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Ausgabe:

1965

Spalte:

384-387

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Robinson, John A. T.

Titel/Untertitel:

Gott ist anders 1965

Rezensent:

Benckert, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 5

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festgestellt, daß seine Anwendung als Kennzeichen der Anfänge
bestimmter Krisentheologie jüngster Vergangenheit seine Berechtigung
hatte" (511). „Infolge des ersten Weltkrieges und im Gleichklang
mit der gleich ihnen selber in existentielle VerStörung und Ausweglosigkeit
gestürzten außerchristlichen Welt glaubte eine kleine, aber
selbstbewußte Gruppe jüngerer Theologen, die bisher — 60 darf man
wohl ohne Ungerechtigkeit sagen — von dem .existentiellen' Schauer
der Offenbarung in Christus noch nicht in seiner Tiefe erfaßt gewesen
war, die Bahn aller Theologien ihrer Zeit verlassen zu müssen:
Die (sagen wir hier kurz) altgläubig kirchliche wurde, obwohl diese
Jungen selbst noch vieles von ihr an sich trogen, wie selbstverständlich
beiseite gelassen; die weithin dem Grundgeheimnis und der Grundkraft
des Evangeliums entfremdete, dem Historismus verfallende sogenannte
radikal-liberal-theologische Gruppe hatten sie durch das
Verdienst ihrer Lehrer (3. Gruppe) durchschauen gelernt; das .existentielle
' Ringen dieser 3. Gruppe aber — ich gebrauche das Modewort
hier mit Absicht — war ihrem jugendlichen Stürmen allzu mühsam
und wenig schnellen Erfolg versprechend erschienen. So konstruierten
sie sich vor allem unter Führung Karl Barths, weit mehr in Anlehnung
an allgemeine und philosophische Stimmungen der Zeit als die vorhergehende
Theologie, eine ,neue' Theologie...; sie stellte uns — anthropozentrisch
wie kaum eine Theologie, obwohl sie sich durchaus
theozentrisch nannte und viel vom verborgenen Gott sprach — einem
dialektisch (besser antinomisch) handelnden Gott gegenüber, dessen
.Wort' nur mit dialektischer Kunstauslegung zu verstehen ist. Ihr
diktatorisches Auftreten und ihr ganz auf die Ausweglosigkeit weltlichen
Denkens der Zeit ausgerichtetes Wesen errangen starke Anfangserfolge
, zumal 6ie in der Auslegung des Römerbriefes durch K.
Barth, von der nicht nur die neutestamentliche Wissenschaft, sondern
auch dieser selbst sich inzwischen weithin absetzte, ein Panier besaß.
Diese durch ihren Erfolg selbst überraschte Theologengruppe sah sich
aber schon nach wenigen Jahren genötigt, auf Fragen der älteren
Generation und ihrer eigenen Anhänger zu antworten, die sie im
Rausch des Umstürzens besinnungslos, zum Teil brutal weggewischt
hatte. Es waren Fragen, an die ihre verlassenen Lehrer. . . jahrzehntelang
ihre beste Kraft gesetzt hatten. Es waren die Fragen, die Gott,
der verborgene und für den Christen in Jesus Christus sich offenbarende
, in neuer Weise einem neuen Geschlecht als Aufgabe der
Theologie seit weit mehr als hundert Jahren gestellt hat. . . Man ist —
wir sagten es in unserer Darstellung — ängstlich, angesichts des vielen
guten Willens und Strebens, die auch bei Anhängern dieser .neuen'
revolutionären Theologie zeitweise zum Tragen kamen, harte Worte
zu gebrauchen. Aber es ist. . . unumgehbar, ihren Urhebern das in
aller Öffentlichkeit zu sagen, was sie seit etwa 1925 selber innerlich
wissen (vgl. wiederum etwa den Briefwechsel Barth/Thurneysen), und
was ihre Anhänger leidvoll oder innerlich knirschend immer mehr erkennen
: sie haben Hauptfragen, die die in Gottes Hand liegende Folge
der Zeiten unserer Epoche gestellt hat und ihre Konsequenzen zuerst
überhört, dann sich ihrem Ernst verschlossen. Sie machten, da ihre
Dialektik sich mit dem klaren Wortlaut des im Letzten und Eigentlichen
nicht antinomischen Evangeliums nicht vereinbaren ließ, in ihrer
Ausweglosigkeit und in der Notwen Jigkeit, etwas Greifbares zu bieten,
Anleihen bei den verschiedensten Formeln vergangener Zeiten, die nach
Gottes Ratschluß diesen, aber nicht uns den Weg zu ihm ebneten. Sie
legten dadurch der Gemeinde Jesu Christi erneut Lasten auf, die sie
selber trotz aller Lust und Mühe des Künsteins nicht zu tragen vermögen
und von denen eine .existentielle' Theologie vor den Weltkriegen
sie eben um einer wahren und keineswegs „leichteren' Existenz
willen zu befreien angefangen hatte" (513 ff.) (Bultmann wird
ausdrücklich davon ausgenommen.) „.. . die neuen Repristinierungen
alter Formeln der Theologie waren ja im Grund Decken der Blöße des
Ausgangs von einem hilflosen Existentialismus, an dem die Schöpfer
dieser .neuen' Theologie mit einem Großteil der Kunst und Literatur
unserer Zeit festhalten, um ihr Gesicht nicht zu verlieren" (514). „Sie
zog das Einzige und Entscheidende, was die Offenbarung in Jesus
Christus vor aller philosophischen Meditation und Spekulation voraus
hat und was die in diesem Buch behandelte Theologie gegenüber dem
Vorkriegsgeist bis aufs Blut verteidigt hatte, in diese herab, indem
sie mit ihr eine nur von gewissen Theologen (Philosophen) nachzuvollziehende
formale Christologie aufstellte. Als. . . die nach dem
Evangelium, nicht nach dialektischem Spiel verlangende Gemeinde ungeduldig
wurde, folgte . . . die unselige Vermengung dieser Dialektik
mit Stücken einer alten, auf ganz anderen Denkvoraussetzungen aufgebauten
Theologie. . . Die Folge dieser ungeheuren Verwirrung
konnte nur einerseits ein oft schredcenerregender ganz unbegründeter
theologischer Hochmut und gleichzeitig eine ebenso jammerwürdige
Ängstlichkeit vor redlicher Behandlung der in unsere Epoche hineingestellten
Fundamental-Fragen sein. Es schneidet ins Herz (und läßt
ab und an auch ein bitteres Lachen kaum unterdrücken), wenn etwa
neuerdings G. Ebeling richtige Gedanken, die vor 1914 und auch nachher
immer wieder dem besten Teil evangelischer systematischer Theologie
zu den geläufigen und wichtigen gehörten, mit der Bitte um

Nachsicht und in dem Gefühl, schweres Ärgernis damit zu geben, aussprechen
muß. Pecca fortiter gegenüber vielem seit 1914 wieder eingedrungenen
wuchernden theologischen Gestrüpp möchte man als
.Außenseiter' den jüngeren Systematikern zurufen" (517 f.).

Zur knappen Kennzeichnung der theologischen Position des Verf.6,
die von Bultmann und etwa auch von Gogarten abweicht: „Das theologische
Denken möchte noch dienmütiger und schlichter das Geheimnis
unserer geschöpflichen Existenz als den Urgrund für das Unerforsch-
liche (den verborgenen Gott) von und nach allen Seiten herausstellen
und dadurch den Zugang zu dem uns in Gottes Offenbarung in
Jesus Christus geschenkten Schatz im glaubenden Vertrauen, jenseits
so vieler unsere Zeit von ihm nur fernhaltender angeblicher theologischer
.Kostbarkeiten' erleichtern" (518).

Es hat bei der Sachkenntnis des Verf.s und der Absicht,
für bedeutende Theologen der Vätergeneration eine Lanze zu
brechen, wenig Sinn, gegen ihn Einwände zu bemühen. Es würde
dabei nur ein Einnehmen gegenteiliger Standorte erfolgen.
Woran man aber nach der Kenntnis des Verlaufes der letzten
fünfzig bis siebzig Jahre leisen (oder lauten) Zweifel hegen
muß, das ist die Hoffnung auf Kontinuierlichkeit in der theologischen
Arbeit, in d e m Sinne, daß sich dabei Umwege und
schließlich doch wieder aufzugebende Ansätze vermeiden ließen.
Die Entwicklung der Theologie hängt eben ab von den Zeitumständen
und den Personen, die so oder so, aber doch alle —
und das wird man gerade den „jungen Stürmern" vor fünfzig
Jahren nicht absprechen können — ihr Bestes zu geben sich
verpflichtet fühlten, es zu tun meinten und darum bemüht
waren. Es muß doch wohl auch darin so etwas wie Providentia
dei trotz der confusio hominum gewesen sein; und schließlich
haben die Zeiteinflüsse die Art und den Bruchcharakter von
Krisentheologien bestimmt. Die Kontinuität unserer Erkenntnis
ist gegenüber der einzigen Kontinuität, auf die es
wahrhaft ankommt und die bei Gott und für uns nicht zuletzt
im Gebet liegt, doch eine etwas zweifelhafte Sache.

Jena Horst B ei n tke r

Robinson, J. A. T.: Gott ist anders. Honest to God. Übertr. au»
dem Engl, von Chr. u. G. Hahn. München: Kaiser 1963. 144 S. 8°.
Kart. DM 6.80.

Bartsch, H. W.: [Hrsg.]: Ehrlich gegenüber Gott. Eine Diskussion
über die Gottesfrage zum Buch Honest to God von J. A. T. Robinson
. Hamburg-Bergstedt: Reich 1963. 76 S. 8° = Evang. Zeitstimmen
, 17. Kart. DM 2.80.

Robinsons Schrift hat Staub aufgewirbelt, weit über das
Maß hinaus, das in den von Bartsch gesammelten Diskussionsbeiträgen
sichtbar wird. Offenbar berührt sie einen neuralgischen
Punkt des geistigen und besonders des theologischen Bewußtseins
der Zeit. War diese Schrift, war ihre Übersetzung durchaus nötig?
Ihr Problem liegt offenbar in der Luft, in Deutschland mehr noch
als in England. Schwerlich wird man ein solches Problem aus der
Welt schaffen, indem man die Augen vor ihm verschließt.

Zunächst ist festzustellen: Es ist ein sehr persönliches Buch.
Der Bischof schreibt sich während einer längeren Krankheitsperiode
einiges vom Herzen, was ihn selbst als Christen schon
lange beschäftigt und was er zugleich um seiner seelsorglichcn
Fraxis willen klären muß. Es will auch ein redliches Buch sein,
das die christliche Gotteslehre nicht ändern, sondern verständlicher
machen möchte. Der Bischof macht einen Versuch, einen
allerersten Anfang von revolutionärer Bedeutung. Über den —
von der Frau des Bischofs gegebenen — Titel sollte man nicht zuviel
rätseln. Das Buch deutet ihn selbst mit der nötigen Klarheit,
wenn es in der englischen Ausgabe S. 28 „honest to God and
about God" formuliert. Die deutsche Ausgabe sagt — S. 37 —
„aufrichtig gegenüber Gott". Man muß sich aber die doppelte
Aussage des Urtextes klar machen: Mein Verhalten zu Gott und
mein Reden (und Denken) über Gott müssen aufrichtig sein. Lim
diese Redlichkeit geht es dem Bischof auf jeder Seite seiner
Schrift.

In der Diskussion über die Schrift Robinsons hat sich oft als
Hauptfrage ergeben, ob er Gott noch als eine von Welt und
Mensch unterschiedene Größe glaubt. Darum muß zuerst stark
betont werden, daß der Verf. die Gotteswirklichkeit ausdrücklich
voraussetzt. S. 51: „Unser Anliegen ist keineswegs eine Verände-