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1965

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Philosophie, Religionsphilosophie

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 5

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fallen. Schmidt nimmt die Christentumskritik des jungen Hegel
(75—160) als weitgehend zutreffend auf, insofern sie die tatsächliche
Schwäche des Christentums damals, aber im wesentlichen
auch heute noch, nämlich seinen Mangel an Weltverantwortung
aufdeckt. Diesen Mangel, der praktisch den Verlust
eines echten Glaubens an den Schöpfer bedeutet, sieht Schmidt
verursacht durch das Verhaftetbleiben in einem griechischkatholischen
Weltverständnis, das den Kosmos als eine überschaubare
und durchschaubare ewige Ordnung sieht, deren unvergängliche
Statik in ihrer Harmonie erkannt und durch die
Respektierung ewiger Gesetze erhalten werden kann. Hegel
erkennt den Zerbruch dieses Ordnungsschemas, erfährt, nach
Schmidt, den befreienden und zugleich schrecklichen Atemhauch
der Welt als Geschichte, die den Menschen in die unbedingte
Freiheit solch ewiger Gesetzlichkeit gegenüber versetzt. Auf
der Suche nach einem Haltepunkt für diese Freiheit, nach ,der
guten Richtung der Geschichte' (60 ff. u. ö. bes. 200 ff.), bleibt
aber Hegels Blick in der Geschichte selbst hängen; d. h. er
sucht ihre .Einheit' in ihr selber (280 ff.) und entwickelt dann
auf diese Weise seine Geschichtsphilosophie, nach welcher der
absolute Geist in der erkennenden Vernunft des Menschen
(290) zu sich selbst kommt. Hierin sieht Schmidt Hegels Rückkehr
zum griechisch-katholischen Ontologismus, zur großartigen
Aristoteles-Rezeption, die aber keine echte .Reformation' der
nötigen .Revolution' zur Seite zu stellen vermag, sondern zur
bloßen Ideoligierung einer Restauration führen muß.

Unser Verfasser aber will der Erfahrung der Geschichte
treu bleiben und fragt nach ihrer Wahrnehmung und Verantwortung
. Er erkennt als Theologe, daß das Ganze der Wirklichkeit
verstehend nicht zu durchdringen ist. „Die Einheit des
Ganzen kann weder verstehend durchdrungen, noch gestaltend
erzwungen werden. Sie ist allein im Vertrauen auf die in ihrer
Geschichte mit Mensch und Welt auf das Ganze gehende und
zur Vollendung kommende, alles und alle durchwaltende Wirkmacht
des in der Geschichte Israels zur Sprache gekommenen
und in Jesus als dem Christus bewährten Gottes zu glauben,
— in der Hoffnung,, welche keinen vom Ganzen dieser Verheißung
ausschließt, zu bezeugen und in der Liebe, welche
immer aufs Ganze geht, zu leben" (313). Denn... „der
Kosmos entgrenzte sich. Der Mensch wurde sich der ständigen
Grenzsituation seiner Welt-Offenheit wie nie zuvor bewußt.
Er hatte den ihn haltenden und aufhaltenden Horizont eines in
sich ruhenden zeitlosen Ordnungsgefüges ... ein für allemal
überschritten und geriet mit seiner neuen Welt-Erfahrung in
das kritische Stadium seiner Welt-Freiheit . . . Das Schlüsselproblem
der Neuzeit kündete sich an: Wie können die in die
Freiheit Entlassenen zum rechten Umgang mit der Freiheit befreit
werden, um nicht zur Freiheit verurteilt zu sein? Dies ist
die Kernfrage unserer Zeit und damit zugleich die kritische Anfrage
an die Theologie und Kirche in dieser Zeit" (ll). So etwa
wird in dem Buch immer neu argumentiert. Hier wird die
theologische Diskussion zweifellos sich am stärksten entzünden.
Kann man, darf man so als christlicher Theologe die .griechische
Seinsauslegung' für das Weltverständnis als nunmehr untauglich
ablehnen und den Kosmos als durchschaubares Ordnungsgefüge
preisgeben? Darf man .Schöpfung' in dieser Weise
als .Geschichte' verstehen, daß dabei die unausdenkbaren
Möglichkeiten eines .entgrenzten Kosmos' im Glauben miteinbezogen
sind, so daß der Mensch als Geschöpf in seiner geschichtlichen
Freiheit auf je neues Einsehen und Handeln angesetzt
werden muß? Wenn ich recht sehe, so ist Schmidt auf einem
sehr kühnen und guten Wege. Es geht ihm darum, die .Schöpfung
', genauer den .Schöpfer', theologisch wiederzugewinnen
und den Menschen als .Geschöpf, das in der Freiheit eigener
Verantwortung für die Geschichte und damit für den entgrenzten
Kosmos das .dominium terrae' umfassend wahrzunehmen
weiß. Dies aber eben nicht mit Hilfe einer theologia naturalis
etwelcher Art, noch auch durch die Propagierung einer weltlosen
Geschichtlichkeit, die in einem einsamen Entscheidungs-
rirualismus das ,Kreuz der Wirklichkeit', u. d. h. die wahren
Schrecken geschichtlicher Freiheit überspielt, sondern Schmidt
setzt an der Bundestreue Gottes an, der im Sterben Christi am

Kreuz die Geschichte keineswegs durchsichtig gemacht hat, aber
ihre verantwortliche »Wahrnehmung' dem Glauben öffnet, dem
so die Schöpfung eschatologisch erschlossen ist. Vielleicht darf
man formulieren: dieses Buch setzt einen Weg fort, der vorläufig
noch recht unbestimmt und tastend, aber in einer nahezu
ökumenischen Weite, erst da und dort in Umrissen erkennbar
wird und eine neue theologische Verstehensweise vorbereitet.
Unter nüchterner Absage an alle theologia gloriae kommt es
zur Erschließung der Schöpfung von der theologia crucis aus,
die aus der Kraft einer eschatologisch geprägten Pneumatologie
(289) lebt. Kommt es auf diesem Wege zu einem tieferen und
wirklich tragenden Begriff von .Geschichtlichkeit', der die Geschichte
nicht ideologisch überspielt, sondern mit ihr tatsächlich
ernst macht? Rückt etwa in dieser Sicht die gesamte Ethik in
ein neues Verhältnis zur Dogmatik, weil ja nun die Geschöpf-
lichkeit des Menschen soteriologisch und eschatologisch erschlossen
und fundiert ist und denselben nun in der Besorgung
seines dominium terrae unmittelbar an der .Entgrenzung des
Kosmos' beteiligt? Verschieben sich da nicht auch die herkömmlichen
Relationen zwischen den .opera trinitatis', bzw. könnte
nicht auf diese Weise die weithin stumm gewordene Rede
der Trinitätstheologie zu einer neuen Sprachlichkeit erwachen7
So wäre wohl zu fordern, daß im Weiterführen solchen theologischen
Denkens die Pneumatologie in eine deutlichere Verbindung
mit der Schöpfungslehre gerückt würde, wobei nicht
davor zurückgescheut werden dürfte, die gerade durch die
Hegelianer in Mißkredit gekommene Anthropologie ernsthafter
noch, als es hier geschehen konnte, ins Blickfeld zu nehmen.
Es müßte dann wohl auch die Mahnung des Verfassers, die jeglichen
Rückzug hinter die Position Hegels verbietet, gerade
auch im Blick auf dessen Bedeutung in der Erkenntnistheorie
berücksichtigt werden, um den Zusammenhang von Erkennen,
Glaube und Handeln des Menschen im entgrenzten Kosmos
neu zu sehen.

Wir sehen, das Buch reißt ungeheure Aspekte auf und
verdient es, als Herausforderung zu kritischem und weiterführenden
Bedenken aufgenommen zu werden.

Wien Wilhelm D a n t i n e

B o 11 n o w, Otto Friedrich: Der Tod des anderen Menschen (Univer-
Sitas 19, 1964 S. 1257—1264).

Delfino, R.: Cuerpo y alma en Merleau-Ponty (Ciencia y Fe 20,
1964 S. 3 5-76).

Dumery, Henry und B o u i 11 a r d, Henri: Blondel et ses interprc-
tes (RechSR 51, 1964 S. 597—600).

Hartmann, Hans: Martin Buber. Denker unserer Zeit (Universi-
tas 19, 1964 S. 1285—1291).

Heinz-Mohr, Gerd: Spiel des Denkens — Spiel des Lebens. Nikolaus
von Kues und sein Kugelspiel (ZW 3 5, 1964 S. 804—812).

Henri ci, Peter: Glaubensleben und kritische Vernunft als Grundkräfte
der Metaphysik des jungen Blondel (Gregorianum 4 5, 1964
S. 689-738).

Hill ig, Franz: Haben sich die Freimaurer gewandelt? (StZ Bd. 175,
90. Jg., 1964/65 S. 97—106).

Jaspers, Karl: Die Philosophie in der Welt (Universitas 20, 1965
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de Köninck, Charles: Notion et role de l'identite chez Meyerson
(Sciences Ecclesiastiques 16, 1964 S. 419—453).

M a 1 i k, Josef: Das personale und soziale Sein des Menschen in der
Philosophie Max Schelers (ThGI 54, 1964 S. 401—436).

Marcel, Gabriel: L'„Initiation Philosophique" d'Amedee Ponceau
(Sciences Ecclesiastiques 16, 1964 S. 377—385).

Portmann, Adolf: Das Leben führen oder fristen. Menschenbild
und Lebensgestaltung heute (Universitas 19, 1964 S. 1233—1241).

Schultz, Werner: Die Deutung des Leids im Humanismus und im

Christentum (ZW 35/1964 S. 736—745).
Simon, Ernst: Auf dem Wege zur zweiten Naivität — Schiller und

Kleist (Neue Sammlung 4, 1964 S. 525—535).
— „Dann werde ich wieder einfach sein" (Neue Sammlung 4, 1964

S. 445—463).

Varangot, O.: Sobre el conocimiento de Dios (Ciencia y Fe 20,
1964 S. 77—84).