen
noch dienen. . ." Warum geht M. auf diese wichtige Stelle
nicht ein? — Erst nach diesem Hinweis auf die Kriegsdienstverweigerung
erklärt Luther, daß man im Zweifelsfalle sich „des
besten" zu seinem Herrn versehen, also ihm die Verantwortung
überlassen und ihn nicht im Stich lassen soll (ebd. 657). M. betont
nur diesen Gedanken (in etwas anderer Form und mit
anderm Beleg) — und unterstützt so ein Lutherbild, das uns z. B.
in der ökumenischen Diskussion schon viel geschadet hat.

Die gegenwärtige Diskussion in der Evangelischen Kirche in
Deutschland wird völlig auf den alten Gegensatz zwischen reformatorischer
und täuferisch-sektiererischer Auffassung zurückgeführt
. Der gegenwärtigen Lage dürfte das kaum gerecht werden
. Wenn in diesem Zusammenhang behauptet wird, „daß die
Weltkirchenkonferenz von Amsterdam vom Jahre 1948 eine
eigene Sektion zu dem Thema: ,Der Krieg ist gegen Gottes
Willen' ins Leben gerufen" habe (152), so ist das eine sehr ungenaue
Berichterstattung. M. verweist auch nicht auf die eigentliche
Quelle, nämlich die Sammelbände „Die Unordnung der Welt und
Gottes Heilsplan" (Zürich-Frankfurt 1948/49). Er muß doch
wissen, daß das Thema der Sektion IV in Amsterdam (das
natürlich schon lange vorher festgelegt war, und keineswegs —
wie M. andeutet — den „Friedenskirchen" zuliebe) gelautet hat:

„Die Kirche und die internationale Unordnung". Im Bericht
dieser Sektion hat dann e i n Abschnitt die oben als Thema
genannte Überschrift erhalten!

Vollends unbefriedigend ist die Berichterstattung zur Diskussion
um die nukleare „Bewaffnung". M. ist der Meinung,
„daß der Gebrauch der Massenvernichtungsmittel keine größere
Pervertierung der göttlichen Gaben oder der Güte des Schöpfers
darstellt, als dies auch der einfachste Mißbrauch jedes Naturelements
ist. Die Elektrizität kann ebenso zu einem allgemeinen
Vernichtungsmittel... werden" (160). Ist es M. wirklich entgangen
, daß logischerweise der Vergleich mit der Elektrizität
nur brauchbar ist, wenn im Obersatz statt vor dem Massenvernichtungsmitteln
zunächst allgemein von der Atomenergie die
Rede wäre? Diese kann in der Tat zu guten und bösen Zwecken
gebraucht bzw. mißbraucht werden. M. dagegen hält die Herstellung
der Massenvernichtungsmittel zunächst noch für etwas
Neutrales... — Die sich aufdrängende Frage, ob es etwa auch
einen „guten Gebrauch" dieser Mittel geben könne, wird von
ihm nicht beantwortet. Er empfiehlt ihre Abschaffung nicht eindeutig
, sondern ist offenbar der Meinung, daß sich die Grundprobleme
durch die neue Lage nicht geändert haben.

Aus der Stellungnahme der Kirchlichen Bruderschaften wird
nur ein Gedanke erwähnt; anscheinend wurde er von dem allein
als Quelle angegebenen „Informationsblatt für die Gemeinden
in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen" (1958) ebenfalls
besonders hervorgehoben. Zufällig ist dieser eine Gedanke
nun nicht-theologischer Art, was natürlich die Kritik ungemein
erleichtert; nun „fällt die eigentümlich untheologische Begründung
für die Ablehnung des Atomkrieges auf" (161)! Warum
empfiehlt der Verfasser nicht das Heft 70 der Reihe „Theol.
Existenz heute": „Christusbekenntnis im Atomzeitalter" (1959,
166 S.)? Es hat sich m. W. noch niemand darüber beklagt, daß
da untheologisch argumentiert worden ist. . .!

Es ist wohl zu hoffen, daß die Quellen in den anderen
Abschnitten sorgfältiger verarbeitet wurden; andernfalls wäre
der Wert der zahlreichen Literaturhinweise stark gemindert.

Bethel b. Bielefeld Wolfgang Schweitzer

Hill er dal, Gunnar: Kyrka och Socialetik. Lund: Gleerups [i960].
118 S. 8°.

— Kirche und Sozialethik. Übers, v. G. Klose. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus G.Mohn [1963]. 119 S. 8°. Lw. DM 14.80.

Diese in der deutschen Übersetzung als selbständiger Band
veröffentlichte Schrift ist 1960 in Schweden in der Reihe „Ordet
och Kyrkan" für einen breiteren Leserkreis erschienen. So erklärt
sich auch der Titel, der keinen bestimmten Problemaspekt bezeichnet
, wie ihn Wendland etwa in dieser Zeitschrift behandelt
hat (ThLZ 87, 1962/3). Verf. möchte vielmehr einen generellen
Beitrag zur christlichen Sozialethik leisten. Sie wird gegen „Irrwege
" (14 ff.) abgegrenzt, gegen den „unreflektierten Biblizis-
mus", unter den Calvin und die lutherische Ordnungstheologie
gleichermaßen subsumiert werden und dem die Neigung zur
Ideologisierung naheliegt, gegen Barths „christologische" Ethik,
deren Analogieverfahren als ein „heikles, ja sinnloses Unternehmen
" (31) charakterisiert wird. Stattdesen entwirft Verf. die
„Hauptzüge der neutestamentlichen Botschaft" (34 ff.), um
schließlich „wegweisende Richtlinien für eine evangelische Sozialethik
" (100) darzulegen. Der theologische Zusammenhang wird
durch das Handeln Gottes als Schöpfung, insbesondere aber Neuschöpfung
erstellt, der die christologische Thematik aufnimmt;
die Kriterien der Sozialethik werden aus einem einheitlichen
„Menschenverständnis des Evangeliums" (77 ff.), das Verf. auch
gelegentlich als „christliches Evangelium" bezeichnet (94), gewonnen
. Den Beschluß bildet eine Erörterung des ethischen
Kompromisses (100 ff.). Eine gewisse Unschärfe der Begrifflichkeit
macht es nicht leicht, dem theologischen Duktus zu
folgen. Verf. verfolgt immerhin die Absicht, den Gottesbegriff
in die Orientierung der Sozialethik so einzuführen, daß diese
nicht im bloßen Sollen verbleibt. So führt die Aufgabe der
ethischen Grundlegung notwendigerweise zu einer theologischen
Vergewisserung historischer Phänomene der christlichen Wir-