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Ausgabe:

1965

Spalte:

377-380

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Hans

Titel/Untertitel:

Verheissung und Schrecken der Freiheit 1965

Rezensent:

Dantine, Wilhelm

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377

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 5

378

3. Die geschichtliche Destruktion: Von der Wiederholung
des Zeitlichen zur zeitlichen Wiederholung des Ewigen (Religiosität
A und B).

4. Die historische Destruktion: Vom Lutherischen Korrektiv
zur protestantischen Korrektur des Klosters".

Dazu ein Anhang:

„Schluß: Die Hiob-Situation des religiösen Denkens .. ."

Es handelt sich also insgesamt um das Problem, „ob ein theologischer
Schriftsteller Nietzsches Idee der Selbstauflösung des christlichen
Glaubens eindrucksvoller verifizieren konnte als Kierkegaard,
dessen — seiner persönlichen Radikalisierung entsprechende — Entwicklung
vom .ästhetischen' zum .religiösen Stadium' sich als vollkommener
Zirkel erweist, insofern die Proklamierung des religiösen
Augenblicks am Schluß jedenfalls und gerade im Kernmoment einer
unerfüllten und daher stets der Schwermut ihrer Langeweile ausgesetzten
Zeitlichkeit den völligen Fehlschlag seines ursprünglichen Anliegens
demonstriert, die Leere des nur in den Augenblicken romantischen
Genießens diskontinuierlich befriedigten ästhetischen Lebens
durch den moralisch-religiösen, d. h. durch den Appell zu einem christlich
akzentuierten .ethischen' Leben zu überwinden" (S. 57 f.).

„Um den Gläubigen vor solchen Konsequenzen bzw. vor den Konsequenzen
solcher Einsichten zu bewahren, hat man von katholischer
Seite seit jeher versucht, die — allerdings weniger im Vollzug
als im Ergebnis — wohlgeschene Selbstauflösung in der Glaubensbewegung
Kierjcegaards als diejenige des Protestantismus darzustellen
; selbstverständlich in der Absicht, den .letzten lösenden Sinn' —
so etwa Przywara — seiner Existenzphilosophie bei einem .Kierkegaard
des )Heim zur Mutterkirche(' zu finden . . . Demgegenüber sieht Kierkegaard
seinerseits gerade in der protestantischen Säkularisierung die
eigentliche Entartung des Christentums ausgeprägt" (S. 14 f.).

Berlin Hans-Georg F r i t z s c h e

Schmidt, Hans: Verheißung und Schrecken der Freiheit. Von der

Krise des antik-abendländischen Weltverständnisses dargestellt im
Blick auf Hegels Erfahrung der Geschichte. Stuttgart-Berlin: Kreuz-
Verlag [1964]. 3 50S. 8°. Lw. DM 28.—.

Eine Rezension dieses Buches bringt in zwiefacher Hinsicht
ein nicht ungefährliches Wagnis mit sich. Einmal wird man als
Nichtfachmann in das Kreuzfeuer der speziellen Hegelinterpreten
geraten, ohne doch darauf verzichten zu können, zu den philosophiegeschichtlichen
Aspekten dieser theologischen Studie Stellung
zu beziehen. Dann aber haben wir es hier mit einem Werk
zu tun, dessen theologische Urteile im Grunde die gesamte
gegenwärtige Theologie in die Kampfbahn fordern (vgl. etwa
S. 316—319), ohne daß in ihnen selbst schon das erwartete Neue
und Andere thematisch entfaltet würde. Es ist eine, im Gewände
subtiler historischer Forschung einherschreitende und sich von
da aus zurüstende, kampfesfrohe Zumutung auf ein künftiges
theologisches Denken hin, das nach des Verfassers freimütigem
Eingeständnis sich selbst noch im Status nascendi befindlich
weiß und seine Postulate vorläufig erst an einige, allerdings
entscheidende, Grundeinsichten zu hängen vermag (vgl. S. 298
—302, 308, 313, 332—334). Die Versuchung für den Rezensenten
ist nicht gering, sich mit Hilfe einiger zustimmender und auch
wieder kopfschüttelnder Wenn und Aber den Pelz nicht naß zu
machen. Aber würde er dann dem glühenden Atem dieser
wissenschaftlichen Untersuchung, aber auch ihren scharfsichtigen
und gründlichen Analysen oder gar der aufreizenden Alternative
wirklich gerecht?

Der klare und übersichtliche Aufbau des Buches, der sich
zugleich an den biographischen Stadien in Hegels Leben orientiert
, erleichtert die Lektüre auch für den, der sich sowohl an
Hegels Diktion und Gedankengänge als auch an die ihm sicherlich
oft noch fremde, an moderner nicht-theologischer Literatur
geschulte, Ausdrucksweise des Verfassers erst noch gewöhnen
muß. Daß dieser übrigens seinem gewonnenen Vokabular verhaftet
bleibt, erscheint mir im Blick auf den programmatischen
Charakter des Werkes einen Vorzug darzustellen, weil dadurch
Intention und Blickrichtung sich dem Leser gut einprägen.
Weil Schmidt von der Krise des antik-abendländischen Weltverständnisses
handeln will, sucht er jene geschichtliche Stunde
auf, in der das große Wetterleuchten dieser Krise zum ersten
Male grell und den ganzen Horizont des Weltgeschehens überstrahlend
aufleuchtet. Er findet sie in dem .Denker der Revolution
' (59, 294), im jungen Hegel, dessen revolutionäre Radikalität
, und dies in der Geburtsstunde des Deutschen Idealismus!,
zwar bereits einen Nietzsche vorwegnimmt, gleichwohl schon
von Anfang an von der Suche nach einer die .Schrecken der
Freiheit' bändigenden .Reformation' begleitet erscheint.

Hier fallen in Schmidts Hegel-Deutung bereits zwei Entscheidungen
, die zweifellos in der eigentlichen Hegel-Forschung
lebhaft diskutiert werden dürften. Die eine betrifft die These,
daß der .ganze' Hegel, d. h. also auch der ,alte', vom Jungen'
her zu verstehen und zu interpretieren sei (vgl. 13—14 und
269—319); die andere zeigt sich etwa in der Behauptung:
„Nicht die erkenntnistheoretische, sondern die gesellschaftliche
und politische Problematik mobilisierten Hegels Denken
schon früh" (19). Hegels .Erfahrung der Geschichte' wird damit
in den Mittelpunkt des Gesamtlebens und Gesamtdenkens des
großen Philosophen gerückt und als zentraler Nervenstrang
seiner geistigen Existenz angesehen, so daß sich von daher nicht
nur verstehen, sondern rechtfertigen läßt, wenn der Verfasser
an der Weise, wie Hegel der .Erfahrung der Geschichte' gerecht
zu werden versucht, sowohl dessen Größe als auch sein Scheitern
zu beurteilen unternimmt. — Wir werden sehen, was die .Fachleute
' dazu zu sagen haben werden; ohne dieser Diskussion
vorgreifen zu wollen, mag es uns unbenommen sein, zu bezeugen
, daß uns Schmidt ein Hegel-Bild gezeichnet hat, das aufs
Ganze gesehen überzeugend wirkt, und zwar nicht deshalb bloß,
weil es mit viel ehrlicher Liebe und umsichtiger Einfühlung in
die einmalige Bedeutung dieses Mannes entworfen ist, sondern
weil es dessen geistesgeschichtliche Schlüsselposition einleuchtend
macht und zugleich, einige sonst 6<hwer erklärliche Widersprüche
erhellend, dessen eigentümlich gebrochene Ferne und
Nähe zur christlichen Theologie verstehen lehrt.

Aber Schmidts Absicht geht über ein Hegel-Bild weit hinaus
; ihm geht es als Theologen um ein dem christlichen
Glauben entsprechendes .Weltverständnis', und Hegels imponierender
Ersteinsatz unter der Erfahrung der Geschichte' am Beginn
de6 neunzehnten Jahrhunderts ist ihm wesentlich Vorspann
für das eigene Fragen und die eigene Antwortsuche. Auch wenn
er unmittelbar Hegel darstellt, erläutert und beurteilt, geht es
dem Verfasser um die Krise des abendländischen Weltverständnisses
, wie er sie sieht, um .Verheißung und Schrecken der
Freiheit', wie sie uns heute, nach dem Scheitern Hegels, begegnen
, wobei er freilich stets versichert, daß wir heute auf keinen
Fall hinter Hegel zurück dürfen. Zeichnet er also Hegels verhängnisvolle
.Idealisierung der Griechen' (71 ff., 214 ff., 227 ff.)
oder dessen eben so unkritische Ausklammerung und Verächtlichmachung
des alttestamentlich-jüdischen Geschichtsdenkens
(65, 216 ff., 244 ff.) sowie die prinzipielle Verfehlung der Person
Jesu sowohl durch den christentumsfeindlichen .jungen'
(272 ff.) als auch durch den christlichen .alten' Hegel (277 ff.),
dann will er doch vor allem aufzeigen, wie Hegels .Scheitern'
darin gelegen habe, daß er der .Erfahrung von Geschichte' letztlich
doch wieder mit Hilfe einer untauglichen, weil ungeschichtlichen
, ja geschichtlosen ,Idee' beizukommen suchte (282—83,
289—90, 292!). Schmidts eigentliche Intention geht auf eine
theologisch verantwortbare .Wahrnehmung der Welt als Geschichte
', und darum kann er die Gemeinsamkeit der Verlegenheit
preisen, die sich bislang in allen theologischen Entwürfen
zeigt, nämlich als eine positive Erwartung, wenn sich ,alle volle
Aufmerksamkeit' diesem Problem zuwendete (319). Hegels
Denken wird zur Beispiels-Geschichte, an der wir heutigen zu
lernen haben.

Denn so entschieden Schmidt Hegels eben gekennzeichnete
Verkennung der Geschichtswirklichkeit anprangert, die 6chon
so früh in der Diskriminierung der Juden und der Idealisierung
der Griechen ansetzt und in der Verklärung des Christlich-
Germanischen 6ich später fortsetzt, und so nachzuweisen versucht
, warum er gerade an seinem ursprünglichen Problem,
nämlich dem der Geschichte, scheitern muß, so bleibt ihm Hegel
doch bahnbrechend durch die Erkenntnis der Untauglichkeit
eines ,weltunbezüglichen' Christentums ßowie in seiner nüchternen
und tiefen Einsicht, daß der in der Geschichte freie und
darum revolutionär handelnde Mensch einer .Reformation' bedürfe
, um nicht dem .Schrecken der Freiheit' zur Beute zu